Kein Märchen mehr – Streit um Wölfe in Deutschland

Kein Märchen mehr – Streit um Wölfe in Deutschland
(Carina Da Silva)

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Die Wölfin von Goldenstedt hat wieder zugeschlagen. Auch die extrahohen Elektrozäune mit satten 8000 Volt haben sie nicht aufhalten können. Erneut trifft es Schäfermeister Tino Barth, 13 Tiere hat er damit verloren.

Die Wölfin von Goldenstedt hat wieder zugeschlagen. Auch die extrahohen Elektrozäune mit satten 8000 Volt haben sie nicht aufhalten können. Erneut trifft es Schäfermeister Tino Barth, 13 Tiere hat er damit verloren. «Beim nächsten Wolfsangriff geben wir die Schafszucht auf, denn dann sind wir pleite», sagt Barth zu den Attacken auf seine teils hochprämierten Schafe. Die Wölfin hat sich an Nutztiere gewöhnt, sie ist in den niedersächsischen Landkreisen Vechta und Diepholz unterwegs. Die Behörden haben ihr bis Mitte November 31 gerissene Tiere innerhalb eines Jahres genetisch nachweisen können, bei 37 weiteren konnte nur noch der allgemeine Nachweis Wolf geführt werden. Danach hat es weitere Risse gegeben.

Der Konflikt zwischen Schäfer und Wolf ist uralt, aber in Deutschland war er fast 200 Jahre lang nur noch in Märchenbüchern ein Thema. Nach der Wiedervereinigung haben sich die Tiere rasant ausgebreitet. «Bundesweit sind vermutlich knapp 400 freilebende Tiere unterwegs», sagt Wildbiologin Britta Habbe, die bei der Landesjägerschaft Niedersachsen für die systematische Beobachtung zuständig ist. Das wären mehr als doppelt so viele wie noch vor drei Jahren. Zunehmend meldeten sich 2015 auch Kritiker dieser Entwicklung zu Wort.

31 Rudel, acht Paare und sechs Einzeltiere

Die meisten Wölfe ziehen hierzulande nach Angaben des Lupus-Instituts für Wolfsmonitoring und -forschung durch Sachsen, Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. «Es leben wieder rund 31 Rudel, acht Paare und sechs Einzeltiere mit eigenen Territorien bei uns», sagt Lupus-Leiterin Ilka Reinhardt. Die ersten seien vor 15 Jahren aus Polen nach Sachsen gekommen. Von dort hat sich Canis lupus dann in Deutschland vor allem Richtung Nordwesten ausgebreitet. «Im Süden und Südwesten ist auf jeden Fall mit einer Besiedlung aus der Alpenregion zu rechnen – schon jetzt beobachten wir immer wieder einzelne Wanderwölfe aus Norditalien, Frankreich und der Schweiz.»

Für Reinhardt macht eine Bejagung keinen Sinn: «Dem Schäfer hilft es nicht dauerhaft, wenn man einen Wolf erlegt. Viel wichtiger ist es, ihn bei Schutzmaßnahmen zu unterstützen.» Die Expertin plädiert für Monitoring, Herdenschutz und Öffentlichkeitsarbeit. Das sei wichtig für die Akzeptanz in der Bevölkerung. Sie begrüßt, dass der Bund eine zentrale Dokumentations- und Beratungsstelle einrichten will.

Wölfe weit weniger scheu als erwartet

Nicht nur getötetes Vieh sorgte immer wieder für Schlagzeilen, auch zeigten sich Wölfe mehrfach weit weniger scheu, als erwartet. So lässt sich im schleswig-holsteinischen Mölln ein Wolf am helllichten Tag kaum beim Reißen von Schafen stören, und in Niedersachsen kommen die Mitglieder eines auf dem Truppenübungsplatz Nord bei Munster lebenden Rudels mehrfach bis auf wenige Meter an Menschen heran. Mitten am Tag trollt ein Wolf durch Wildeshausen, bei Goldenstedt wird ein Tier an einem Waldkindergarten gesichtet.

Wölfe sind in Deutschland streng geschützt und dürfen nicht gejagt werden. Da wäre die Wölfin von Goldenstedt der erste Wolf, dem es nach der Wiedervereinigung legal an den Kragen geht, doch danach sieht es derzeit nicht aus. Zwar haben FDP und CDU im Landtag sogar den Abschuss gefordert, doch Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) möchte die Wölfin erstmal nur mit einem Sender ausstatten. «Nach derzeitigem Stand ist die Forderung nach Abschuss des Wolfes der Aufruf zum Rechtsbruch», sagt er.

Der Wolf ist ein natürlicher Bestandteil unserer Ökosysteme

Auch die Anhänger der Wölfe haben gewichtige Argumente: «Der Wolf ist als Rückkehrer in sein ehemaliges Verbreitungsgebiet ein natürlicher Bestandteil unserer Ökosysteme», heißt es etwa beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). «Jeder Förster kann sich eigentlich freuen, wenn der Wolf die oft zu hohen Wildbestände etwas reduziert», sagt Nabu-Wolfsexperte Markus Bathen. «Er agiert dabei auch als Gesundheitspolizist, der kranke und schwache Tiere bevorzugt.» Gegen eine umfassende Bekämpfung führt Bathen auch grundlegende Bedenken ins Feld: «Prinzipiell obliegt es den Menschen nicht zu entscheiden, ob Tierarten ein Lebensrecht haben», sagt er.
«Der Wolf ist keine Erfindung von Naturschützern, sondern ein Ergebnis der Schöpfung beziehungsweise der Evolution.»

Die Debatte über den Wolf wird nicht nur im Internet hitzig geführt, oft stehen sich Befürworter und Gegner unversöhnlich gegenüber. «Es gibt bei uns zwei Wolfsbilder», sagt dazu Buchautor Eckhard Fuhr. «Einmal ist da der böse Wolf aus den Märchen», sagt er. Das spiegele uralte Erfahrungen wieder. Auf der anderen Seite stehe das Bild vom Wildnisheiligen, der heilen möge, was der Mensch zerstört hat. Vielleicht seien aber auch parallele Verhaltensweisen von Wolf und Mensch ein Grund für das Emotionale der Debatte, meint Fuhr. «Mensch und Wolf waren sozial ganz ähnlich organisierte soziale Jäger», sagt er. «Die Wölfe sind nicht zufällig die Vorfahren unserer Hunde.»

«Vieles wurde in den vergangenen Monaten wahnsinnig aufgebauscht. Es gibt im Moment keine Anzeichen dafür, dass Wölfe bei uns ein unangemessenes Verhalten zeigen», sagt Fuhr. «Wenn sich aber ein Tier wie die Wölfin von Goldenstedt auffällig verhält, so muss man konsequent Gegenmaßnahmen ergreifen, die auch auf die Tötung des Tieres hinauslaufen können.»