„Es ist nichts mehr, wie es war“

„Es ist nichts mehr, wie es war“
(Tageblatt-Archiv/Pierre Matgé)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Nobelpreisträger und "Académie Française"-Mitglied Jules Hoffmann ist einer der Pioniere der sogenannten angeborenen Immunabwehr. Das Tageblatt hatte sich vor der Nobelpreisverleihung am 10 Dezember mit dem Immunologen unterhalten.

Tageblatt: Herr Hoffmann, wie und wo haben Sie davon erfahren, dass Sie zu den diesjährigen Medizin-Nobelpreisträgern gehören?
Jules Hoffmann:
„Ich habe in diesem Jahr den Shaw-Preis erhalten, der als Nobelpreis Asiens gilt.
Die Preisverleihung des Shaw-Preises fand Ende September in Hongkong statt. Im Anschluss daran bin ich gemeinsam mit meiner Frau nach Schanghai gereist, wo ich eine Reihe von Konferenzen geben sollte.
Den Tag, als die Nachricht kam, haben meine Frau und ich im Museum verbracht, danach waren wir essen, um uns dann ein grandioses Feuerwerk zum chinesischen Nationalfeiertag anzusehen. Ich hatte kein Handy bei mir, ich habe also keinen Anruf erwartet. Plötzlich erhielt unser chinesischer Begleiter einen Anruf vom Hotel mit der Nachricht. Im Hotel warteten dann auch schon Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters, die allerdings noch keine Details kannten und mir noch nicht sagen konnten, wer mit mir gemeinsam den Nobelpreis erhalten sollte.“

Sie sagen, Sie hätten die Nachricht nicht erwartet, also waren Sie überrascht?

„Wenn ich das sage, spielt keinerlei Hypokrisie mit. Sie müssen aber wissen, dass beim Nobelpreis, genau wie bei allen anderen großen Wissenschaftspreisen, immer zuerst ein Themenbereich von der jeweiligen Jury ausgewählt wird, der ausgezeichnet werden soll. In einem Jahr sind es zum Beispiel die Stammzellen, in einem anderen der Alterungsprozess der Zellen usw.
In Wissenschaftskreisen war seit geraumer Zeit bekannt, dass die angeborene Immunität irgendwann das Thema der Auszeichnung sein würde. Nur eben wann das sein würde, war eben nicht bekannt. Unbekannt war selbstverständlich auch, welche Forscher den Preis erhalten sollten. Denn in diesem Bereich gibt es meines Erachtens mindestens fünf bis sechs Personen, die für den Nobelpreis infrage kämen. Ich habe für mich persönlich schon früh die Entscheidung getroffenen, das Thema psychologisch komplett auszuklammern. Dementsprechend war es eine Überraschung. Besonders positiv war die Überraschung auch deshalb, weil ich zusammen mit Bruce Beutler ausgezeichnet werde, der sicherlich einer meiner besten Freunde in den USA ist. Und den dritten im Bunde, den mittlerweile verstorbenen Ralf Steinman, kannte ich ebenfalls sehr gut.“

Wie hat Ihre Mannschaft, Ihr Labor in Straßburg die Nachricht aufgenommen?

„Hier im Labor wussten alle bereits vor mir Bescheid. Hier knallten bereits die Champagnerkorken, während wir noch ahnungslos Schanghai besuchten. Sehr gefreut haben sich auch meine beiden Kinder, sie werden meine Frau und mich auch nach Stockholm zur Preisverleihung begleiten.“

Und dann? Sicherlich waren Sie danach ein gefragter Mann?

„Das stimmt. Kaum war die Nachricht bekannt, wurde ich von Medien aus aller Welt kontaktiert. Die ganze Nacht habe ich im Viertelstundentakt den verschiedenen Presseorganen Rede und Antwort gestanden. Und ich muss sagen: seitdem hat sich das Ganze nicht wirklich beruhigt. Mehrmals pro Woche gebe ich noch Interviews, kommen Fernsehteams vorbei.
In meinem Leben ist seit der Ankündigung der Verleihung des Nobelpreises nichts mehr so, wie es einmal war. Alles hat sich innerhalb eines Abends verändert, die Disponibilität, die ich bis dahin hatte, gibt es nicht mehr. Ich nehme aber an, dass die Aufregung nach der Verleihung am 10. Dezember etwas nachlassen wird und ich etwas zur Ruhe kommen werde. Außerdem muss ich, seitdem ich verstärkt im Licht der Öffentlichkeit stehe, genauer darauf achten, was ich sage. Seit ein paar Wochen fühle ich mich schon ziemlich beobachtet und angespannt.
Aber ich will mich nicht beklagen. Ich bin der Auffassung, dass ich als Forscher, der vom Steuerzahler bezahlt wird, die Pflicht habe, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was ich erforsche, wozu die Steuergelder genutzt werden, welche Ergebnisse erzielt werden.“

Vor dem Nobelpreis haben Sie bereits etliche andere, ebenfalls sehr angesehene Wissenschaftspreise erhalten. Nie war die nicht nur mediale Aufmerksamkeit aber so groß?

„Es ist in der Tat sehr erstaunlich. Auch ich habe in den vergangenen Tagen und Wochen festgestellt, dass der Nobelpreis doch eine sehr spezielle Note hat. Ich habe aber keine Erklärung, warum das so ist, warum der Nobelpreis mehr Aufmerksamkeit erregt als andere Auszeichnungen.“

Können Sie uns vielleicht kurz erklären, was genau Ihre Arbeiten waren, für die Sie den Nobelpreis erhalten werden?

„Es gibt zwei verschiedene Immunreaktionen: die angeborene oder unspezifische Abwehr oder Antwort einerseits, die adaptative oder spezifische Abwehr andererseits.
Erstere, auf die sich unsere Arbeiten konzentrierten, setzt sich aus zwei Mechanismen zusammen.
Ein erster Mechanismus, dessen Entdeckung 1908 mit dem Nobelpreis belohnt wurde, besteht darin, dass Bakterien, die in den Körper gelangen, von speziellen Abwehrzellen angegriffen und verdaut werden. Man spricht von Phagozytose. Diese Art der Immunabwehr haben alle Organismen (Würmer, Insekten, Menschen …) gemein. Eine zweite Form der angeborenen, natürlichen Antwort ist die, dass Teile von Bakterien von speziellen Immunzellen erkannt werden, was in der Freisetzung von antibiotischen Substanzen resultiert.

Bei dieser Form der immunitären Antwort ging man zwar davon aus, dass sie beim Menschen existiert, wie genau die verschiedenen Prozesse aber ablaufen, war unbekannt. An dieser Stelle setzten wir mit unseren Forschungsarbeiten an. Als Modell haben wir Insekten gewählt. Zuerst arbeiteten wir auf der Grille, anschließend, Anfang der 1990er, dann die Fruchtfliege.
In den darauf folgenden 15 Jahren haben wir mit genetischen, biochemischen, zellbiologischen und molekularbiologischen Techniken bei der Fruchtfliege eine ganze Reihe von antimikrobialen Peptiden sowie die verschiedenen Etappen, die zur ihrer Synthese führen, identifiziert. Es ist uns gelungen, zusammen mit den Ergebnissen von anderen Forschungsgruppen aus Europa, den USA und Japan ein allgemeines Bild des Immunsystems der Fruchtfliege zu zeichnen. Diese Ergebnisse haben in der Folge zum (besseren) Verständnis der angeborenen Immunität in anderen Tiergruppen, u.a. in den Säugetieren, beigetragen.“

Was bedeutet der Nobelpreis für Sie persönlich?

„Ich mag das Wort Konsekration nicht, weil ich nicht für das Religiöse bin. Ich würde sagen, der Preis ist eine Bestätigung der Richtigkeit unserer Entscheidungen.
Entscheidungen, die nicht ich alleine getroffen habe, sondern für die immer eine ganze Mannschaft verantwortlich zeichnete. Mindestens 50 Personen waren in all den Jahren an den nun ausgezeichneten Ergebnissen direkt beteiligt.“

Sie spielen darauf an, dass Sie oft kritisiert wurden, auf Insekten und nicht zum Beispiel auf menschlichen Zellen zu forschen. Ihre Arbeiten würden außer zu einigen vielleicht vom wissenschaftlichen Standpunkt her nicht uninteressanten Ergebnissen nicht zu direkten Anwendungen beim Menschen führen, lautete nur einer der Vorwürfe …

„Hierzu eine kleine Anekdote: Wir werden seit rund 15 Jahren vom nationalen US-amerikanischen Forschungszentrum NIH (National Institute of Health) kofinanziert. Als Sarah Palin Kandidatin für die Präsidentschaftsvorwahlen war, hat sie sich im Rahmen ihres angekündigten Sparprogramms auch mit dem NIH-Budget befasst. Und sich darüber aufgeregt, dass die Amerikaner ’jedes Jahr Geld nach Frankreich überweisen, damit man sich dort um die Gesundheit von Fliegen’ kümmert. Bei ihrem Publikum kam sie mit diesen Aussagen selbstverständlich hervorragend an. Aber Sarah Palin ist nur ein Beispiel. Mit solchen Überlegungen werden wir ständig, auch heute noch, konfrontiert.“

Was entgegnen Sie diesen Leuten oder anders gefragt: Warum forschen Sie an Insekten?

„Auf diese Frage gibt es ein paar Antworten. Eine erste ist, dass Insekten 80 Prozent aller Tierarten darstellen. Das ist enorm. Außerdem sind es Insekten, die jedes Jahr ein Drittel der weltweiten Ernten zerstören. Drittens stellen sie als Überträger von parasitären, viralen Krankheiten eine gesundheitliche Bedrohung für ein Drittel der Weltbevölkerung dar. Und, um noch einen positiven Punkt zu nennen, Insekten spielen eine zentrale Rolle bei der Bestäubung der Pflanzen. All diese Beispiel zeigen, dass die Insekten eine sehr wichtige Tiergruppe darstellen.
Hinzu kommt, dass unsere Ergebnisse von der Fruchtfliege zu Erkenntnissen geführt haben, die heute beim Menschen ihre Anwendung in den Bereichen der Entzündung, der Autoimmunität, der Allergien oder aber in der Immuno- sowie der Krebstherapie finden. Außerdem stellen unsere Ergebnisse die Grundlagen dar für die Erforschung der bestmöglichen sogenannten Adjuvanten, ohne die kein Impfstoff funktioniert.“

Was bedeutet der Nobelpreis für Ihr Labor, Ihre Mannschaft, für Ihr Institut?

„Zum einen gibt ein solcher Preis dem Labor eine größere Visibilität. Schließlich gibt es nicht so viel Nobelpreise in Frankreich oder gar in Europa. Es sind vor allem die USA, die den Löwenanteil der Nobelpreise für sich verbuchen. Auch wenn ich der Meinung bin, dass die europäische Forschung von den Ergebnissen her der amerikanischen in nichts mehr nachsteht. Zum anderen ist der Preis eine Art Unterstützung, eine Art Anerkennung für alle ’Life sciences’, also für die Biologie und damit verwandten Wissenschaften. Um aber konkret sagen zu können, welche Auswirkungen auf lange Sicht der Preis für das Labor hat, dafür ist es noch zu früh.“

Sie stammen ursprünglich aus Luxemburg? Was verbindet Sie noch mit Ihrer alten Heimat?

„Einerseits habe ich noch Familie in Luxemburg, mein Bruder lebt im Großherzogtum, eine Reihe von Cousins und Cousinen, die ich regelmäßig sehe. Andererseits bin ich Mitglied des Verwaltungsrates des CRP Santé und in früheren Zeiten habe ich viel am ’Cours universitaire’ gelehrt. Die Entwicklung der Universität Luxemburg, muss ich gestehen, verfolge ich nicht mehr im Detail. Ich bin aber überzeugt, dass die junge Einrichtung den doch erheblichen Herausforderungen mit Erfolg begegnen kann.“

Sie wurden vor rund zwei Wochen von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy empfangen. Können Sie uns etwas über das Gespräch sagen?

„Das Gespräch mit Nicolas Sarkozy war ein persönliches. Ich will deshalb nicht zu viel verraten. Nur so viel: Der Präsident war sehr sympathisch, sehr interessiert und sehr gut informiert. Zur Begrüßung hat er mir gesagt, dass er Luxemburg dankbar sei, dass man mich gehen hat lassen. Worauf ich geantwortet habe, dass ich froh bin, dass Frankreich mich aufgenommen hat.“

Sie mussten vor Jahrzehnten aus beruflichen Gründen, um Professor werden zu können, die französische Staatsbürgerschaft annehmen. Fühlen Sie sich als Franzose?

Ich weiß nicht, ob es eine Antwort auf diese Frage gibt. Ich bin in Luxemburg aufgewachsen und habe ausgezeichnete Erinnerungen an meine Jugend dort. Als ich aber studieren wollte, sah ich mich gezwungen, ins Ausland zu gehen.
Ich bin nach Straßburg gekommen, hier habe ich meine Frau kennengelernt. Ich lebe nun seit 50 Jahren in Frankreich und habe hier meine ganze Karriere gemacht. Insofern denke ich wohl schon wie ein Franzose. Ich glaube aber, dass die Frage der Nationalität nicht sonderlich wichtig ist.
Die Luxemburger Behörden haben mir aber nun auch geschrieben und mir angeboten, aufgrund der neuen Gesetzgebung zur doppelten Staatsbürgerschaft, mir die Luxemburger Nationalität wieder zuzuerkennen. Ich habe aber abgelehnt. Erstens wäre dies Frankreich, das mich sehr gut aufgenommen und immer sehr gut behandelt hat, gegenüber nicht sehr elegant, andererseits würde es nichts ändern.“

Werden Sie jetzt in Rente gehen?

„Die klassische Rente ist nichts für mich. Ich leite noch ein kleines Forschungsteam und werde hauptsächlich Konferenzen geben. Besonders gefreut habe ich mich in diesem Zusammenhang über eine Einladung des ’Lycée de garçons’ in Luxemburg, wo ich zur Schule ging. Im kommenden Jahr werde ich dem LGL einen Besuch abstatten.“

Eine letzte Frage. Der Nobelpreis ist mit 10 Millionen Kronen (1,09 Millionen Euro) dotiert. Was werden Sie mit Ihrem Anteil machen?

„Noch habe ich das Geld ja nicht (lacht). Demnach: Ich weiß es noch nicht. Sicherlich werde ich mir keine neue Uhr, keine neue Krawatte, kein neues Auto kaufen. Ich werde auf jeden Fall nichts Triviales mit dem Geld machen. Ich werde wohl sinnvolle Projekte damit unterstützen, Personen, die ich schätze.“

Wissenschaftliche Projekte, Forscher?

„Bien sûr.“