Wenn Dollars wichtiger sind als Wähler

Wenn Dollars wichtiger sind als Wähler

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Das US-Gesetz von 2017 wird vor allem Parteispender entlasten.

Von Joseph E. Stiglitz, New York

Noch nie wurde einem Gesetz, das sowohl als Steuersenkung wie als Reform beschrieben wird, so viel Ablehnung und Spott entgegengebracht wie der Gesetzesvorlage, die unmittelbar vor Weihnachten vom US-Kongress verabschiedet wurde und dann durch Unterschrift von Präsident Donald Trump Gesetzeskraft erlangte.

Die Republikaner, die für das Gesetz stimmten (alle Demokraten verweigerten der Vorlage ihre Stimme) behaupten, dass ihr Geschenk schon noch gewürdigt werden würde, wenn die Amerikaner erst einmal erkennen würden, dass ihr Nettoeinkommen ansteigen würde. Sie haben fast mit Sicherheit Unrecht. Das Gesetz bündelt vielmehr alles, was mit der Republikanischen Partei – und im gewissen Maße mit der heruntergewirtschafteten amerikanischen Demokratie – nicht stimmt, in einem Paket.

Steuerreform für die Reichen

Das Gesetz ist selbst bei wohlwollendster Auslegung keine „Steuerreform“. Zu einer Reform gehört es, verzerrende Steuerschlupflöcher zu schließen und die Fairness der Steuergesetzgebung zu steigern. Zentrales Element von Fairness ist die Zahlungsfähigkeit. Dieses Steuergesetz jedoch senkt die Steuern für die zahlungsfähigsten Steuerzahler (das oberste Quintil) im Schnitt um einen fünfstelligen Betrag. Und nach seiner vollständigen Umsetzung (im Jahr 2027) wird es die Steuern für die Mehrheit der Amerikaner in der Mitte (im zweiten, dritten und vierten Quintil) erhöhen.

Das US-Steuerrecht war bereits lange vor Trumps Präsidentschaft regressiv – man denke etwa an die bekannte Beschwerde des milliardenschweren Investors Warren Buffett, eines der reichsten Männer der Welt, dass er einen niedrigeren Steuersatz zahle als seine Sekretärin. Das neue Gesetz macht Amerikas Steuersystem sogar noch regressiver.

Es wird inzwischen allgemein anerkannt, dass die wachsende Ungleichheit ein zentrales wirtschaftliches Problem in den USA ist und dass jene an der Spitze während des vergangenen Vierteljahrhunderts fast alle Gewinne abschöpften. Das neue Gesetz macht die Sache noch schlimmer: Statt diesem verstörenden Trend entgegenzuwirken, gibt die „Reform“ der Republikaner denen da oben noch mehr.

Eine verzerrte Wirtschaft ist keine gesunde Wirtschaft

Eine verzerrte Wirtschaft ist keine gesunde Wirtschaft. Der Internationale Währungsfonds hat betont, dass eine ungleichere Gesellschaft die Wirtschaftsleistung verschlechtert – und das neue Steuergesetz wird unausweichlich zu einer ungleicheren Gesellschaft führen.

Ein großer Teil der Komplexität und Verzerrungen im US-Steuerrecht rührt daher, dass verschiedene Arten von Einkünften mit unterschiedlichen Steuersätzen belegt sind. Eine derartige unterschiedliche Behandlung führt nicht nur zu der (korrekten) Wahrnehmung, dass das Steuerrecht unfair ist, sondern auch zu Ineffizienzen: Ressourcen werden in die begünstigten Sektoren verschoben und verschwendet, wenn die Unternehmen versuchen, ihre Einkünfte und Aktivitäten in die begünstigten Formen umzuwandeln. Die schlimmsten Bestimmungen des bestehenden Steuerrechts – wie das Carried-Interest-Steuerschlupfloch, das es arbeitsplatzvernichtenden Beteiligungsgesellschaften erlaubt, einen geringeren Steuersatz zu bezahlen – wurden beibehalten, und es wurden neue Kategorien begünstigter Einkünfte geschaffen, die von Gesellschaften erzielt werden, deren Einkommen den Gesellschaftern anteilig und unmittelbar zur Versteuerung zugerechnet wird (sogenannte Pass-Through-Entities).

Wachstumssteigernde Wirkung dürfte ausbleiben

Die erhoffte wachstumssteigernde Wirkung dürfte aus mehreren Gründen ausbleiben. Erstens herrscht in den USA bereits Vollbeschäftigung oder zumindest annähernd Vollbeschäftigung. Wenn die US-Notenbank zu der Ansicht gelangt, dass dies der Fall ist, wird sie beim ersten Anzeichen eines deutlichen Anstiegs der Gesamtnachfrage die Zinsen erhöhen. Und höhere Zinssätze bedeuten, dass sich die Investitionstätigkeit und damit auch das Wachstum verlangsamen werden, selbst wenn der Konsum der Superreichen zunimmt.

Zudem verstärkt die Aufnahme von gezielt die „blauen“ (Demokratischen) US-Bundesstaaten wie Kalifornien und New York auspressenden Bestimmungen in das Steuergesetz nicht nur die politische Kluft innerhalb Amerikas, sondern ist auch wirtschaftlich dumm. Keine vernünftige Regierung würde die dynamischsten Bereiche ihrer Wirtschaft untergraben. Aber genau das tut die Trump-Regierung.

Steuererleichterungen für den Schwiegersohn

Spezielle Steuererleichterungen für den Immobiliensektor mögen Trump und seinem Schwiegersohn Jared Kushner helfen, aber sie machen Amerika weder groß noch konkurrenzfähig. Und die Begrenzung der Abzugsfähigkeit der einzelstaatlichen Einkommens- und Vermögenssteuer wird fast mit Sicherheit die Investitionen in Bildung und Infrastruktur verringern – ebenfalls keine solide Strategie zur Steigerung der amerikanischen Wettbewerbsfähigkeit. Und auch andere neue Bestimmungen werden der US-Wirtschaft schaden.

Aufgrund der Zunahme des Haushaltsdefizits – unklar hier ist nur, um wie viel es steigen wird, wobei ich einen deutlich höheren Betrag erwarte als die aktuellen Schätzungen von 1 bis 1,5 Billionen Dollar – wird auch das Handelsdefizit steigen, und zwar unabhängig davon, ob Trump eine stärker nativistische/protektionistische Politik verfolgt oder nicht. Niedrigere Exporte und höhere Importe werden die produzierende Industrie in den USA weiter beschädigen. Einmal mehr (wie schon bei der Krankenversorgung und den Steuersenkungen) betrügt Trump seine Hauptanhängerschaft.

Republikaner bereichern sich

Doch die Republikaner sind zynisch. Die Parteiführung stopft sich die Taschen voll – Trump, Kushner und viele andere Regierungsmitglieder gehören zu den größten Gewinnern –, weil sie glaubt, dass dies ihre letzte Chance dazu sein könnte. Und kein Republikaner ist überzeugter als Trump, dass die Partei damit durchkommen wird.

Dies ist der Grund, warum das Gesetz so strukturiert ist, dass Privatpersonen vorübergehende Steuererleichterungen erhalten, während der Steuersatz für Unternehmen dauerhaft gesenkt wird. Die Republikaner scheinen zuversichtlich, dass die Wähler nicht über den nächsten Gehaltsscheck hinausblicken. Doch lassen sich die Wähler nicht so einfach manipulieren: Sie haben den Trick durchschaut und vertrauen zu Recht den zahlreichen staatlichen und staatsfernen Untersuchungen, die zeigen, dass der Löwenanteil der Steuersenkungen den Konzernen und Superreichen zugutekommt.
Trumps Steuergesetz spiegelt zudem die Überzeugung vieler Republikaner wider, dass Dollars wichtiger sind als Wähler. Das einzig Wichtige für sie ist, ihre Unterstützer in den Unternehmen glücklich zu machen – die die Partei dann mit Spenden belohnen, welche anschließend genutzt werden, um Stimmen zu kaufen und so die Verstetigung einer konzernbestimmten politischen Agenda sicherzustellen.

Wir wollen hoffen, dass die Amerikaner wirklich klüger sind, als die gierigen Konzernlenker und ihre zynischen Republikanischen Diener glauben. Bei den Zwischenwahlen zum Kongress im November werden sie reichlich Gelegenheit haben, dies unter Beweis zu stellen.

  • Der Autor:
    Joseph E. Stiglitz wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Ökonomie ausgezeichnet. Zuletzt ist als Buch von ihm erschienen: Globalization and its Discontents Revisited: Anti-Globalization in the Era of Trump.
  • Copyright: Project Syndicate, 2018.
    www.project-syndicate.org