„Arbeitsstandards sind wichtig“

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Das wirtschaftliche Gewicht Asiens wächst von Jahr zu Jahr. Das Tageblatt unterhielt sich mit Yasuyuki Sawada, dem Chefökonomen der Asiatischen Entwicklungsbank, über das Geheimnis des asiatischen Wirtschaftsmodells.

Aus einem Report der Asian Development Bank (ADB) geht hervor, dass für das Jahr 2018 in ganz Asien 5,8 Prozent Wachstum erwartet werden. In welchen Regionen wird Ihrer Meinung nach die Wirtschaft am schnellsten wachsen?
In Bezug auf das Wachstumstempo liegt Südostasien mit einer Rate von sieben Prozent vorn. In Indien gehen wir sogar von 7,4 Prozent Wachstum aus. In Ostasien, zum Beispiel in Japan, sind die Erwartungen weniger hoch. Das liegt daran, dass diese Länder schon ein hohes Einkommen erreicht haben. Nun schwächt sich dieses Wachstum ab. Wir gehen für das Jahr 2018 von 1,1 Prozent aus.

Welche Volkswirtschaft treibt das asiatische Wachstum am stärksten an?
China ist der Wachstumsmotor Asiens. Über 60 Prozent des asiatischen Wachstums geht auf die Volksrepublik zurück. Wir mussten auch unsere Wachstumsaussichten im vergangenen Jahr nach oben revidieren. Wir gingen von 6,4 Prozent aus, in Wirklichkeit waren es 6,8. Der Grund dafür liegt aber nicht allein in China. Fast überall lief es besser als erwartet und China konnte die Exporte steigern. Das allgemein stärkere Wachstum führen wir auf eine stärkere Entwicklung des Welthandels zurück.

Welche Auswirkungen können die Importzölle von Donald Trump haben?
Im Moment lässt sich das noch nicht mit Genauigkeit sagen, die Änderungen der US-Handelspolitik sind noch mit zu vielen Unsicherheiten behaftet. Auf jeden Fall stellen die rezenten Zölle auf Stahl und Aluminium ein bedeutendes Risiko für den Handel und die Wachstumsperspektiven der Region dar.

Kann das Wachstum in China – unabhängig von der amerikanischen Handelspolitik – ewig so weitergehen?
Auf mittlere Sicht sehen wir ein Abflauen des chinesischen Wachstums. Das lässt sich durch zyklische und strukturelle Faktoren erklären: In China haben sich in Schlüsselindustrien (Kohle, Stahl, Chemikalien) Über-Investitionen angesammelt, die nun eine Nachjustierung erforderlich machen. Die chinesische Regierung setzt auch in der Finanz- und Fiskalpolitik andere Prioritäten und nimmt insgesamt weniger Wachstum in Kauf. Nach Jahren des Wachstums hat China die mittlere Einkommensstufe erreicht. Es ist normal, dass das Wachstum nun weniger wird. Das Wirtschaftsmodell wechselt von einer exportgetriebenen zu einer Konsumgesellschaft. Gleichzeitig weitet sich der Dienstleistungssektor auf Kosten des Industriesektors aus.

Was bedeutet das für Europa?
Da die chinesische Bevölkerung nun wohlhabender als zuvor ist, kann das Land vermehrt Exporte aus der Eurozone absorbieren. Das könnte der Wirtschaft der Eurozone neue Impulse geben. Außerdem steigt die Industrie Chinas auf eine neue Entwicklungsstufe auf, dazu werden auch Technik und Rohstoffe aus der Eurozone gebraucht. Ich glaube, dass die positiven Spillover-Effekte des Wachstums die negativen überwiegen werden.

Was könnte das Wachstum der asiatischen Volkswirtschaften noch bremsen?
Wir haben uns angeschaut, wie hoch die Investitionen sein müssten, damit Asien weiterhin wachsen kann. Die Investitionslücke bei der Infrastruktur könnte sich zu einer Wachstumsbremse entwickeln. Unsere Forschung hat ergeben, dass bis zum Jahr 2030 in ganz Asien rund 26.000 Milliarden Dollar benötigt werden. Diese Summe beinhaltet auch die Kosten des Klimawandels. Das sind 1.700 Milliarden pro Jahr. Bisher sind aber nur 1.000 Milliarden gesichert, es fehlen also 700-800 Milliarden Dollar im Jahr. Das betrifft die ganze Welt, denn Asien trägt zu über 60 Prozent zum weltweiten Wachstum bei.

Kann die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) hier eine Rolle spielen?
Der Investitionsbedarf ist sehr hoch. Die AIIB kann eine wichtige Rolle spielen, komplementär zur Weltbank. Genauso wie bilaterale Agenturen, die in Infrastruktur investieren. Wir sehen die AIIB als Partner, der dabei hilft, die Investitionslücke zu füllen, nicht als Konkurrent. Die AIIB und die ADB schlossen schon vor zwei Jahren eine offizielle Partnerschaft ab und haben mehrere Projekte in ganz Asien kofinanziert. Wir unterstützen die AIIB aber auch technisch beim Aufbau ihrer Aktivitäten.

Die ADB hat sich auch den Kampf gegen die Armut auf die Fahne geschrieben. Welche Unterschiede fallen auf, wenn man das Jahr 2018 mit dem Jahr 2000 vergleicht?
Zwischen den Jahren 2000 und 2015 ist der Anteil der Personen, deren Einkommen unter der Armutsgrenze von einem Dollar pro Tag und Person liegt, drastisch gesunken. In absoluten Zahlen leben aber immer noch mehr als 300 Millionen Menschen in Asien unter der aktuellen Armutsgrenze von 1,9 Dollar pro Tag und Person.

Wenn der Rückgang anhält, ist dann das Ziel von null Armut erreichbar?
Es gibt dieses globale Ziel von null Armut bis 2030. Ich finde es für Asien jedoch realistischer, wenn wir anstreben, dass weniger als drei Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben müssen. Ich glaube, das können wir erreichen. Der Rückgang der Armut hat aber auch andere Herausforderungen zutage gebracht. Die Schere zwischen den Arm und Reich ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten größer geworden. Das beobachtet man jedoch nicht nur in Asien, sondern auf der ganzen Welt. Das kann man im Buch von Thomas Piketty nachlesen.

Der erste Staat außerhalb Europas oder Amerikas, der sich industrialisierte, war Japan. Danach erlebten die vier Tigerstaaten einen raschen wirtschaftlichen Aufstieg. Später folgten die Pantherstaaten. Was ist das asiatische Geheimnis?
Ein typisches Muster, das nicht nur für die Entwicklung Japans wichtig war, ist das Anziehen von arbeitsintensiven Industrien. Die Fabriken absorbieren einen großen Teil der Bevölkerung, der Wohlstand nimmt zu, die Armut geht zurück. Der ganze Sektor treibt dann das Wirtschaftswachstum an. Ich glaube, das macht den Erfolg des „Asian Style“-Wirtschaftsmodelles aus. Zum asiatischen Erfolg gehört aber auch, dass die zu Beginn einfache Technik schrittweise zu besseren Technologien entwickelt wird. Japan machte es vor, dann kamen die vier Tigerstaaten, später die anderen. Wir nennen das das Fluggänsemodell. Wie die Gänse startete zunächst ein Land mit dem Wirtschaftsaufschwung und die anderen folgten seinem Beispiel.

Wer sind die nächsten Kandidaten für ein wirtschaftliches „Take-off“?
Nun sind die südostasiatischen Staaten wie z.B. Bangladesch dabei, sich zu entwickeln. Das Land ist der zweitgrößte Exporteur von arbeitsintensiven Produkten. Vor zwei bis drei Jahrzehnten zählte man Bangladesch noch zu den Ärmsten der Armen. Die Kindersterblichkeit gehörte zu den höchsten der Welt. Nun zeigen viele Sozial- und Gesundheitsindikatoren, dass es bedeutende Fortschritte gegeben hat. Der Gebäudeeinsturz in Sabhar zeigt aber auch, wie wichtig Arbeitsstandards sind. Diese müssen beachtet werden.

Führt dieses Wirtschaftsmodell auch zum gleichen Schicksal wie in Japan – einer überalterten Bevölkerung?
Der demografische Wandel ist ein weiteres großes Problem. Auch hier ist Japan Frontrunner. Mittlerweile ist über ein Viertel der japanischen Bevölkerung älter als 65 Jahre. Das führt dazu, dass der Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung zurückgeht. Die Sparquote nimmt ab und in der Folge auch die Produktivität. Das Resultat ist, dass auch das Wirtschaftswachstum nachlässt. Das ist in Japan der Fall, aber auch in Hongkong, China und Südkorea. Bald werden andere Staaten folgen. China sollte man besonders im Auge behalten, wegen der früheren Ein-Kind-Politik altert die Bevölkerung dort besonders rasch. China riskiert, alt zu werden, noch bevor es hoch entwickelt ist.