Tokyo 2020 / Tokios Maßnahmen-Marathon: Eine Blase, die keine sein kann
Tokio hat ein Maßnahmen-Monstrum erschaffen, um Olympia möglichst coronafrei zu halten. Das entnervt viele Betroffene – und schafft vor allem eine Illusion.
Die erste Disziplin von Tokio ist ein 1500-m-Lauf, die Allerbesten und vor allem Allerglücklichsten absolvieren ihn in knapp zweieinhalb Stunden. Wer den irrwitzigen Einreise-Parcours mit einem guten Dutzend Kontrollpunkten samt Teststation an den Flughäfen Haneda und Narita bewältigt, und das ist so ziemlich jeder Olympia-Beteiligte, muss denken: Respekt, so hat COVID-19 keine Chance!
Auf den zweiten Blick aber wird klar, dass hier ein potemkinsches Schutzmaßnahmendorf mit irrsinniger Bürokratie und einiger Willkür geschaffen wurde. Und das sorgt unter den Betroffenen für Frust. „Wir haben die Probleme angesprochen, und die Organisatoren haben versprochen, sich zu kümmern“, sagt Indiens Chef de Mission BP Baishya: „Aber eins ist klar – unsere Athleten brauchen nach der Landung in Narita fünf bis sechs Stunden dafür.“
Wer in Narita japanischen Boden betritt, hat Pech gehabt. Nach Passagieren ist es zwar der kleinere der beiden Tokioter Riesen-Airports, auf ihm landen aber deutlich mehr internationale Flüge. Air India segelt im Osten der Hauptstadt ein, auch die arabischen Airlines, die über Umsteigeverbindungen viele afrikanische Olympia-Gäste befördern – kurzum: Gäste aus Gegenden, die Tokio als besonders gefährdend ansieht – und alle müssen durch ein Nadelöhr.
Kafkaesk
In einer langen Kolonne ziehen die Neuankömmlinge – Sportler, Trainer, Journalisten – anderthalb Kilometer lang von Station zu Station, hier eine geforderte App, dort ein in der Heimat aufwändigst beglaubigtes Testergebnis vorzeigen, dort ins Röhrchen spucken, hier eines von unnachvollziehbar vielen Formularen aushändigen. Stets betont freundlich wie eindringlich angetrieben von Hundertschaften an Volunteers. Zwischendurch: immer wieder warten.
Zu den kafkaesken Einreiseformalitäten kommt die Abschottung im Kosmos Hotel-Olympiadorf-Sportstätte. „Eingesperrt sind wir nicht, frei aber auch nicht“, sagt der deutsche Fußballer Benjamin Henrichs. All das, um eine Blase zu schaffen, die im Corona-Notstandsgebiet Tokio für halbwegs beruhigte Einheimische sorgen soll.
Dabei ist die Bubble eine Seifenblase: Ein ugandischer Gewichtsheber tauchte erst 120 Kilometer entfernt wieder auf. Und für Journalisten gilt zwar ein Verbots- und Sanktionskatalog vom Umfang Anna Kareninas inklusive der Verfügung, die Unterkunft nie auf eigene Faust zu verlassen – kontrolliert wird dies aber kaum.
Und die zunächst – für durchgeimpfte und durchgetestete Medienschaffende wohlgemerkt – zum Standard erhobene Dreieinhalbtages-Quarantäne wird derzeit mal verhängt und mal nicht. Die Erkenntnis, dass Nachvollziehbar- und Sinnhaftigkeit von Maßnahmen einen Schlüssel für aktive Mitarbeit darstellen, ist keine Säule des Tokioter Systems.
Und so melden die zuständigen Stellen beinahe täglich neue Coronafälle unter Tokio-Fahrern. Bis Dienstag waren es in Tokio rund 70, ein stolzer Teil im Olympischen Dorf. Spiele „safe and secure“, wie IOC-Präsident Thomas Bach sie versprach, eine olympische Zero-Covid-Strategie – eine Illusion.
Und so rühmen sich die Teilnehmer immerhin für Teilerfolge. „Die Athleten im Olympischen Dorf sind zu 80 Prozent geimpft. Wenn eine Nation eine solche Quote hätte, wäre sie froh und nahe der Herdenimmunität“, sagt Australiens Teamarzt David Hughes: „Es ist ein gutes System, dem wir vertrauen“. Das Vertrauen der zu rund 20 Prozent vollständig geimpften Japaner, kein verseuchtes olympisches Erbe zu erhalten, steigert dies nicht. (SID)
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