Serbiens größte Schande

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FUSSBALL - Mit Ratlosigkeit und Entsetzen hat Serbiens Öffentlichkeit auf den von heimischen Hooligans in Italien erzwungenen Spielabbruch reagiert. Wie zwei Tage zuvor in Belgrad waren die Krawalle offenbar auf Bestellung inszeniert.

Von unseremKorrespondentenThomas Roser (Belgrad)

Nur ein tiefer Sprengstoff-Krater blieb im Rasen des Stadions von Genua von Serbiens EM-Hoffnungen zurück. „Entschuldigt bitte“, stammelte mit Tränen in den Augen der seit Jahren bei Inter Mailand spielende Kapitän Dejan Stankovic nach dem frühzeitigen Spielabbruch des EM-Qualifikationsspiels seines Gast- gegen sein Heimatland.

Von einer „Schmach und Schande“ sprach entsetzt Tomislav Karadzic, der Chef von Serbiens Fußballverband: „Was hier passierte, war inszeniert. Und die Auftraggeber sitzen in Belgrad.“

Bezahlte Schläger

Über Hinweise, dass „bezahlte“ Schläger aus Serbien zum Anzetteln von Krawallen nach Italien reisen würden, hatte der Verband schon zwei Tage vor dem Spiel gesprochen. Am SpieltaRANDALE IN GENUA

o Mögliche Strafen: Sie reichen von einer Ermahnung oder einer Geldstrafe bis hin zu einem Stadionverbot oder sogar zur „Disqualifikation für den laufenden Wettbewerb und/oder dem Ausschluss aus zukünftigen Wettbewerben“.

o UEFA-Ermittlungen: Der vorgesehene Termin für das Treffen der Kontroll- und Disziplinarkammer in dieser Angelegenheit ist Donnerstag, der 28. Oktober. g konnte das Match erst mit 35 Minuten Verspätung, wegen der aus dem serbischen Block auf den Rasen segelnden Wurfgeschosse, angepfiffen werden. Als nach sechs Minuten Italiens Torwart Emiliano Viviano von einem Leuchtgeschoss getroffen wurde, war für den schottischen Schiedsrichter Craig Thomson die Schmerzgrenze erreicht: Kurzerhand schickte er die Spieler wieder in die Kabinen.

Die anhaltenden Ausschreitungen im serbischen Block, bei denen 20 Personen verletzt wurden, brachten die Einsatzkräfte erst am frühen Mittwochmorgen unter Kontrolle, als sie die „Besucher“ auf einem eingezäunten Parkplatz zusammentreiben konnten: 17 Rädelsführer wurden verhaftet, von fast 140 serbischen Hooligans die Personalien aufgenommen.

Mit fassungslosem Entsetzen reagierte gestern Serbiens Presse auf die neuerlichen Eskapaden der heimischen Fußball-Schläger. „Serbischer Terror in Genua“, titelte das Boulevardblatt Alo!. „Die Hooligans ermorden den serbischen Fußball“, jammerte die Belgrader Zeitung Blic. „Die Mafia bringt durch den Fußball den ganzen Staat ins Wanken“, ließ die Zeitung Press die Alarmglocken schrillen. Tatsächlich hatten erst am Sonntag mehrere Tausend rechtsextreme Hooligans am Rande der Belgrader Homo-Parade bei Krawallen in der Hauptstadt eine Spur der Verwüstung hinterlassen.

Nicht nur die aufwendige Logistik der Krawalle von Belgrad, sondern auch die offenbar bezahlte Anreise arbeitsloser Schläger nach Italien lassen die heimischen Medien über Drahtzieher aus Geheimdienst und Mafia-Kreisen spekulieren.

Noch ist undeutlich, ob nationalistische Kreise, die sich am pro-europäischen Kurs Belgrads stören, hinter der gezielten Destabilisierung des Landes durch Hooligan-Krawalle stehen oder abgetauchte Drogenbosse, die sich für die Enteignung ihres Vermögens rächen wollen. Für die Unruhen in Genua und Belgrad macht Staatssekretär Slobodan Homen gestern „organisierte Gruppierungen, die finanzielle Unterstützung genießen“, verantwortlich. „Jemand will, dass man uns die Reife für die EU abspricht.“

Tradition

Tatsächlich hat Fan-Gewalt als politisches Kampfmittel in Serbien durchaus Tradition. Schon zu Zeiten des verstorbenen Autokraten Slobodan Milosevic wurden willige Fußball-Schläger von Politikern und Rädelsführern als schlagkräftiges Drohmittel instrumentalisiert.

Serbiens Fußball-Schläger sind bis heute eine Allzweckwaffe im politischen Kampf geblieben. Von Raub über Entführungen bis hin zu Totschlag und Mord reichen die Anklagen gegen die meist polizeibekannten Hooligans. Doch verurteilt wird fast nie.

Politiker und hohe Justizbeamte in den Vorstandsetagen der Clubs dämpfen den Ermittlungseifer der Justiz. „Polizei und Staatsanwaltschaft tun ihre Arbeit. Aber alles kommt zum Stillstand, sobald die Fälle vor Gericht kommen“, klagt die TV-Journalistin Brankica Stankovic. „Serbien hat gute Gesetze – aber niemanden, der sie auch durchsetzt.“ 

Erste Strafen: Ein Jahr Haft 

Einen Tag nach den Krawallen beim EM-Qualifikationsspiel zwischen dem früheren Weltmeister Italien und Serbien in Genua sind die ersten Hooligans in Schnellverfahren verurteilt worden. Ein serbischer Krawallmacher wurde wegen Widerstands gegen die Polizei bei einem Zwischenfall vor dem Spiel zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. „Meine Freunde haben mich gezwungen, die Polizei anzugreifen“, rechtfertigte sich der Angeklagte. Auch ein 18 Jahre alter Fan des einheimischen CFC Genua wurde wegen Widerstands gegen die Polizei mit drei Monaten Gefängnis belegt.