Schmerzhafter Spagat – Niederkorns Fitnesstrainer über die Moral bei Liga und Europapokal

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Auf Euphorie folgte zuletzt meist Ernüchterung anstelle vom anvisierten Erfolg: Je länger die Luxemburger Europapokalteilnehmer international überzeugen, umso schwieriger gestaltet sich für die Spitzenteams die Doppelbelastung mit der heimischen Meisterschaft. Warum es wohl eher eine Einstellungssache ist und nicht an der physischen Verfassung liegt, erklärte Progrès-Fitnesstrainer Jeff Paulus.

Spielverlegungen oder englische Wochen? Der F91 ist als letzter FLF-Klub auf zwei komplett verschiedenen Niveaus unterwegs und bevorzugt in seiner aktuellen Verfassung das Verschieben des nationalen Pflichtprogramms. Einfluss auf diese Entscheidung dürften neben dem großen organisatorischen Aufwand auch die Erfahrungswerte der letzten Jahre genommen haben: Der Trend, dass die doppelbelasteten Vereine schwer in den Ligaalltag hineinfinden, bestätigte sich in diesem Jahr erneut.

Fitnesstrainer Jeff Paulus.

Angefangen eben mit dem Meister selbst. Düdelingen kassierte schon am zweiten Spieltag die erste Saisonniederlage – dies ausgerechnet vier Tage nach der atemberaubenden Darbietung beim polnischen Titelträger Legia Warschau. Das Kontrastprogramm in Luxemburg entpuppte sich als bittere Pille. Zum einen ist es sicherlich auch eine Kopf- bzw. Motivationssache. Weniger Druck, weniger Aufmerksamkeit und eine Routine: Sowohl die Konzentration als auch die Herausforderung waren meilenweit entfernt vom Spektakel auf der europäischen Bühne. Déifferdeng 03 stellte sich geschickt an, während sich F91-Trainer Dino Toppmöller später über den mangelnden Ehrgeiz verschiedener Spieler beklagte, die eben in der Liga nicht überzeugten.

Progrès Niederkorn erlebt dagegen ein wahres Horrorszenario: Zwei Niederlagen in der Meisterschaft, null Punkte und der Abgang von Olivier Thill müssen vor dem morgigen Duell gegen die formstarken Ettelbrücker weggesteckt werden. „Müdigkeit beginnt im Kopf“, erklärte Progrès-Fitnesstrainer Jeff Paulus gestern. Seit drei Jahren arbeitet der ehemalige Handball-Nationalspieler mit den Gelb-Schwarzen zusammen. „Gerade dann geht es darum, auf die Zähne zu beißen.“

Einstellungssache

Das schlechte Abschneiden in der Liga habe nichts mit dem körperlichen Zustand der Spieler zu tun, so seine Analyse. Dreieinhalb Wochen vor dem ersten Europa-League-Duell begann die Vorbereitung beim Vizemeister. „Das erste Fazit ist durchaus positiv. Physisch sind wir gut durch diese Wochen gekommen. Wir haben die ersten beiden Wochen sehr hart trainiert. Danach haben wir einen Tick runtergefahren. Man muss jederzeit flexibel bleiben und sich anpassen.“ Denn nach der Sommerpause kehrten nicht alle Spieler mit den gleichen Voraussetzungen auf den Platz zurück: „Einige halten sich fit, andere machen dagegen gar nichts … Bei den Ausdauertests befanden sich einige in einem desolaten Zustand. Nicht jeder hat eine professionelle Einstellung“, erklärte er trocken.

Individuell angepasst, um das Verletzungsrisiko bei den Nachzüglern zu senken, wurde innerhalb der letzten Tage vor dem ersten Spiel das Volumen runtergeschraubt und die Intensität gesteigert. „Beim Großteil der Spieler ist die richtige Einstellung vorhanden. Andererseits gibt es bei einigen auch einen Grund, warum sie eben in Luxemburg spielen und nicht im Ausland. Meistens hängt es mit der Einstellung zusammen, denn Talent haben sie alle.“

Irgendwann kommt die Wahrheit ans Licht

Ausgerechnet diese Mentalität sei allerdings bei dem anstrengenden Programm ausschlaggebend, so Paulus: „Bei derart langen Reisen, intensiven Spielen und einem hohen Trainingspensum kommt die Wahrheit irgendwann ans Licht. Den Unterschied machen dann die Essgewohnheiten, der Schlaf und die Regeneration“ – Dinge, auf die man als Fitnesstrainer allerdings keinen Einfluss habe. Im Optimalfall heißt dies: Mehr als acht Stunden Schlaf pro Nacht, ein hoher Wasserkonsum und ausschließlich gesunde Ernährung. „Opfer bringen“, um sich zu belohnen.

Paulus betonte, dass diese Negativserie in der Meisterschaft trotz des doppelten Stressfaktors so überhaupt nicht einkalkuliert oder gewollt war. „Es stand schon vor dem Rückspiel gegen Ufa fest, dass es im Fall einer Qualifikation keine Party geben würde, da wir uns auf Rosport konzentrieren müssten. Am Sonntag trafen wir dann auf eine Mannschaft, die von der zusätzlichen Motivation profitierte, uns zu schlagen. Das Niveau in der BGL Ligue ist zu hoch, um mal einfach im Vorbeigehen zu gewinnen.“ Er fügte hinzu: „Es ist menschlich. Man sieht das auch bei Topmannschaften, die sich mittwochs in der Champions League ganz anders präsentieren als am Wochenende gegen ein Team aus dem Tabellenkeller.“

Vor allem das „Wie“ spielt eine Rolle

Vor allem die Tatsache, wie das Ausscheiden gegen den russischen Tabellensechsten zustande gekommen sei, sei an den Niederkornern nicht spurlos vorübergegangen: „Hätten wir ein klares 0:4 kassiert, wäre das Spiel in Rosport wohl auch anders verlaufen“, so Paulus.

Jetzt geht es für den Vizemeister darum, sich aufzurappeln – während der F91 vor einer ganz anderen Bewährungsprobe steht. „Angenommen, Düdelingen qualifiziert sich für die Gruppenphase, dann wird das sehr, sehr hart“, so Paulus. „Jeder der internationalen Gegner hat professionelle Strukturen. Aber man hat auch gesehen, dass es im Gegenzug eine Belohnung gibt, wenn jeder bereit ist, 100 Prozent zu geben.“

„Die Besseren setzen sich am Ende immer ab“

Trotz der beiden Anfangsniederlagen sieht der Niederkorner Fitnesstrainer Jeff Paulus noch keinen Grund zur Besorgnis. Der Erfolg in der Meisterschaft werde in der Dauer erzielt, und nicht durch einen guten Start: „Das Niveau in der Liga ist hoch, doch langfristig werden sich die besseren Teams am Ende immer absetzen können. Am Anfang gelingt es in jeder Saison dem einen oder anderen Team, seine Defizite zu kaschieren. Doch das funktioniert auf Dauer nicht.“

Keine Achterbahn

Wichtig für den Erfolg während englischer Wochen sei ein „gesunder Mix an Intensität“, erklärte Paulus: „Neben der kurzen Regeneration darf man bei den Trainingseinheiten nicht zu sehr runterfahren. Es darf keine Achterbahn zwischen zwei Spielen geben. Wenn du zwischendurch im Training nicht ausreichend forderst, dann wirst du auch in einem Fußballspiel nicht die volle Intensität abrufen können. Während der drei Tage zwischen zwei Spielen geht es nicht darum, Ausdauertraining oder Sprints einzuplanen, sondern beispielsweise Mobilisationstraining, Stretching oder Stabilisierungsübungen einzubauen, für die man sonst vielleicht nicht unbedingt die Zeit hat. Es hat viel mit Feeling zu tun, man muss ein Gefühl dafür entwickeln, wie man 25 Leute gleichzeitig vorbereiten kann.“