IL LombardiaJakobs zweites „Monument“

IL Lombardia / Jakobs zweites „Monument“
Nach zwei vierten Plätzen reichte es gestern für Jakob Fuglsang endlich für den Sieg. Auch in Luxemburg freute man sich mit. Foto: AFP/Marco Bertorello

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Der schwere Sturz von Belgiens Jungstar Remco Evenepoel überschattete Jakob Fuglsangs schönen Sieg bei „Il Lombardia“. Der Däne, der das Rennen zweimal auf Platz vier beendet hatte (2010, 2019), gewann im Alleingang und holte sich nach Liège-Bastogne-Liège (2019) sein zweites „Monument“. Nur 85 der 174 gestarteten Fahrer erreichten das Ziel, darunter kein Luxemburger. Jempy Drucker und Ben Gastauer steckten auf.

Der Radsport ist ein grausamer Sport. Eine Sekunde Unachtsamkeit, ein falsches Manöver, und schon kann es mit dem Traum vom Sieg, mit der Gesundheit und eventuell sogar mit dem Leben vorbei sein. Die Erfahrung des schlimmen Sturzes zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt musste am Samstag bei der Lombardei-Rundfahrt nun auch Belgiens Jungstar Remco Evenepoel machen.

Der 20-Jährige (geb. am 25. Januar 2000 in Schepdaal), den viele als möglichen Nachfolger des legendären Eddy Merckx ansehen, gewann 2020 schon vier Rundfahrten (San Juan International, Algarve, Burgos und Polen). In Como sollte mit „Il Lombardia“ das erste sogenannte „Monument“ hinzugefügt werden. Sein Klassiker-Repertoire hatte Evenepoel im August 2019 mit einem Erfolg bei der Clasica San Sebastian eröffnet.

Überschätzt, verschätzt?

Für den zweifachen Juniorenweltmeister von Innsbruck 2018 (Straße und Zeitfahren) lief bis 40 km vor der Ankunft auf dem Lungo Lario Trento fast alles nach Wunsch. Sein Mannschaftskollege Dries Devenyns sorgte mit einem Höllentempo (die Konkurrenten hatten eine halbe Stunde Vorsprung auf den schnellsten Zeitplan) dafür, dass die Spreu vom Weizen getrennt wurde und oben auf der berüchtigten „Mauer von Sormano“ nur mehr sieben Fahrer für der Erfolg infrage kamen. Neben Remco Evenepoel waren dies Bauke Mollema, Vincenzo Nibali und Giulio Ciccone (alle drei Trek-Segafredo), Jakob Fuglsang und Aleksandr Vlasov (beide Astana) sowie Piemont-Sieger George Bennett (Jumbo-Visma).

In der gefährlichen Abfahrt, wo im Jahr 2017 bereits die Belgier Jan Bakelants und Laurent De Plus sowie der Italiener Simone Petilli gestürzt waren, blies der Spezialist für halsbrecherische Unternehmen, Vincenzo Nibali, zum Angriff, sodass die Spitzengruppe weit auseinandergezogen wurde. Am Schwanz der langen Kette versuchte Evenepoel immer wieder, so nah wie möglich an seinem Vordermann zu bleiben. Hatte der junge Mann, der die Strecke an den Tagen vorher in Augenschein genommen hatte, seine Abfahrtskünste überschätzt oder sich eingangs einer Linkskurve, die über eine schmale, steinerne Brücke führte, ganz einfach verschätzt? Diese Frage kann nur er selbst beantworten, auch wenn dadurch das Malheur nicht aus der Welt geschafft ist.

Beckenbruch

Evenepoel prallte mit dem Vorderrad in die Brücke, die Rennmaschine blieb stehen, der Fahrer flog aus dem Sattel, überschlug sich, prallte mit dem Helm auf der Brückenmauer auf und wurde fünf Meter in die Tiefe geschleudert.

Die schnell am Unfallort eingetroffenen Sanitäter fuhren den Verletzten, der viel Glück im Unglück hatte, in die Klinik Sant’Anna von Como, wo die Ärzte einen Beckenbruch und Quetschungen am rechten Lungenflügel feststellten. Evenepoel klagte auch über Schmerzen am rechten Bein. Am gestrigen Sonntag wurde er in eine belgische Klinik ausgeflogen. Für ihn ist die Saison vorbei, was zehn Tage nach dem Drama um den holländischen Sprinter Fabio Jakobsen einen weiteren schweren Schlag für das Deceuninck-Team bedeutet.

Nach Evenepoels unfallbedingtem Ausfall blieb vorne eine Sechsergruppe übrig, in der überraschenderweise die drei Trek-Fahrer als Erste loslassen mussten. In der Auseinandersetzung mit dem Neuseeländer George Bennett konnte Jakob Fuglsang sich danach eine Zeit lang auf die Unterstützung seines Astana-Mannschaftskollegen Aleksandr Vlasov verlassen, bis auch dieser mit den Kräften am Ende war.

Die Entscheidung fiel im letzten Anstieg San Fermo della Battaglia. Fuglsang konterte einen Angriff Bennetts und machte sich unwiderstehlich auf und davon. Er traf in Como mit 31“ Vorsprung auf Bennett und 51“ auf Vlasov ein. In den Straßen der norditalienischen Stadt gab es einen weiteren bedauerlichen Zwischenfall, als der deutsche Meister Maximilian Schachmann in ein plötzlich auf der Fahrbahn auftauchendes Auto (das mit dem Rennen nichts zu tun hatte) fuhr und zu Fall gebracht wurde. Dabei brach sich Schachmann das Schlüsselbein; er beendete das Rennen trotzdem hinter Mollema (4.), Ciccone (5.) und Nibali (6.) auf dem 7. Rang. Die UCI wird eine Untersuchung einleiten, der Organisator RCS riskiert eine kräftige Geldstrafe.

Der erste Däne

Sieger Jakob Fuglsang, der vor fünf Monaten seinen 35. Geburtstag feierte (geb. am 22.3.1985 in Genf) ist der erste Däne, der seinen Namen ins Palmarès von „Il Lombardia“ eintrug. Er ist mit einer Luxemburgerin (Loulou Schinker) verheiratet, beide haben eine drei Jahre alte Tochter (Jamie Lou) und leben auch teilweise hierzulande.

Fuglsang spricht fließend Luxemburgisch. Er begann seine Berufsfahrer-Laufbahn bei der dänischen Mannschaft Designa Køkken (2006-2008). Danach wechselte er zu den Teams Saxo-Bank (2009-2010), Leopard-Trek (2011) und RadioShack Nissan (2012), ehe er sich 2013 dem Astana-Rennstall anschloss. Dort fühlt er sich seit fast acht Jahren wohl.

Fuglsangs größte Siege vor der Lombardei-Rundfahrt waren der Gesamtgewinn des „Critérium du Dauphiné“ in den Jahren 2017 und 2019 sowie der Erfolg bei Liège-Bastogne-Liège (2019). Der joviale Däne war 2008, 2009 und 2010 bei der Rundfahrt seines Landes vorne, er wurde dänischer Meister sowohl im Zeitfahren (2010, 2012) als auch im Cyclocross (2006) und im Mountainbike (2007). Zudem gewann er die Slowenien-Rundfahrt (2009), die Tour de Luxembourg (2012), die Österreich-Rundfahrt (2012) und die Andalusien-Rundfahrt (2019 und 2020).

Bei den Olympischen Spielen von Rio de Janeiro wurde er als Zweiter hinter dem Belgier Greg Van Avermaet mit der Silbermedaille belohnt. Sein bestes Resultat bei einer großen Rundfahrt ist ein siebter Platz in der Tour de France 2013. In den Jahren 2017 und 2019 musste er die Tour nach Stürzen aufgeben.