Peking 2008 / Radsport: „Ein bisschen Glück, und ich gewinne“

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Gute Miene zum bösen Spiel machen, das ist wohl die beste Beschreibung von Andy Schlecks Gemütslage, nachdem seine großartige Leistung beim olympischen Straßenrennen am Fuße der Großen Mauer am vergangenen Samstag lediglich mit Platz fünf belohnt wurde. Aus Peking berichten Philip Michel (Texte) und Roland Miny (Fotos)

Gute Miene zum bösen Spiel machen, das ist wohl die beste Beschreibung von Andy Schlecks Gemütslage, nachdem seine großartige Leistung beim olympischen Straßenrennen am Fuße der Großen Mauer am vergangenen Samstag lediglich mit Platz fünf belohnt wurde.

Aus Peking berichten Philip Michel (Texte) und Roland Miny (Fotos)

Tageblatt“: Andy, Glückwunsch zu einem tollen Rennen. Wie enttäuscht bist du über Platz 5?
Andy Schleck:
„Es geht mir jetzt schon ein bisschen besser als unmittelbar nach der Zielankunft. Da hätte ich am liebsten die Schweizer Flagge verbrannt. Nein, quatsch. Aber im Ernst: Ich war wirklich sauer. Es hat ein bisschen Glück gefehlt, um das Rennen hier zu gewinnen. Ich war der Einzige, der die Initiative ergriffen hat und attackierte. Jeder hat den anderen nur angeschaut, da musste ich es machen. Das hat ja auch gut geklappt. Wir waren danach zu dritt in der Abfahrt …“
„T“: Deine Fluchtgefährten Sanchez und Rebellin holen Gold und Silber, du nichts!
A.S.:
„Was soll ich sagen? Ich bin noch jung, habe eben die Kraft noch nicht im Sprint, das kommt eher mit dem Alter. Aber es macht keinen Sinn, mir jetzt deswegen den Kopf zu zerbrechen. Man muss das Positive aus der Sache ziehen. Ich bin immerhin 5. bei Olympia und habe dem Roten Löwen auf dem Trikot alle Ehre gemacht. Ich muss aufhören, mir Fragen zu stellen. Es gibt keinen Grund, enttäuscht zu sein. Fünfter bei Olympia – hätte mir das jemand Anfang des Jahres gesagt, ich hätte es unterschrieben.“
„T“: Man hatte den Eindruck, dass eure Gruppe nicht wirklich funktioniert hat, vor allem Rebellin hat sich nicht besonders an der Führungsarbeit beteiligt. Hätte das besser gehen können?
A.S.:
„Natürlich hätte es besser funktionieren können. Die haben aber genau wie ich auch nicht damit gerechnet, dass von hinten noch jemand rankommt. Also verrichtet jeder Führungsarbeit, aber jeder hält auch ein bisschen was unter dem Pedal. Wenn wir zu dritt in so einen Sprint wie hier kommen, dann kann ich auch gut sein. Aber dann kamen die anderen dazu. Hätte ich das gewusst, wäre ich voll gefahren. Lieber Dritter als Fünfter.“
„T“: Du bist also nicht mit dem Gedanken in der Gruppe gefahren: Wir sind zu dritt, also habe ich Bronze sicher?
A.S.:
„Nein, wenn man in dieser Position ist, dann will man mehr. Dann will man gewinnen.“
„T“: Kim und Frank berichten von brutalen Bedingungen. Wie war es für dich?
A.S.:
„Jeder hat die gleichen Bedingungen. Und wenn du gut in Form bist, dann ist es egal, ob es warm oder kalt ist. Dann bist du vorne.“
„T“: Gut in Form warst du ja allemal. Das hat man bei deinen Attacken am Berg gesehen …
A.S.:
„Ja, ich habe mich gut gefühlt. Am Anfang hatte ich Probleme mit dem Atmen, außerdem habe ich mich ein bisschen mit den ganzen Klimaanlagen hier erkältet. Aber das war egal. Jetzt jedenfalls habe ich meine Pause verdient.“
„T“: Bei deinen drei Attacken am Berg, hattest du da die Hoffnung, alleine wegzukommen?
A.S.: „Alleine in der Abfahrt zu sein, wäre sehr schwer gewesen. Trotzdem habe ich es probiert, wobei das Ziel war, Kolobnew abzuhängen. Ich wusste, dass der sehr schnell in einem Sprint ist. Rebellin ist ein schneller Mann und Sanchez hat mich jetzt das dritte Mal so geschlagen. Was soll man da noch sagen …“
„T“: Cancellara hat eine Medaille gewonnen, also kann man schon verstehen, dass er nachgesetzt hat, auch wenn er dein Teamkollege ist?
A.S.:
„Natürlich fahren wir in einer Mannschaft, aber das hier sind Olympische Spiele, da fährt jeder für sein Land. So ist das eben. Bis zwei km vor dem Ziel wollte ich mehr als Bronze. Da habe ich auch ein paar Kräfte gespart. Wie gesagt: Hätte ich gewusst, dass er von hinten kommen würde, hätte ich alles gegeben, um zu dritt anzukommen.“
„T“: Hast du nach dem Rennen mit ihm gesprochen?
A.S.:
„Nach dem Ziel war ich sehr aggressiv. Da war es besser, nicht mit ihm zu sprechen.“
„T“: Man hat dich auf den letzten Kilometern viel auf dem Rad gestikulieren gesehen. Hast du Rebellin und Sanchez gesagt, sie sollen mehr Führungsarbeit verrichten?
A.S.:
„Ich sagte ‚roulez, roulez‘. Und ich dachte, die hätten die Abstände, und sagte ‚combien, combien‘. Hatten sie aber auch nicht. Das war null als Organisation (siehe auch Artikel „Ausgerechnet Cancellara“, d.Red.). Das ist außerdem nicht so leicht: Rebellin spricht etwas Französisch, der andere spricht gar nichts, nur Spanisch. Was will man da machen …?“
„T“: Die Enttäuschung sitzt tief!
A.S.:
„Ich brauche heute viel Bier, um drüber weg zu kommen. Nein, ich mache Witze. Ich bin froh. Wir sind toll als Team gefahren. In der letzten Runde habe ich Kim gefragt, wie er sich fühlt. Er sagte ’nicht besonders‘. Einmal glaubte ich, ihn wieder heranfahren zu sehen. Er war es nicht, also musste ich angreifen.“