Peking 2008 / Radsport: Cancellara zündet Rakete, Kirchen geht Sprit aus

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Während Kim Kirchen beim olympischen Einzelzeitfahren dem Substanzverlust durch die Tour de France Tribut zollen musste und lediglich 23. wurde, fuhr ein wie schon am vergangenen Samstag entfesselter Fabian Cancellara die Konkurrenz auf den letzten Kilometern in Grund und Boden. Aus Peking berichten Philip Michel (Texte) und Roland Miny (Fotos)

Während Kim Kirchen beim olympischen Einzelzeitfahren dem Substanzverlust durch die Tour de France Tribut zollen musste und lediglich 23. wurde, fuhr ein wie schon am vergangenen Samstag entfesselter Fabian Cancellara die Konkurrenz auf den letzten Kilometern in Grund und Boden.

Aus Peking berichten Philip Michel (Texte) und Roland Miny (Fotos)

Als der Weltmeister aus der Schweiz 10 km vor dem Ziel die letzte Antriebsstufe seiner Zeitfahr-Rakete zündete, trudelte Kim Kirchen dem Ziel entgegen. Entkräftet hatte der 30-jährige Luxemburger nach viel versprechenden Beginn (siebtbeste Zwischenzeit nach 10,8 km und bei Rennhälfte) spätestens zu dem Zeitpunkt resigniert, als der eineinhalb Minuten hinter ihm gestartete Schwede Gustav Larsson ihn in der Steigung unmittelbar nach dem Beginn der zweiten Runde überholte.
Kirchens Kräfte schwanden immer mehr und auch sein Wille war gebrochen. „Es ging einfach nicht mehr“, so der Columbia-Profi später im Ziel (siehe Interview Seite 26). In der Endabrechnung hatte Kirchen als 23. 4:18 Minuten Rückstand aufzuweisen.
Während der Luxemburger die Steigung ruhig hinauffuhr und in 10 km fast zwei Minuten auf die Topfahrer verlor, spitzte sich der Kampf um die Medaillen zu. Cancellara hatte im Bergstück seine Führung an den erstaunlichen Schweden Gustav Larsson verloren. „Als ich hörte, dass ich sechs Sekunden zurücklag, habe ich alles gegeben, was ich hatte. Ich wollte auf keinen Fall ohne Gold nach Hause kommen. Denn das wäre eine Niederlage gewesen“, so der Teamgefährte der Schleck-Brüder bei CSC. Und Cancellara tat, was er schon vier Tage zuvor beim Straßenrennen getan hatte.

Husarenstück

Er stellte auf der Abfahrt und im anschließenden Flachstück seine einzigartigen Qualitäten unter Beweis und spulte die letzten gut 12 km 24 Sekunden schneller als der beste Konkurrent ab. Mit einem ähnlichen Husarenstück hatte der Schweizer am Samstag noch Bronze geholt und wesentlich dazu beigetragen, dass Andy Schlecks Medaillenträume kurz vor dem Ziel noch platzten. Da konnte Gustav Larsson machen, was er wollte, er musste sich mit Silber begnügen: „Ich habe versucht, ihn zu schlagen, doch er war zu stark“, so der Schwede, pikanterweise ebenfalls ein CSC-Mann. Überraschend kam die Medaille für ihn freilich nicht. Larsson: „Seit ich im letzten Jahr hier war, wusste ich, dass dieser Parcours mir auf den Leib geschneidert war. Also habe ich alles in die Vorbereitung investiert, was ich hatte.“
An die Stelle des Schweden hätte gestern auch Kim Kirchen treten können, denn der Streckenverlauf kam im Prinzip auch dem Luxemburger Sportler des Jahres entgegen. Während Kirchen allerdings drei Wochen lang in der Tour de France Höchstleistungen vollbrachte, konzentrierte sich Larsson auf Olympia …
Genau wie die nächstplatzierten Astana-Profis Levi Leipheimer und Alberto Contador auch. Ihr Team war von der Tour de France ausgeschlossen worden, doch nur der US-Amerikaner Leipheimer, der kurz vor dem Ziel den drei Minuten vor ihm gestarteten Kirchen überholte, konnte bei Olympia daraus Kapital schlagen und den lange auf Medaillenkurs liegenden Spanier noch überflügeln. Die Belohnung: Bronze. Giro-Gewinner Contador brach dagegen wie schon im Straßenrennen auf den letzten Kilometern ein. Für Cadel Evans und Straßen-Olympiasieger Samuel Sanchez blieben die Plätze fünf und sechs. Genauso geschlagen war Stefan Schumacher, der in der Tour noch beide Zeitfahren gewonnen hatte und gestern enttäuschender 13. wurde.
Auf dem obersten Treppchen des Podiums zeigte derweil der Zeitfahr-Weltmeister von 2006 und 2007 Gefühle. Schließlich hatte Cancellara in Athen lediglich Platz 10 belegt. Auch der Schweizer hatte die Tour in den Beinen, und obwohl er viel Arbeit im CSC-Team verrichtete, fuhr er nicht um eine vordere Platzierung im Generalklassement mit. So hatte er im Gegensatz zu Kim Kirchen in Peking noch genug Raketen-Treibstoff zur Verfügung.