Tokyo 2020Olympische Premiere: Sportklettern mit neuer Disziplin Olympic Combined in Tokio dabei

Tokyo 2020 / Olympische Premiere: Sportklettern mit neuer Disziplin Olympic Combined in Tokio dabei
Das Speedklettern ist eine der drei Disziplinen beim „Olympic Combined“ Foto: AP

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Vom 3. bis 6. August wird bei der olympischen Premiere des Klettersports im Aomi Urban Sports Park in Tokio um Medaillen gerungen und gehangelt. Dass es überhaupt zu dieser Premiere kommt, hat aber eine (sehr) lange Vorgeschichte, in der auch ein luxemburgischer Spitzenkletterer mitmischt.

Nein, es werden nicht die ersten Medaillen fürs „Klettern“ verliehen. Bereits beim Gründungskongress des IOC 1894 wurden Preise für alpinistische Leistungen beschlossen und von Pierre de Coubertin ausdrücklich unterstützt. Allerdings konnte man sich aus verschiedenen Gründen nur bei den Spielen von 1924 in Chamonix, 1932 in Los Angeles und 1936 in Berlin auf Preisträger für eine alpinistische Leistung der letzten Olympiade (vorherige vier Jahre) einigen. Wobei tragischerweise die jeweiligen Preisträger George Mallory (Expedition am Mount Everest) und Toni Schmid (Nordwand des Matterhorns) 1924 bzw. 1932 am Berg ihr Leben ließen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte der Alpinismus dann nicht mehr zum olympischen Programm, doch wurde die International Federation of Sport Climbing (IFSC) 2007 auch aus dem sehr großen Verband der Alpenvereine (UIAA) heraus gegründet, um die internationalen Kletterwettkämpfe zu organisieren und die Sportart zu den Spielen zu bringen. Nach fast zehn Jahren Lobbyarbeit knallten dort am 3. August 2016 die Sektkorken, als bei der IOC-Vollversammlung zumindest für die Spiele in Tokio die (Wieder-)Aufnahme von Baseball/Softball, Karate, Skateboarding, Surfen und eben Sportklettern beschlossen wurde.

Verdienst eines Luxemburgers

An der Entscheidung sicher nicht unbeteiligt war der angesehene Sportwissenschaftler Professor Dr. Norbert Müller von der Uni Mainz, lange Jahre Präsident des „Comité international Pierre de Coubertin“ (CIPC) und u.a. seit 1999 auch Mitglied der Reformkommission des IOC. Jenes CIPC setzt sich hinter dem IOC dabei für den Erhalt der „alten Werte“ des Olympiagründers ein, was sich z.B. in Fragen zum Verhältnis Profi-Amateur, neuen Sportarten, der weltweiten Förderung jugendlicher Ausnahmeleistungen nicht nur im Sport und dem Erhalt seines Andenkens äußert. Zum eigenen Einfluss auf die Einführung des Sportkletterns äußert sich jener Professor Müller selber: „Im August 1999 gab ich der FAZ bereits ein ganzseitiges Interview mit Vorschlägen zur Reform der Jugendausrichtung des IOC, 2012 folgte ein Online-Interview von mehreren Seiten zu Neuerungen jugendgemäßer Sportarten. Beide Male habe ich aufgrund meiner Freundschaft zu Herrn Winckel das Bouldern vorgeschlagen und siehe da, das IOC hat es in das Programm der Olympischen Jugendspiele aufgenommen.“

Jener „ominöse“ Herr Winckel ist seit 2008 Mitglied des CIPC, (noch immer) restlos begeisterter Kletterer am Felsen und er erreichte nach nur vier Jahren 2005 als erster Luxemburger die sehr hohe Schwierigkeit 8b. Unmittelbar nach diesen Sätzen wird Professor Müller noch deutlicher: „Nun wird es (das Sportklettern) auch in Tokio ‘olympisch‘ sein. Das verdanken wir dem Luxemburger Jean-Marc Winckel.“ Natürlich ist dieses alleinige Verdienst überspitzt dargestellt, denn Kritiker verweisen darauf, dass im IOC alleine das Geld regiert.

Da um eine Chance auf die begehrte Aufnahme in das Programm, um deren begrenzte Startplätze und Medaillen (und damit auch verstärkte Unterstützung durch die jeweiligen nationalen Regierungen) zahlreiche Verbände und Funktionäre ringen, muss die Sportart sexy sein. In der Lesart des IOC heißt das, gut fürs Fernsehen und die Medien verwertbar sein, fürs Aufhübschen der angegrauten Spiele frisch und jugendlich wirken, mit sympathischen Stars und weltweiter Verbreitung mit möglichst vielen Anhängern. Und natürlich auch über die nötige Unterstützung bei einigen Funktionären und Ländern verfügen.

Unter Kletterern umstritten

Im eigenen Mutterverband UIAA ist der olympische Ritterschlag dabei durchaus umstritten. Noch vor wenigen Jahren waren so auf der OutDoor-Messe Aufkleber mit „Climbing is not about Olympics“ ziemlich begehrt. Die Bergsteiger und Alpinisten, aber auch die Kletterer am Felsen verstehen ihren Sport als sehr engagierte, aber auch bodenständige, lockere und freundschaftliche Natursportart. Sie fürchten die Kommerzialisierung des Sports, die Korruption des IOC und auch die Dopingproblematik, die abgesehen vom am Felsen ziemlich weit verbreiteten Marihuana bisher eine Randerscheinung ist. Für den Deutschen Alpenverein urteilt Matthias Keller: „Lifestyle-Sportarten wie Surfen, Skaten oder eben Klettern, die als Gegenentwurf zum Leistungssport entstanden sind, tun sich schwerer, sich hier einzupassen. Bei einem Leichtathletik-Verband ist klar, es geht um Wettkampf. Wenn du kugelstoßen gehst, ist klar, dass du Wettkämpfe machst. Kein Mensch betreibt Kugelstoßen im Garten. Beim Klettern gibt es mit dem Felsklettern eine Nicht-Wettkampf-Sparte, die mindestens genauso viel Berechtigung hat wie die Wettkampfsparte, und in der Szene wahrscheinlich sogar noch mehr geschätzt wird und sexyer ist.“

 V.l.n.r.: Die drei Barone Antoine, Geoffroy und Ivan de Navacelle de Coubertin mit Jean-Marc Winckel
 V.l.n.r.: Die drei Barone Antoine, Geoffroy und Ivan de Navacelle de Coubertin mit Jean-Marc Winckel Foto: CIPC

Solange das Klettern in Luxemburg auf das feine, aber kleine Gebiet des „Wanterbaach“ im Mullerthal beschränkt bleibt, befürchtet der Felspionier vom nationalen Verband, Jacques Welter, zudem, dass die nicht erst seit der Pandemie zu beobachtende (zu) starke Frequentierung der Naturfelsen mit einem weiteren Olympiaboom noch zunehmen wird. Zwar beschränken sich in der seit Jahrzehnten boomenden Sportart auch im Hobbybereich viele Sportkletterer auf die zunehmenden künstlichen Kletteranlagen, doch die Angst vor der Überbevölkerung und infolgedessen Sperrung ihrer geliebten Naturfelsen ist in der Kletterszene tief verankert. Zwar ist der Berdorfer „Wanterbaach“ auch die bevorzugte Spielwiese von Jean-Marc Winckel, doch er bringt einen anderen Kritikpunkt vor: „Ich war zwar vielleicht eine Inspiration dafür, Klettern olympisch zu machen. Aber leider hatte ich danach keinen Einfluss darauf, wie das organisiert wird, denn sonst wäre Speedklettern höchstwahrscheinlich nie erwähnt worden.“

Da das IOC nur einen Medaillensatz für jedes Geschlecht und jeweils 20 Startplätze rausrücken wollte, aber alle Disziplinen vertreten sein sollten, wurde extra der neuartige Dreikampf „Olympic Combined“ erarbeitet, den die Sportkletterer selber eher ablehnen.

Weltklasse oder Kreisliga

Allerdings ist mit „höher, schneller, stärker“ das olympische Motto perfekt repräsentiert. Denn beim in Asien populären Speedklettern wird erst eine genormte, 15 Meter hohe Wand in wenigen Sekunden hochgesprintet, ehe es dann beim Bouldern darum geht, wer mit viel Kraft und Akrobatik schwierige Probleme auf Absprunghöhe am besten löst. Und zum Schluss muss man sich beim Leadklettern am Seil die Wand so weit wie möglich hochziehen. Die jeweiligen Platzierungen werden multipliziert und die geringste Punktzahl in der Qualifikation der Männer am Dienstag (3. August) bzw. der Frauen am Mittwoch entscheidet über die acht Finalisten am Donnerstag und Freitag. Ähnlich sieht es im Finale aus, wo der zuletzt startende Führende nach Speed und Bouldern die größten Siegchancen hat, aber auch noch leicht auf den letzten Platz abstürzen kann.

Der bisher wahrscheinlich beste Sportkletterer am Felsen und der Kunstwand, Adam Ondra aus Tschechien, nimmt teil, aber fasst auch kritisch zusammen: „Es wird so aussehen, dass die Speed-Spezialisten keine Chance beim Bouldern und im Lead haben. Das heißt, ins Finale kommen Leadkletterer und Boulderer, die im Speed keine gute Figur machen. Unter diesen wird dann relevant sein, wer im Speed halbwegs gut ist. Es wird also im Finale einen drittklassigen Speedwettkampf mit Boulderern und Leadkletterern geben, was meiner Ansicht nach dämlich ist. Das Publikum will schließlich eine Weltklasse-Leistung sehen und nicht die einer Kreisliga.“

Für Paris 2024 hat das IOC aus der Kritik jedenfalls schon gelernt. Sportklettern bleibt im Programm, erhält aber 68 Startplätze und es gibt sowohl einen eigenständigen Speedwettkampf als auch eine Kombination aus Bouldern und Leadklettern. Ambitionen für den schwierigen Start dort haben auch einige wenige heimische Athleten. Wobei das Speedklettern zwar im „Red Rock“ in Zolver möglich ist, sich der nationale Verband und seine Athleten jedoch bisher auf die beiden anderen Disziplinen fokussieren.