„Mutter aller Comebacks“

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Das Team Oracle hat das Segel-Wunder geschafft: Der Titelverteidiger legte eine der größten Aufholjagden der Sportgeschichte hin und verteidigte den America’s Cup dank eines eindrucksvollen Sieges im letzten Rennen erfolgreich.

James Spithill kostete das Wunder genüsslich aus. Wie ein Imperator ließ sich der Skipper vom Team Oracle von den kreischenden Fans feiern, der Champagner lief ihm über das gebräunte Gesicht, im Arm hielt er die 17 kg schwere und knapp einen Meter große Silberkanne – die Trophäe des America’s Cup als ultimativer Beweis für eine der spektakulärsten Aufholjagden in der Geschichte des Sports, laut The Times die „Mutter aller Comebacks“.

Die älteste Sport-Trophäe der Welt und (v.l.) Tom Slingsby, Jimmy Spithill, Larry Ellison, Ben Ainslie (Bild: AFP / Josh Edelson)

„Wir haben in den Lauf eines Gewehrs geblickt und nicht einmal gezuckt. Wir waren ein fantastisches Team, ich bin so stolz auf die Jungs“, sagte Spithill, strahlte und gönnte sich noch einen Schluck Champagner.

Spithills großer Konkurrent und Widersacher Dean Barker konnte den Anblick der Jubelszenen kaum ertragen. Denn eigentlich hätte sich der 41-Jährige feiern lassen sollen, eigentlich hatte der Steuermann vom Team New Zealand doch schon eineinhalb Hände am ältesten Sportpokal der Welt. Den „Kiwis“ fehlte beim Stand von 8:1 ja nur noch ein Sieg zum dritten Triumph nach 1995 und 2000. Doch das Drama nahm seinen Lauf und Spithill entriss ihm doch noch den schon sicher geglaubten Sieg – was für eine Demütigung und Tragödie. Schon 2003 und 2007 blieb Barker nur Platz zwei.

Jubel ohne Grenzen

Beim Team Oracle kannte der Jubel nach der Segel-Sensation dagegen keine Grenzen, schon direkt nach der Zieldurchfahrt im letzten und alles entscheidenden Rennen hüpfte die Crew um Spithill auf ihrem von Multi-Milliardär Larry Ellison aufgemotzten Katamaran vor Freude auf und ab. „Das ist das größte Comeback in der Geschichte des Cup’s“, sagte Spithill und untertrieb dabei noch.

Denn das „Wunder von San Francisco“ dürfte nicht nur in die Annalen des Segelns eingehen. Das Event entwickelte sich mit 19 Rennen in 19 Tagen nicht nur zur längsten Regatta in der 162-jährigen Geschichte des Cup’s, sondern zu einem echten Thriller. Oracle hatte sich wegen einer Manipulation am hochgezüchteten AC72-Katamaran vor dem Start eine Strafe von zwei Punkten eingebrockt, elf Tage später stand das niederschmetternde Zwischenergebnis von 1:8 auf der Anzeigetafel.

Materialschlacht

Niemand außer Spithill rechnete noch mit einer Rückkehr der US-Amerikaner. „Wir haben uns immer gesagt: Wir können es schaffen, wir können diesen Cup holen“, sagte er, nachdem er den entscheidenden Punkt zum 9:8 eingefahren hatte: „Das war ein fantastisches Rennen und ein unglaublicher Tag.“

„Big Boss“ Ellison ließ es sich an diesem unglaublichen Tag nicht nehmen, die Trophäe als erster in den Himmel zu stemmen. Schließlich hatte der umstrittene Segel-Mäzen und fünftreichste Mensch der Welt, dessen Vermögen auf über 40 Milliarden Dollar geschätzt wird, mit seinem Geld den Showdown erst ermöglicht. Der 34. America’s Cup war noch mehr als die vorherigen Ausgaben eine viel kritisierte Materialschlacht, wurde zur Formel 1 auf dem Wasser hochgejazzt.

200 Millionen

Nur drei anstatt der erhofften zehn bis zwölf Herausforderer stellten sich dem kostspieligen Spektakel, Oracle stemmte ein Budget von rund 200 Millionen Dollar und konnte es sich leisten, das Boot auch während der Wettfahrten ständig weiterzuentwickeln. Am Ende war Ellison ziemlich zufrieden mit sich und der Welt: „Diese Regatta hat das Segeln für immer verändert. Es war ein atemberaubendes Spektakel auf dem Wasser. Viele Menschen haben sich nicht für Segeln interessiert – doch sie tun es jetzt.“

Doch in den Jubel mischten sich auch nachdenkliche Stimmen. Oracle-Cheftaktiker Ben Ainslie, dem ein maßgeblicher Anteil an dem Triumph zugeschrieben wird, erinnerte in der Stunde des Sieges an seinen in der Vorbereitung auf die Traditions-Regatta tödlich verunglückten Freund Andrew Simpson, Stratege des schwedischen Artemis-Teams. „Er hätte diesen Wettbewerb geliebt. Er hätte gedacht, dass das ein unglaubliches Rennen gewesen ist“, sagte Ainslie, mit dem Spithill neun Siege in den letzten 13 Rennen einfuhr.

Strippenzieher hinter den Kulissen des Oracle-Teams war übrigens ein Neuseeländer – ausgerechnet. Superstar Russel Coutts, wie Ainslie Olympiasieger, hatte seinen Platz auf dem Katamaran jüngeren überlassen, zog als Teamchef aber die Fäden im Hintergrund. Das hatte der heute 51-Jährige auch schon 2003 getan – vor der Küste Neuseelands sogar, aber in Diensten des Schweizer Syndikats Alinghi.