„Sport hat mir das Leben gerettet“

„Sport hat mir das Leben gerettet“
(dpa)

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Interview mit Jackie Stewart, dreifacher Formel-1-Weltmeister und Dyslexiker.

Sir Jackie Stewart ist einer der ganz großen des internationalen Motorsports: Seine drei Weltmeistertitel machen ihn als Formel-1- Fahrer genauso unsterblich wie sein harter Kampf für mehr Sicherheit im Rennsport. Weniger bekannt ist, dass Stewart Legastheniker ist und einer der wichtigsten Botschafter in Sachen Dyslexie. In dieser Eigenschaft nimmt der Schotte am Samstag am „Forum international sur les troubles d’apprentissage“ auf Kirchberg teil.

Steckbrief

Name: Sir John Young „Jackie“ Stewart
Geboren am 11. Juni 1939 in Milton (Schottland)
Wohnort: Ellesborough (England)
Familienstand: Seit 1962 mit Helen verheiratet, zwei Söhne
Formel 1: 99 Grand-Prix-Starts zwischen 1965 und 1973 für B.R.M., Matra , March und Tyrrell. 27 Siege, 17 Pole-Positions, dreifacher Weltmeister (1969, 1971, 1973)
Zitat von Jackie Stewart:
„Ein Rennfahrer zu sein, bedeutete damals, dass man nicht die Möglichkeit, sondern die hohe Wahrscheinlichkeit des Todes akzeptieren musste. Wenn ein Formel-1-Fahrer fünf Jahre im Cockpit saß, dann starb er eher auf der Strecke, als dass er überlebte und sich zur Ruhe setzte.“
Zitat über Jackie Stewart:
„Er war nicht nur ein großer Fahrer, sondern einer der größten Protagonisten des Motorsports.“ (Journalist Kevin Eason)

„Bis heute kenne ich noch jeden Schalt- und jeden Bremspunkt. Statt Worten haben sich bei mir Erfahrungswerte ins Gedächtnis gebrannt. Ich hatte für die ganzen Widrigkeiten auf der Strecke ein fotografisches Gedächtnis“, sagt Jackie Stewart. Als er von der Queen zum Ritter geschlagen wurde, konnte Stewart eigenen Angaben zufolge die britische Nationalhymne „God Save The Queen“ nur mitsummen, weil er sich den Text nicht merken kann.
Im Tageblatt-Interview berichtet der 76-jährige Schotte von seinen Erfahrungen im Bereich der Dyslexie.

Tageblatt: Sir Jackie Stewart, wir erwischen Sie gerade im Auto. Sie führen mit 76 Jahren nicht gerade das Leben eines Rentners, oder?
Jackie Stewart: (lacht) Nein, das kann man nicht behaupten. Ich reise durch die Welt und halte viele Reden über Dyslexie. Und ich bin Präsident des schottischen Dyslexie-Verbandes.

Haben Sie den Eindruck, in dieser Funktion viel erreicht zu haben?
J.S.: Ja, wir in Schottland sind schon einen weiten Weg gegangen. Trotzdem stelle ich fest, dass sich in den letzten 25 Jahren nicht wirklich viel verändert hat.

Inwiefern?
J.S.: Das Problem Dyslexie wird von den politischen Entscheidungsträgern nicht richtig angegangen. Noch immer werden Kinder mit Lese- und Rechtschreibstörungen in der Schule als dumm oder faul abgestempelt. Das ist in unserer heutigen Gesellschaft fatal, denn in den meisten Jobs wird immer mehr Schreib- und Computerarbeit verlangt. Jemand, der nicht gut lesen und schreiben kann, hat da keine Chance. Er fällt durch das Raster.

Haben Sie als Kind ähnliche Erfahrungen gemacht?

J.S.: Absolut, ich galt als dumm. Und wenn einem tagtäglich vermittelt wird, man sei dumm, dann kann das verheerende Folgen haben. Man bekommt psychische Probleme, viele flüchten in den Alkohol, werden kriminell. Es ist ein Teufelskreis. Wissen Sie, dass 70% der Häftlinge in Schottland weder lesen noch schreiben können? Nur zugeben würde das keiner.

Wie sind Sie diesem Teufelskreis entflohen?
J.S.: Durch den Sport. Der hat mir das Leben gerettet. Ich war voller Komplexe, da die Lehrer mir ständig sagten, ich sei dumm. Ich bin ein extremer Dyslexiker und kann mir noch nicht mal das ABC merken, geschweige denn einen Psalm oder die Nationalhymne. Im Sport allerdings wurde die Dyslexie zum Vorteil.

Warum?
J.S.: Ab 14 gehörte ich dem Nationalkader im Tontaubenschießen an. Ich war richtig gut, hätte es um ein Haar zu den Olympischen Spielen geschafft. Erst mit Anfang 20 habe ich mit dem Rennsport begonnen.
Ich habe eine sehr gute Hand-Auge-Koordination. Das hilft schon mal. Aber der Grund dafür, dass es so viele berühmte Dyslexiker (siehe Kasten, d.Red.) gibt, ist eher der Ehrgeiz. Wenn jemand, der als Versager gilt, in etwas sehr gut ist, dann fokussiert er sich noch stärker darauf. Schon alleine, um sich selber zu beweisen, dass er eben kein Versager ist.

Was muss sich ändern, damit Kinder mit Lernstörungen besser gefördert werden?
J.S.: Die verantwortlichen Politiker sollten sich endlich ihrer Pflicht bewusst werden. Mir scheint es, dass sie das Problem nicht als solches anerkennen. Dabei handelt es sich um kein kleines Problem, immerhin gehen neueste Schätzungen in Schottland von 15% Schülern mit Dyslexie-Problemen aus. Diese Kinder müssen besser gefördert werden. Dazu muss man aber erst eine Lernstörung diagnostizieren können. Unter dem Strich brauchen wir also besser ausgebildetes Lehrpersonal. Dyslexie muss einen größeren Platz in der Lehrerausbildung bekommen.

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Berühmte Dyslexiker/Legastheniker

Agatha Christie
Albert Einstein
Alfred Hitchcock
Auguste Rodin
Bill Gates
Charles Darwin
Cher
Diego Maradona
Dustin Hoffman
Ernest Hemingway
Ferdinand Karl Piëch
François Mitterrand
Franklin D. Roosevelt
Galileo Galilei
George S. Patton
George Bush
Hans Christian Andersen
Jack Nicholson
Johannes Gutenberg
John Irving
John Lennon
Jules Verne
Karl XVI. Gustaf
Leonardo da Vinci
Ludwig van Beethoven
Michael Jackson
Wolfgang Amadeus Mozart
Napoleon Bonaparte
Nigel Kennedy
Orlando Bloom
Pablo Picasso
Prinz Charles
Richard Branson
Robbie Williams
Salvador Dalí
Sir Steven Redgrave
Steve Jobs
Stephen Hawking
Stephen Spielberg
Thomas Edison
Tommy Hilfiger
Walt Disney
Whoopi Goldberg
Winston Churchill

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Dossier „Forum Dyslexie“