„Möchte nicht in seiner Haut stecken“

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Der Rahmen, in dem sich Andy Schleck erstmals zu seinem nachträglichen Sieg 2010 bei der Tour de France äußerte, passte perfekt ins Bild dieser unsäglichen Geschichte.

Andy Schleck, der den Titel wohl annimmt, allerdings nicht von einem Sieg spricht, wählte einen einfachen, schlichten Rahmen.

In einer Bar-Ecke des Hotels Iberostar hatte er einen kleinen, exklusiven Kreis von Journalisten um sich versammelt. Pomp, wie er ihn eh nicht mag, lautes Getöse wäre Fehl am Platz gewesen. Seine Worte hatten einen leicht traurigen Unterton. Diese Bühne war definitiv nicht die richtige, um einen Sieg bei der Tour zu feiern. Dafür gibt es einen wesentlich geeigneteren Ort: in Paris auf den Champs-Elysées.

Tageblatt: Als die offizielle Entscheidung des CAS publik wurde, warst du gerade trainieren. Hat man dir die Entscheidung unterwegs mitgeteilt?

Andy Schleck: „Nein, eben nicht. Ich habe bewusst kein Telefon mitgenommen, aus den bekannten Gründen. Ich wusste ja auch, dass in etwa um die Zeit das Urteil bekannt gemacht würde. Ich wollte mich auf mein Training konzentrieren und mich nicht ablenken lassen. Ich bereite schließlich gerade eine neue Saison vor.“

Du hast es also als Erstes von Johan Bruyneel erfahren, als du vom Training zurückkamst?

„Ja, er hat mir die Situation erklärt. Wie ich es bereits im Vorfeld mehrmals gesagt habe, wird das Urteil des CAS entweder Schwarz oder Weiß sein. Es ist Schwarz und ist nicht gut ausgegangen für ihn (Alberto Contador, d. Red.). Auch für mich ist es nicht gut, auch nicht für den Radsport. Der einzig positive Punkt ist, dass die Affäre Contador endlich zu den Akten gelegt worden ist. Und ich bin jetzt hier.“

Wie schwer war die Last, die auf dem Radsport im Allgemeinen und auf Alberto Contador lastete?

„Für jeden, der Rad fährt, war es schwer. Vielleicht ist dem Radsport ja jetzt eine kleine Pause vergönnt, nachdem in der Vergangenheit viele Geschichten durch den Raum geisterten und die eine oder andere davon beim CAS oder anderen Verbänden lag. Nun gibt es keine mehr und vielleicht können wir jetzt etwas durchschnaufen.“

Schwer genug

Wird dieses Urteil deiner Meinung nach jetzt deine Vorbereitung auf die Tour de France beeinflussen? Dass du in den kommenden Monaten immer wieder darauf angesprochen werden wirst?

„Nein, gar nicht. In meiner Vorbereitung wird sich definitiv nichts ändern. Die Tour ist mit und ohne Contador schwer genug. Ich bin sie bereits ohne ihn gefahren, und dann waren sie auch schwer genug. Genauso gut bin ich sie bereits an seiner Seite gefahren und dann waren sie nicht leichter. Klar ist er immer ein Favorit, wenn nicht der Topfavorit. Dieses Jahr wird er nicht am Start sein, letztes Jahr war er es, und da war er hinter mir. Letztes Jahr hat mich Cadel Evans geschlagen. All das wird meiner Meinung nach keinen Einfluss auf meine Tour-Vorbereitung haben.“

Ist es nicht frustrierend, 18 Monate auf das Urteil warten zu müssen, bzw. ist es dir nicht etwas peinlich, auf diese Art und Weise die Tour 2010 zu gewinnen?

„Es ist, wie ich bereits gesagt habe: Schwarz oder Weiß. Klar nehme ich, wenn mir der Weltverband oder die Organisatoren der Tour de France den Titel 2010 schenken, den Sieg an. Allerdings nicht, um darauf stolz sein zu können. Um die Tour zu gewinnen, muss man in Paris ganz oben auf dem Podium stehen. Die Tour de France zu gewinnen, das ist auch, mit der ganzen Mannschaft über die Champs-Elysées zu fahren. Das sind die Dinge, die dir in Erinnerung bleiben. Und dieses Gefühl habe ich bislang nicht kennen gelernt. Der Sieg 2010 ist ein Titel, kein Sieg. Sollte ich dieses Jahr gewinnen, wäre es ein Sieg für mich.“

Geht der Radsport als Verlierer aus der Affäre Contador hervor?

„Schwer zu sagen. Die einen waren für, die anderen gegen eine Sperre. Ich bin der Meinung, dass diese lange Zeit nicht gut für den Radsport war.“

Wie sah es während dieser 18 Monate in dir aus?

„Ich selbst habe die letzten 18 Monate nicht viel daran gedacht, ihr (Andy Schleck zeigt auf uns Journalisten, d. Red.) habt sicherlich mehr daran gedacht als ich selbst. Ich bin 2011 eine gute Saison gefahren, habe mich während der Tour und der Klassiker gut in Szene setzen können, mich gezeigt. In dieser Hinsicht hat sich nichts verändert und es wird sich auch zukünftig nichts ändern. Morgen (heute) werde ich ganz normal mein Rennen fahren, genauso wie auch bei der Tour. Und die versuche ich dann auf der Straße zu gewinnen.“

Wie waren die Reaktionen in Luxemburg?

„Ich habe lediglich mit meinen Eltern und meiner Freundin gesprochen. Mein Vater sieht es genauso wie ich. Er war auch Profi und er ist ebenfalls der Meinung, dass man Rennen auf der Straße gewinnen muss und dort seine Trophäe erhalten sollte.“

Hast du Kontakt mit Alberto Contador gehabt?

„Ich habe gestern (Sonntag) mit ihm gesprochen. Er hat mir nur gesagt, dass er nach Hause fliegen würde zu seiner Familie, um dort die Entscheidung abzuwarten. Seine Chancen waren 50/50, gut oder schlecht aus dieser ganzen Sache herauszukommen. Ich möchte jetzt nicht in seiner Haut stecken. Es ist eine schwere Situation jetzt für ihn wie auch für seine Mannschaft, die einen großen Leader verloren hat, wenn nicht sogar den größten. Wir sind immer noch Freunde, aber klar hat die ganze Geschichte mit dem Kettensprung auch eine gewisse Distanz zwischen uns gebracht. Das, was er damals gemacht hat, war nicht ’nice‘. Aber ich wünsche ihn mir so schnell es geht zurück, um wieder mit ihm und gegen ihn fahren zu können. Und ich bin mir sicher, er wird sehr stark zurückkehren. So eine Situation wünscht man nicht mal seinem größten Feind.“

Ist nach diesem Urteil das Kapitel Tour de France 2010 nun endgültig abgeschlossen?

„Für mich war dieses Kapitel bereits in Paris beendet, wo ich zu Alberto hochschauen musste, der 39 Sekunden vor mir lag. Es hätte meine Tour de France werden sollen, werden können, doch ich habe sie wegen eines technischen Defekts an meinem Rad verloren. Diese Dinge können immer wieder passieren; einmal, zweimal, dreimal, viermal und mehr. Ich wünsche mir lediglich, dass sie mir nicht mehr passieren, und vor allem nicht mehr in einer Situation wie jener, in der ich mich damals befand.“

(Christophe Junker/Palma de Mallorca/Tageblatt.lu)