Leichtathletik / WM in Berlin: Brigitte, Billys Sohn und der „Bär aus Berlin“

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Der Buchstabe B spielte gestern Abend bei allen vier Entscheidungen am fünften WM-Tag im Berliner Olympiastadion eine gewichtige Rolle. Einmal auch eine negative, und trotz Brigitte, Billys Sohn und des „Bären aus Berlin“ wollen wir mit B wie „Betrug, möglicher“ anfangen. / Aus Berlin: „T“-Redakteur Claude Clemens

Das Tageblatt hatte in der gestrigen Ausgabe seine Zweifel angedeutet, was die neue 800-m-Überfliegerin Caster Semenya aus Südafrika angeht (siehe Randnotiz „Linke Verteidigerin“). Nun, gestern bestätigte der Weltverband IAAF, einen Geschlechts-Test für die 18-Jährige mit dem jungenhaften Körper angeordnet zu haben! Das Ergebnis soll innerhalb einer Woche vorliegen.
Semenya gewann das Finale gestern demnach unter Vorbehalt, und packte auf ihre achtsekündige Steigerung innerhalb eines Jahres noch mal 1,27 Sekunden drauf auf nun 1.55,45. Sollte eine neue Weltmeisterin gebraucht werden, steht die Zweitplatzierte bereit: Titelverteidigerin Janeth Jepkosgei aus Kenia (1.57,90). Um im (in etwa) gleichen Register zu bleiben: Die fünf mit einem Stimulans erwischten und freigesprochenen, aber sich noch in der Berufungsinstanz befindlichen Jamaika-Sprinter (das „T“ berichtete) werden in Berlin nicht in den Staffeln eingesetzt werden.

„Bärlin“

Reagierte das Publikum irgendwie reserviert auf Semenyas Sieg – wieso, ist nicht bekannt, vom Stadionsprecher war es jedenfalls nicht über den Vorbehalt informiert worden –, so war es kurz zuvor regelrecht explodiert.
Der „Lautsprecher“ der deutschen Leichtathletik, Robert Harting aus Berlin, hatte mit seinem allerletzten Versuch im Diskuswerfen aus Silber noch Gold gemacht. Angetrieben von „seinem“ Publikum beförderte der 24-Jährige die Zwei-kg-Scheibe auf 69,43 m. Der „Bär aus Berlin“ verdrängte den Polen Piotr Malachowski (69,15) – der nicht mehr kontern konnte – noch auf Platz zwei, und Seriensieger Gerd Kanter aus Estland (amtierender Weltmeister und Olympiasieger) war mit 66,88 m eh nur Bronze geblieben.
Kurz zuvor hatte der Sohn einer Lauflegende es seinem Vater gleich getan. 1987 und 1991 war der Kenianer Billy Konchellah Weltmeister über 800 m geworden, gestern siegte Youssef Saad Kamel über 1.500 m. Für Bahrain, dessen Staatsbürgerschaft er 2003 angenommen hatte. Wie sein Nationalitätenwechsel wird wohl auch dieser Titel im Golfstaat fürstlich entlohnt werden. „Ich will meinen Vater schlagen, will dreimal Weltmeister werden“, kündigte der ehemalige Gregory Konchellah nach seinem souveränen Spurtsieg in 3.35,93 Minuten weitere Großtaten an (er ist übrigens auch für die 800 m gemeldet). Der Äthiopier Deresse Mekonnen wurde Zweiter, Titelverteidiger Bernard Lagat (USA) Dritter und der wahrscheinliche Olympiasieger 2008 – der Bahrainer Rashid Ramzi war bei Pekinger Nachkontrollen bekanntlich positiv auf CERA getestet worden – Asbel Kiprop (Kenia) nur Vierter.
Und nach den Sprints heizt Jamaika den USA nun auch auf den Hürden ein: Brigitte Foster-Hylton gewann die 100 m Hürden der Damen in 12,51 Sekunden, vor der Kanadierin Priscilla Lopes-Schliep und einer weiteren Jamaikanerin, Delloreen Ennis-London. Die erste US-Amerikanerin kam auf Rang sechs (Virginia Powell), Olympiasiegerin Dawn Harper wurde gar nur Siebte.
Das markante Ereignis der Vorentscheidungen gestern war der Abtritt von der großen Leichtathletik-Bühne einer großen Athletin. Anders als ihre Landsfrau Steffi Nerius ging sie aber nicht mit einem Paukenschlag, sondern nach einem misslungenen Wettkampf still und leise als 23. der Qualifikation: Diskuswerferin Franka Dietzsch wollte bei der Heim-WM unbedingt noch einmal dabei sein, bekam aber keine Topform mehr aufgebaut. Und doch trat die 41-Jährige, 1998 Europameisterin und dreifache Weltmeisterin – sie war auch die Titelverteidigerin –, mit einem Ausrufezeichen ab: Berlin war ihre zehnte WM (von zwölf, nur zur Erinnerung). Ein Rekord, den sie mit der portugiesischen Geherin Susana Feitor (Zehnte am Sonntag über 20 km) teilt.
Im 400-m-Duell sandte in den Halbfinals LaShawn Merritt mit Weltjahresbestzeit (44,37) ein starkes Signal an US-Landsmann Jeremy Wariner (44,69), während Usain Bolt auch durch das 200-m-Halbfinale spazierte. Nächster Teil der Bolt-Show: Im Finale heute Abend.

DIE WM-ENTSCHEIDUNGEN VOM MITTWOCH

Männer
1.500 m: Gold: Youssef Saad Kamel (Bahrain) 3:35,93 Minuten; Silber: Deresse Mekonnen (Äthiopien) 3:36,01; Bronze: Bernard Lagat (USA) 3:36,20
4. Asbel Kiprop 3:36,47, 5. Augustine Kiprono Choge (beide Kenia) 3:36,53, 6. Mohamed Moustaoui (Marokko) 3:36,57, 7. Mehdi Baala (Frankreich) 3:36,99, 8. Lopez Lomong (USA) 3:37,62, 9. Belal Mansoor Ali (Bahrain) 3:37,72, 10. Amine Laalou 3:37,83, 11. Abdalaati Iguider (beide Marokko) 3:38,35, 12. Leonel Manzano (USA) 3:40,05.
Diskuswurf: Gold: Robert Harting (Deutschland) 69,43 m; Silber: Piotr Malachowski (Polen) 69,15; Bronze: Gerd Kanter (Estland) 66,88
4. Virgilijus Alekna (Litauen) 66,36, 5. Casey Malone (USA) 66, 06, 6. Zoltan Kövago (Ungarn) 65,17, 7. Bogdan Pischtschalnikow (Russland) 65,02, 8. Gerhard Mayer (Österreich) 63,17.

Frauen
800 m: Gold: Caster Semenya (Südafrika) 1:55,45 Minuten; Silber: Janeth Jepkosgei (Kenia) 1:57,90; Bronze: Jennifer Meadows (Großbritannien) 1:57,93, 4. Julija Krewsun (Ukraine) 1:58,00, 5. Marija Sawinowa (Russland) 1:58,68, 6. Elisa Cusma Piccione (Italien) 1:58,81, 7. Mayte Martinez (Spanien) 1:58,81, 8. Marilyn Okoro (Großbritannien) 2:00,32.
100 m Hürden (0,2 m Rückenwind): Gold: Brigitte Foster-Hylton (Jamaika) 12,51 Sekunden; Silber: Priscilla Lopes-Schliep (Kanada) 12,54; Bronze: Delloreen Ennis-London (Jamaika) 12,55
4. Derval O’Rourke (Irland) 12,67, 5. Sally McLellan (Australien) 12,70, 6. Virginia Powell (USA) 12,78, 7. Dawn Harper (USA) 12,81, 8. Perdita Felicien (Kanada) 15,53.

WM HEUTE

Männer
200 m (20.35): WR: 19,30 Usain Bolt (Jamaika) 20.8.2008; JWB: 19,58 Tyson Gay (USA); OS: 19,30 Usain Bolt (Jamaika); WM: 19,76 Tyson Gay (USA); Fav.: 19,59 Usain Bolt (Jamaika)
110 m Hürden (20.55): WR: 12,87 Dayron Robles (Kuba) 12.6.2008; JWB: 13,04 Robles; OS: 12,93 Robles; WM: 12,95 Liu Xiang (China); Fav.: 13,04 Robles
Zehnkampf: WR: 9.026 Roman Sebrle (Tschechien) 27.5.2001; JWB: 8.654 Leonel Suárez (Kuba); OS: 8.791 Bryan Clay (USA); WM: 8.676 Sebrle; Fav.: 8.654 Suárez, 8.516 Trey Hardee (USA)

Frauen
400 m Hürden (20.15): WR: 52,34 Julia Petschonkina (Russland) 8.8.2003; JWB: 52,63 Lashinda Demus (USA); OS: 52,64 Melaine Walker (Jamaika); WM: 53,31 Jana Rawlinson (Australien); Fav.: 52,63 Lashinda Demus (USA)
Hochsprung (19.10): WR: 2,09 Stefka Kostadinowa (Bulgarien) 30.8.1987; JWB: 2,06 Ariane Friedrich (Deutschland); OS: 2,05 Tia Hellebaut (Belgien); WM: 2,05 Blanka Vlasic (Kroatien); Fav.: 2,06 Friedrich, 2,05 Vlasic