Kleinkrieg und Köpferollen

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In der Luxemburger Kampfsportwelt herrscht (wieder einmal) dicke Luft.

In der Luxemburger Kampfsportwelt herrscht (wieder einmal) dicke Luft. Nachdem FLAM-Präsident Fred Bertinelli nicht mehr in den eigenen Karate-Vorstand zurückgewählt worden ist, verspricht die Jahreshauptversammlung hochexplosiv zu werden.

Von Christelle Diederich

Eigentlich war es zuletzt – zumindest außersportlich – recht still um den nationalen Kampfsportverband geworden. Doch die Karatekas haben sechs Wochen vor der großen Jahreshauptversammlung mit allen Sparten der FLAM am 20. März in Strassen ein wahres Erdbeben im Verband ausgelöst. Ausgangspunkt des neuen Skandals ist die Repräsentanten-Wahl des Karates für den „Comité directeur“ des Verbandes. Bertinelli hatte es dort überraschend nicht unter die elf Erstgewählten geschafft – und spricht von einem Putsch gegen seine Person. Das gleiche Schicksal ereilte den Kassierer der FLAM, Fred Charlé – wie Bertinelli übrigens auch vom Differdinger Klub.

Vorwürfe von A bis Z

Persönliche Interessen, Diktatur, eine Quittung – die Palette an gegenseitigen Vorwürfen reicht von A bis Z. Ob und wie es nun für Bertinelli weitergeht, steht noch nicht fest. Er selbst möchte die beiden letzten „plénières“ (Vorstandswahlen) abwarten, bei denen u.a. der neue Judo-Vorstand gewählt wird, und könnte dann über eine Sparte zur Wahl des „Comité directeur“ antreten.

Eine friedliche Zusammenarbeit scheint allerdings mit Blick auf die aktuelle Sachlage unmöglich. Ohnehin hätte die Nominierung Bertinellis als Präsident nach diesem Erdbeben einen faden Beigeschmack.

Kurios: Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch der Karate eine Kandidatur Bertinellis als FLAM-Präsident unterstützen wird – Hauptsache er mischt sich nicht in das Tagesgeschäft ein und lässt den „Comité Karaté“ in Zukunft autonom entscheiden. Die Frage ist allerdings, inwiefern dies überhaupt umsetzbar ist. Zudem würde Bertinelli später im „Comité directeur“ den Leuten gegenübersitzen, die ihn mit aller Macht aus ihrem eigenen Vorstand raushaben wollten … Alles andere als optimale Voraussetzungen für konstruktive Arbeit.


Comité directeur  

Die FLAM („Fédération des arts martiaux“) setzt sich aus 18 Disziplinen zusammen und zählt mittlerweile über 6.000 Mitglieder. Intern hat jede Sportart die Möglichkeit, einen oder mehrere Vertreter für den „Comité directeur“ vorzuschlagen, je nach Anzahl der Lizenzierten. Seit acht Jahren wurden u.a. FLAM-Präsident Fred Bertinelli und dessen rechte Hand Fred Charlé vom Karate (rund 2.000 Lizenzen) für das Gremium vorgeschlagen. Insgesamt sind derzeit acht Personen mit einer Lizenz in einem Karate-Verein im „Comité directeur“, darunter auch Jean-Claude Roob, der große Gegenspieler von Bertinelli.


„Ein Putsch“: Enttäuschung und viele offene Fragen

Fred Bertinelli badet die Folgen einer Statutenänderung aus: Gegen den massiven Gegenwind des Klubs mit der höchsten Anzahl an Stimmberechtigten flog ihm das Reglement vor zwei Wochen regelrecht um die Ohren. Nach zehn Jahren Einsatz, dem Bau einer nationalen Kampfsporthalle und der Verdopplung der FLAM-Lizenzen verpasste ihm die heimische Karate-Sparte einen heftigen Denkzettel und wählte ihn ab.

Er selbst sieht seinen Fehler mittlerweile ein: die von ihm genehmigte Statutenänderung, bei der die Anzahl an Stimmberechtigen bei der Wahl des Comité Karate proportionell an die Mitgliederzahl des jeweiligen Vereins gekoppelt wurde. Damit hat Strassen derzeit elf Stimmen – „demesuréiert an ondemokratesch“, wie der Präsident der FLAM jetzt einsehen musste. „Es war ein Putsch.“

Bertinelli kritisierte die Tatsache, dass man die Anzahl der Vorstandsmitglieder von 15 auf elf runtergeschraubt hat, obwohl 18 Kandidaturen vorlagen. „Man hat mir vorgeworfen, ich wäre ein Diktator, aber von den elf Gewählten haben fünf ihre Lizenz im gleichen Verein …“
Ausgerechnet aus dem Klub, der kürzlich in die nationale Kampfsporthalle eingezogen ist, wehte der stärkste Gegenwind: „Er (Jean-Claude Roob) meint, es wäre seine Halle und er würde alleine über sie verfügen. Ich denke, dass es doch möglich sein sollte, sich bei sechs Tatami über eine Aufteilung einig zu werden … Er war es, der damals auf mich zukam wegen der Halle und das ist der Dank dafür!“, beschreibt Bertinelli die zerfahrene Situation mit dem Präsidenten des Strassener Klubs.

Das ist allerdings nicht die einzige Meinungsverschiedenheit, die er mit Roob hatte. Auch die Tatsache, dass Roob als Oberhaupt der Schiedsrichter die Kämpfe der eigenen Klubmitglieder leitete, stieß Bertinelli sauer auf. „Ich habe mich immer für die kleinen Klubs eingesetzt. Aber jetzt machen wir einen Schritt zurück, in die Richtung, dass ein einziger Verein das Sagen hat“, fuhr er fort.

Divergenzen gab es auch mit dem „Directeur technique“, Jean-Claude Henry, der Personal ohne Absprache mit der FLAM eingestellt habe. Auch müsste man seine Neutralität in Bezug auf die Entscheidungen gegenüber seiner Tochter im Nationalkader infrage stellen.

Unterstützung

Man merkte es Bertinelli an: Diese Wahl hat ihre Spuren hinterlassen. Auch zwei Wochen danach dominierten die Enttäuschung und die vielen unbeantworteten Fragen vor der anstehenden Generalversammlung. An Unterstützung für eine Kandidatur als FLAM-Präsident mangele es nicht. Ob er sich diese Bürde in Anbetracht des Vertrauensbruchs aber noch einmal auferlegen will, bleibt abzuwarten.


„Nicht demokratisch“: Roob und Henry setzen auf Dialog

Mehr Dialog, weniger Monolog: Diese bescheidenen Ziele des neues „Comité Karaté“ scheinen nicht unüberwindbar. Die beiden Erstgewählten Jean-Claude Roob und Jean-Claude Henry verheimlichten ihre persönlichen Differenzen mit Fred Bertinelli diesbezüglich auch nicht. Gemeinsam wollen beide nun eigenen Aussagen zufolge mit mehr Struktur einen demokratischeren Weg gehen.

Jean-Claude Roob ist Präsident des Strassener Karate-Klubs und erhielt bei der Abstimmung vor zwei Wochen die meisten Stimmen. Aus seiner Sicht hat sich Bertinelli zu oft über die Ideen und Vorschläge anderer hinweggesetzt. Man habe ein Zeichen in Richtung „mehr Demokratie“ setzen wollen, beschreibt Jean-Claude Roob den Wahlvorgang. Dass man die Zahl von 15 auf elf Vorstandsmitglieder gesenkt habe, sei lediglich, um bei jeder Sitzung die notwendige Anzahl an Präsenzen für eine Majorität zu haben.

Zu viel Macht

Der Präsident des Strassener Klubs, ebenfalls Beisitzender im „Comité directeur“, macht keinen Hehl daraus, dass er mit den Vorgehensweisen von Bertinelli unzufrieden war: „Wir brauchen uns nicht zusammenzusetzen, wenn man uns ohnehin nie recht gibt …“, so sein Wortlaut. „Mit seiner Macht hat er uns erdrückt.“ Als Beispiel nannte er Streitigkeiten wegen der Anzahl an Nominierungen für die Europameisterschaften. Aus dem gleichen Lager heißt es, dass Bertinelli nicht immer auf die feine englische Art vorging und mit aller Macht versuchte, seinen Weg durchzusetzen.

Zweitgewählter ist der „Directeur technique“ Jean-Claude Henry. Auch er kritisierte mangelnde Dialogbereitschaft bei Bertinelli. Henry war, wie er selbst erklärte, trotzdem über den Ausgang der Wahl überrascht. Auch er hatte schon die eine oder andere Meinungsverschiedenheit mit Bertinelli. „Zwischen uns funktioniert es nicht mehr. Wir sind seit zwei Jahren nicht mehr auf einer Wellenlänge.“ Meistens habe es sich bei den Streitpunkten um Details der internen Politik gehandelt. Auch bei dem Vertrag von Nationaltrainer Lecaplain war man sich nicht mit Bertinelli einig. „Wir müssen wieder mehr Kommunikation in unserem Vorstand haben. Zuletzt war es nur noch ein Monolog und kein Dialog mehr.“

Das große Ziel, das sich Roob auf die Fahne schreiben will, ist es, die Anzahl der Karate-Lizenzen von 1.986 auf 2.500 hochzuschrauben. Henry dagegen sieht es als seine Aufgabe, für klare Strukturen im „Comité Karaté“ zu sorgen. Im Klartext: eine präzise Arbeitsaufteilung und Vollmacht für die jeweiligen Verantwortlichen. „Und wenn man dann auf Probleme stößt, muss man sich an einen Tisch setzen können. Es kann nicht sein, dass eine einzige Person alles entscheidet. Wir müssen als Gruppe funktionieren.“