TokioKeine Impfung, keine Tests: Olympia-Volunteers als Pandemietreiber

Tokio / Keine Impfung, keine Tests: Olympia-Volunteers als Pandemietreiber
Am Sonntag versammelten sich Demonstranten vor dem Nationalstadion und dem Museum des Japanischen Olympischen Komitees, um gegen die Austragung der Olympischen Spiele in Tokio zu demonstrieren Foto: Damon Coulter/dpa

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Keine ausländischen Zuschauer, geimpfte Olympiasportler. Doch was ist in Tokio mit den freiwilligen Helfern? 110.000 Volunteers werden nicht gegen Corona geschützt. Die Gefahren sind groß.

Zwei Stoffmasken, eine Flasche Desinfektionsspray und ein Ratgeberbuch: Das ist das komplette Corona-Sicherheitspaket für die rund 110.000 Volunteers der Olympischen und Paralympischen Spiele in Tokio. Mehr nicht. Nicht einmal Corona-Tests. Während ausländische Zuschauer aus Vorsicht nicht ins Land gelassen und wohl alle Olympiasportler geimpft werden, lassen die Organisatoren der Spiele das riesige Heer der freiwilligen Helfer frei und ungeschützt durch die Stadt pendeln.

Impfung? Mitnichten! „Davon haben wir noch nichts gehört“, sagte Barbara Holthus dem SID. Die stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts für Japan-Studien in Tokio hatte sich so auf die Spiele gefreut, auch auf die offizielle Einkleidung der Volunteers am heutigen Mittwoch.

2018 hatte sie sich für den Job beworben. Die Begeisterung ist angesichts der Gefahrenlage verflogen, mehr noch: „Ich weiß noch nicht, ob ich das wirklich mache. Das hängt vom Infektionsgeschehen ab. Noch nicht einmal die Vergabe von Selbsttests ist geplant. Wir werden also überhaupt nicht getestet.“

So wie die Wissenschaftlerin, die seit Jahren in der Metropole lebt, denken viele andere. „Wenn das so bleibt“, so Holthus, „dann springen noch viele ab.“ Sie selbst wäre bei den Paralympics für das Rudern eingeplant. 80 Minuten Anreise mit öffentlichen Zügen, die in Tokio stets hoffnungslos überfüllt sind. Das Virus als ständiger Begleiter.
Es liegt nahe, dass die 80.000 Volunteers an den Sportstätten und die 30.000 in der Stadt zu Pandemietreibern werden könnten. „Es besteht die Gefahr, dass die Spiele zu einem Superspreader-Event werden“, sagte Holthus, die angesichts der „Schutzmaßnahmen“ nur den Kopf schütteln kann: „In das Büchlein sollen wir ab zwei Wochen vor den Spielen täglich eintragen, wie es uns geht, täglich Temperatur messen, ausreichend schlafen und gut essen.“

„Wir brauchen euer Lächeln“

FFP2-Masken gehen auch nicht. „Es ist im Sommer so heiß, da wären diese Masken eine zu große Belastung, hat man uns gesagt“, berichtete Holthus. Eine wichtige Botschaft sei zudem: Wir brauchen euer Lächeln. „Das ist doch sehr unsensibel, wenn wir alle hinter unseren Masken stecken“, sagte Holthus.

Nicht nur ihre Stimmung, „die im ganzen Land ist gegenüber der Zeit vor der Pandemie um 180 Grad gekippt“, erklärte Holthus, die Zustände nicht nur in Tokio seien „schlimm“. Menschen sterben vor den Krankenhäusern, weil keine Betten frei sind. Die Medien berichteten „von einem Skandal zum nächsten“.

Der Aufruf zur Suche nach 500 Krankenschwestern und 200 Ärzten zur Unterstützung der beiden Großveranstaltungen erhitzte die Gemüter aufs Neue. Die Situation ist alarmierend, der Notstand für Tokio und fünf weitere Präfekturen wurde jüngst bis zum 31. Mai verlängert. „Anfang Mai waren erst zwei Prozent der Bevölkerung und 25 Prozent des medizinischen Personals geimpft“, sagte Holthus.

Premierminister Yoshihide Suga steht wegen seines schlechten Corona-Managements stark in der Kritik. Auch wenn das IOC gebetsmühlenartig betont, an den Spielen festhalten zu wollen – die Zweifel bleiben. Zumal sich die Tokioter offensichtlich nicht entsprechend verhalten. „Alle Restaurants sind gerammelt voll, auch die Kaufhäuser und Geschäfte“, berichtete Holthus.

Hinzu komme, dass man den offiziellen Fallzahlen im Land ohnehin nicht trauen könne. „Positive Funde werden nur gemeldet, wenn sie vom Gesundheitsamt kommen“, sagte Holthus, „alle anderen müssen nicht an die Regierung gemeldet werden. Wir tappen ziemlich im Dunkeln.“ (SID)