KampfsportJürgen Fritzsche, der Karate-Doktor: Der deutsche FLAM-Sportdirektor ist Autor und Biologe

Kampfsport / Jürgen Fritzsche, der Karate-Doktor: Der deutsche FLAM-Sportdirektor ist Autor und Biologe
Der Mann, der im Hintergrund die Fäden zieht: Jürgen Fritzsche will die Strukturen und Wege im Karate verbessern Foto: privat

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Vor sechs Monaten ist der Technische Direktor vom nationalen Kampfsportverband eingestellt worden, in der Öffentlichkeit stand Dr. Jürgen Fritzsche aus bekannten Gründen seither aber noch nicht. Was der 53-jährige Deutsche trotzdem über Luxemburg und die FLAM gelernt hat und warum er noch viel Verbesserungspotenzial sieht, erklärte er im Gespräch.

Jürgen Fritzsche ist beim Luxemburger Karate sowohl Auslöser als auch die Lösung: Erst durch die Besetzung der vom Staat subventionierten Stelle eines Technischen Direktors lief das Fass bei den Streitigkeiten auf Vorstandsebene richtig über. Das Ergebnis ist bekannt: Nach mehreren unschönen Monaten der Anschuldigungen und Wendungen hat erst die Wahl eines neuen Komitees für zwischenzeitliche Entspannung gesorgt. „Unsere Priorität war, endlich diesen Posten zu besetzen“, sagte Karate-Präsidentin Tessy Scholtes. Mit einem Mann, der bereits 2019 zu den Bewerbern ihres Vorgängers zählte.

Der ehemalige Bundeslehrreferent stand innerhalb von anderthalb Jahren nämlich zweimal auf der FLAM-Wunschliste. „Beide Parteien hatten angeklopft“, erinnerte sich der 53-jährige Deutsche und erklärte, dass zwischen den jeweiligen Gesprächen zwar fast anderthalb Jahre vergingen – seine Aufgabe aber die gleiche sei. Obschon es bei der Umsetzung seiner Ideen unterschiedlichen Meinungen gebe, sei er mit beiden Seiten stets freundschaftlich verbunden. Auch, da der deutsche Trainer-Chefausbilder einige Luxemburger Coaches während deren Ausbildung selbst unter seine Fittiche genommen hatte. „Ich sehe mich als zukünftigen Ruhepol. Ich kann die Probleme als Außenstehender zwar nicht lösen, aber ein Puffer sein.“ 

Rolls-Royce und eine rote Linie

Die FLAM hat Fritzsche vor sechs Monaten gleich mehrere Aufgabenfelder zugeteilt. Neben den Kalenderplanungen, Budgetfragen und der Koordination der Trainer-Einsätze will der ehemalige Fitnesstrainer der deutschen Karate-Nationalmannschaft ebenfalls gezielt im Bereich des LTAD-Modells („Long Term Athlete Development“) arbeiten. „Er ist uns eine große Hilfe, trotz der Umstände“, meinte Scholtes.

Mit einem beachtlichen Lebenslauf. 2006 promovierte Fritzsche in der Biologie, „da es in der Reputation einfach mehr ausmacht als Sportwissenschaften“. Parallel folgten neue Herausforderungen auf der Matte. Der ehemalige Hochleistungssportler wurde zum Karate-Chefausbilder in Deutschland ernannt, später ebenfalls wissenschaftlicher Koordinator und Athletikcoach. „Zu guter Letzt bin ich seit 25 Jahren selbstständig.“ Mit einem deutschen Polizeidirektor gründete er „Experts Training“ und leitet Kurse und Ausbildungen zum Thema Sicherheit am Arbeitsplatz. „Deutsche Bank, Rolls-Royce oder Grundschullehrer“, die Kundschaft ist breit gefächert.

Genauso wie seine Interessen: Zwei seiner sechs Bücher erschienen beim Springer-Verlag. Der Autor wird noch in diesem Jahr eine weitere wissenschaftliche Arbeit zum Thema Vorbeugung unterschiedlichster Berufsgruppen veröffentlichen – beispielsweise zum optimalen Verhalten eines Schaffners oder von Notärzten in Konfliktsituationen. „Die rote Linie in allem, was ich mache, ist die Verletzungsprävention. Und wenn sich dann doch jemand verletzt, geht es darum, herauszufinden, wie man die Person oder den Sportler besser schützen kann. Da hilft Biologie brutal gut“, erklärte der Deutsche lachend. „Ich sehe mich als Wahrscheinlichkeitsoptimierer: Ich will dafür sorgen, dass sich die Athleten nicht verletzen oder schneller zurückkommen und die bestmöglichen Trainingsbedingungen haben.“

Aber bis auf Jenny (Warling), die extrem hochwertig ist, fiel im Ausland von den Luxemburgern niemand auf. Deshalb ist es wichtig, die gesamte Masse hochzubringen.

Jürgen Fritzsche, Technischer Direktor des Karate

Letzteres hat er bereits für die FLAM getan, lange bevor überhaupt von einer Festeinstellung die Rede war. „2017 habe ich u.a. die Trainingspläne von Kimberly Nelting erstellt“ – und die spätere Weltmeisterin dann noch vor Ort für die Goldmedaille beglückwünschen können. „Aber bis auf Jenny (Warling), die extrem hochwertig ist, fiel im Ausland von den Luxemburgern niemand auf. Deshalb ist es wichtig, die gesamte Masse hochzubringen.“ Er nannte in diesem Atemzug weitere Namen, wie Laura Hoffmann, Jordan Neves, Pola Giorgetti oder auch Allison Berna als Beispiele von Athleten, die ihre einzelnen Platzierungen mit weiteren Medaillen bestätigen müssten. „Meine Aufgabe wird es sein, dafür zu sorgen, dass das Umfeld dafür passt.“

Die Köche und der Brei

Dazu gehört auch, die interne Kommunikation zu verbessern. „Ich werde zwar immer wieder gefragt, aber Fitnesstraining gehört nicht zu meinem Arbeitsfeld. Ich habe allerdings gesehen, dass viele bestehende Strukturen in Luxemburg nicht optimal genutzt werden. Statt einen Privattrainer zu engagieren, sollte man vom LIHPS (Luxembourg Institute for High Performance in Sports) und ’Sportlycée’ profitieren. Das haben wir bereits in die Wege geleitet. Zu viele Köche verderben den Brei. Und die, die übrig bleiben, müssen lernen, miteinander zu reden.“ U.a. wurde die Zusammenarbeit mit der PTA (Personal Training Academy) in Bettemburg beendet. 

Warum der Deutsche sich trotz Jobangeboten des DOSB oder der hessischen Polizei gerade für Luxemburg entschieden hat, scheint aufgrund seiner Visitenkarte eigentlich schwer zu verstehen. „Doch ich liebe Karate so sehr … Ich will diese Randsportart in den Mittelpunkt rücken und dem Verband das nötige Werkzeug dafür zur Verfügung stellen.“ 

Eine Besonderheit des neuen Umfelds habe allerdings ihre Tücken, meinte Fritzsche lachend: „Die Wege sind so kurz, da kann man sich nicht aus dem Weg gehen.“ Dass er wenige Stunden nach seiner Vertragsunterschrift rein zufällig auf COSL-Sportdirektor Heinz Thews traf, der am Nebentisch speiste, ist eine der lustigeren Anekdoten seiner ersten Besuche in Luxemburg. Bis auf Weiteres wird der Frankfurter in seiner deutschen Heimat bleiben und Home-Office betreiben. Man habe sich damit gut zurechtgefunden, bestätigte Tessy Scholtes. Ihr neuer Technischer Direktor sprudelt vor (seinem Bildschirm vor) Energie: „Ich will etwas verändern. Als Teil einer Riesennation ist man möglicherweise ein gut bezahltes Rad, das aber nichts bewegt. Ich habe meine Pflichten und Rechte in Deutschland genossen, aber ich habe nach einer neuen Herausforderung gesucht.“ Und sie gefunden. 

Steckbrief

Dr. Jürgen Fritzsche
Alter: 53
Größte Erfolge: Europameister (Studenten-EM) 1995 in Nantes, 3. Platz bei der Kata-Team-EM in Hannover 1991
Karriere: Promovierter Biologe, Magister der Sportwissenschaften, ehemaliger Athletiktrainer der deutschen Karate-Nationalmannschaft, ehemaliger Bundeslehrreferent, seit Januar Technischer Direktor des Luxemburger Karate

Nationaltrainer verletzt

Karate-Nationaltrainer Michael Lecaplain musste sich am Montag einer Gesichtsoperation unterziehen. Grund dafür war ein unglücklicher Zusammenstoß mit einem Athleten, der schwere Verletzungen und Frakturen nach sich zog. Der Coach wird der Nationalmannschaft wohl bis Oktober nicht zur Verfügung stehen, bis dahin werden Vereinstrainer bei den Trainingseinheiten des FLAM-Teams und des „Sportlycée“ einspringen. 

Drei Personen gesucht

„Ein Satz mit X“ hatte das Tageblatt vor vierzehn Tagen geschrieben: Damals waren beim Zoom-Call nicht ausreichend FLAM-Mitglieder angemeldet, um die angestrebte Generalversammlung abhalten zu können. Dies soll nun im Herbst, live vor Ort und nicht vor den Bildschirmen, nachgeholt werden (sofern die Bestimmungen es erlauben). Zuvor könnten aber noch in einem außerordentlichen Kongress ein paar Statutenänderungen vorgenommen waren, die derzeit noch für Diskussionsstoff zwischen den zerstrittenen Parteien im Karate sorgen. 
Neuigkeiten gibt es derweil auch bei den Judokas: Ab Freitag sollen sich Kandidaten auf die offizielle Ausschreibung der ab Januar freiwerdenden Stellen melden können. Gesucht werden erneut zwei Coaches und ein Technischer Direktor.