Jeff Strasser ist angekommen, zu Hause

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Bevor Jeff Strasser am Samstag gegen Lettland mit 89 Länderspielen zum alleinigen Rekord-Nationalspieler wird, gewährte der 34-Jährige dem Tageblatt einen exklusiven Blick „an de Vestiaire“, hinter die Kulissen. Christophe Junker (Text), Alain Rischard (Fotos)

Bevor Jeff Strasser am Samstag gegen Lettland mit 89 Länderspielen zum alleinigen Rekord-Nationalspieler wird, gewährte der 34-Jährige dem Tageblatt einen exklusiven Blick „an de Vestiaire“, hinter die Kulissen.

Christophe Junker (Text), Alain Rischard (Fotos)

Eigentlich wahrte Jeff Strasser in seiner bislang rund 16-jährigen Profikarriere stets seine Privatsphäre, am vergangenen Samstag aber machte der Metzer Profi eine Ausnahme. Spezielle (Fußball-)Situationen bedingen halt immer auch Ausnahmen.
Unter strahlendblauem Himmel empfängt Jeff Strasser die Tageblatt-Crew in Mondorf, dort, wo der Anstoß zu einer bis heute exemplarischen Karriere erfolgte. Dort, wo es den FLF-Kapitän nach seiner Profikarriere wieder hinziehen wird, an die Seite seiner Familie, Mutter Charlotte, Vater Lull, Bruder Christian und Oma Irma.

Aufwärmprogramm

Die erste Station ist die Primärschule von Mondorf. Die allerdings hat sich im Laufe der Jahre erheblich verändert. „Es ist nicht mehr dasselbe Schulgebäude“, sagt Jeff Strasser. Er zeigt uns, was alles erneuert wurde: „’Gesäis de do hannen, am Giewel, dat ass nach vun der aler Schoul, do huet de Concierge gewunnt, deen hei opgepasst huet.‘ Und hier, hier beim Baum, hier sind noch die Verankerungen der Tore zu sehen. Es waren aber Handballtore. ‚Ech hu meng ganz Schoulzäit hei verbruecht, vum éischte bis sechste Joer, an natierlech och d’Spillschoul. Meng Mamm war hei Schoulmeeschtesch.’“
Jeff Strasser erzählt, wie sein Alltag damals, als kleiner Bub, aussah: „Um 12.00 Uhr gingen wir, wenn die Schule fertig war, gleich nach Hause, haben dort schnell was gegessen und, gegen halb eins muss das immer gewesen sein, standen gleich wieder hier, um zu spielen.“
Im Schulhof stehen drei Buben, einer hält einen Fußball in seinen verschränkten Armen fest. Das Trio, das bis zu unserer Ankunft dort kickte, folgt den Anweisungen und Erklärungen von Jeff Strasser ebenfalls gespannt. Und sie sehen, wie Jeff Strasser, für den diese Zeitreise „eng Première ass als Profi“, aufblüht, je mehr die Zeit verstreicht. „Et war wierklech eng gutt Iddi, dat hei ze maachen. Mol eppes anescht, wéi ëmmer nëmmen Interviewen.“

90 Minuten

Das Aufwärmprogramm haben wir hinter uns, es stehen uns noch weitere 90 Minuten bevor. Die Dauer eines Fußballspiels, gespickt mit Fußball-Anekdoten von und über Jeff Strasser. Zeit also, sich aufs Spielfeld zu begeben.
Mehr als ein paar letzte Überreste sind allerdings nicht mehr vom einstigen USM-Spielfeld – nur ein Katzensprung vom Schulhof entfernt gelegen – vorhanden. „Do ass et, mir musse just hei iwwert d’Strooss goen, da si mir um Terrain.“ Die letzten Zeitzeugen sind ein paar Quadratmeter Grünfläche, ein altes Tor mit Aluminiumgestänge, am Eingang steht noch das alte Kassenhäuschen. Es ist etwas heruntergekommen, mit Graffiti besprüht, das alte USM-Logo prangt aber noch unbeschmiert an der Betonwand.
Für Nicht-Ortskundige erklärt Jeff Strasser, dass es sich hier um das Original-Spielfeld und -Tor handelt. „Hei hunn ech stonnelaang op de Goal geschoss a Fräistéiss trainéiert fir d’Schwäiz.“
Jeff Strasser grinst verschmitzt und spielt auf seinen Freistoßtreffer an, der ihm am vergangenen 10. September beim 2:1-Sieg im Zürcher Letzigrund zur 1:0-Führung gelang. Nach dem 1:1 lieferte er kurz vor Spielschluss noch die Vorlage zum 2:1-Siegtreffer von Fons Leweck. Wer erinnert sich nicht mehr an die Jubelszenen dieses Duos, das das Baby von Paddy Posing mit einer nachgeahmten Wiege auf dieser Welt begrüßte.
Auf dem Weg zum Auto – wir machen uns auf zum Elternhaus – erinnert sich Jeff Strasser: „Mein Vater war Trainer in Mondorf. Als ich dann im Alter von neun oder zehn Jahren zur Union wechselte, hat er mich jahrelang immer zum Training gefahren. Er hat viel Zeit für mich aufgebraucht, ich denke nur an die vielen Stunden, die er überbrücken musste, während ich trainierte. Ihm und auch meinem Bruder habe ich viel zu verdanken, bei ihnen will ich mich an dieser Stelle bedanken.“
Neben dem Fußball war Jeff Strasser im Kurort auch noch „im Tennis- und Tischtennisklub aktiv. Ich habe mich aber für eine Kollektivsportart entschieden, wobei ich betonen will, dass man auch in diesen Sportarten als Gruppe siegt oder verliert. Man lernt im Team einfach besser, als Gruppe zu funktionieren. Ich hatte nie Schwierigkeiten, mich zu integrieren, vielleicht auch weil ich von klein auf ein Leader war, ein ‚meneur‘.“
Wir sitzen jetzt im Auto, Jeff will uns sein Elternhaus zeigen. Er spielt den City Guide, dirigiert uns gekonnt durch Mondorf: „Hei lénks, dann nach eng Kéier lénks. Pass op, net hei!“ Er hatte es vom Elternhaus nicht weit zur Schule und zum Spielfeld. „Hei ass et, stell dech einfach dohin.“ Im Wagen erzählt Jeff Strasser weiter (lacht): „Du wäerts gesinn, wa meng Mamm do ass, si zielt dir bestëmmt vum Kannergeld, dat net duer gaangen ass all Mount, fir eis nei Schong ze kafen.“
Da stehen wir also, vor der beigefarbenen Eingangspforte. Jeff Strasser stellt sich davor, posiert geduldig, wie auch der Autofahrer, der unsertwegen einen ungeplanten Stopp einlegen muss. „Hei sinn deemools bal keng Autoe gefuer. Och déi Beem hei, déi Bänken a Lute stoungen nach net hei. Hei hu mir op d’Paart geschoss.“
Inzwischen haben auch seine Mutter und Großmutter die Neuankömmlinge wahrgenommen, stehen an der Eingangstreppe. Die Begrüßung ist freundlich, herzlich.
Es ist an der Zeit, weitere (Fußball-)interne Details von und über Jeff Strasser zu hören. Alles nur eine Frage von Sekunden. Seine Mutter legt los: „Mat sengem Brudder huet en hei gespillt. En huet och d’Fënster hei aus der Dier futti geschoss. A mam Christian hu se och d’Blumme getraff, déi hu se dann ëmmer ganz séier verstoppt. A wéi vill Schong hu se futti gemaach. D’Kannergeld ass net duer gaangen …“ Jeff Strasser unterbricht: „Wat hat ech dir gesot?!“
Ein sehr braver Enkel sei er gewesen, meint die inzwischen fast 97-jährige, aber immer noch sehr rüstige Oma. „An haut?“, haken wir nach. „Och haut nach, hien ass e gudde Jong.“ Jeff Strasser, nach außen hin oft unnahbar, wirkt ein klein wenig verlegen. Schnell wechselt er wieder das Thema, breitet die Arme aus: „Hei hun ech mam Christian Fussball-Tennis gespillt. Gesäis de dee Strëch hei, do hu mir ëmmer e Seel gespaant, dat war eist Netz.“ Wer denn öfters gewonnen habe, wollen wir wissen? „Mäi Brudder war méi al, méi clever … Mir waren ‚comme des chiens fou‘.“
Der „wild dog“ wurde inzwischen etwas gezähmt, auf das oberste Treppchen des Luxemburger Fußballpodiums will er sich nur ungern hieven lassen. Daher soll uns die Mutter verraten, ob sie denn stolz sei, wenn Jeff Strasser kommenden Samstag zum alleinigen Rekord-Nationalspieler avanciert? Ihre Antwort erstaunt: „Ah, däi wéi villte Match ass dat dann? Ass et elo scho sou wäit?“ Jeff Strasser klinkt ein: „Gesäis de, mir hu ni eng Fixatioun op mäin 89. Lännermatch gemaach. Stolz sinn ech awer, dat ass dach normal.“
Seine Mutter gibt stattdessen preis, „dass ich oft Angst um ihn hatte. Heute noch. Er ist so viel unterwegs. Und dann die Presse – vor allem in Deutschland. War die schlimm!“ Sie schüttelt leicht den Kopf, winkt ab. Vergangenheit soll Vergangenheit bleiben. Versteht sich.

Schlussphase

Die Zeit drängt, die Schlussphase ist eingeläutet. Während der regulären Spielzeit haben wir uns noch ein letztes Ziel gesetzt.
Das „Stade John Grün“, wo Vater Lull, Präsident und Sekretär der Union sportive Mondorf-les-Bains, und Bruder Christian warten. Sie helfen am Rande, damit das Eliterundespiel der Luxemburger U17 gegen die Niederlande reibungslos über die Bühne gehen kann. Sie sind nur ein kleiner Teil einer großen Mannschaft, die ehrenamtlich hier aushilft.
Wir biegen ein auf den Parkplatz, der bereits gut gefüllt ist. Jeff Strasser steigt aus, und es dauert nicht lange, bis ein erster Händedruck erfolgt, ein „Salut“, ein „An, wéi geet et?“. Ein: „Salut Jeff, bass du och erëm doheem?“
Jeff Strasser ist angekommen, zu Hause.