Ist Voeckler ein neuer Roger Walkowiak?

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Thomas Voeckler hat die Pyrenäen gut überstanden. Er fuhr auf dem Plateau de Beille zeitgleich mit praktisch allen Favoriten ins Ziel.

Er fährt … und fährt … und fährt… Thomas Voeckler, dieser Franzose, der im Elsass und auf Martinique aufgewachsen ist und den Radrennsport in der Vendée gelernt hat, trägt auch am zweiten Ruhetag der Tour de France noch immer das „Maillot Jaune“.

Voeckler verteidigte es am Samstag auf der gefürchteten dritten Pyrenäenetappe, die auf dem Plateau de Beille endete, und gestern auf der Flachetappe nach Montpellier, die, wie nicht anders erwartet, mit einem Massenspurt und einem Cavendish-Sieg endete.

Die Lage ist so, dass viele Franzosen eine Woche vor Ende der Tour ins Träumen geraten. Und sich fragen, ob dieser Voeckler denn nicht eventuell sogar die Rundfahrt gewinnen könnte. Frankreich hat seit 1985 keine Tour mehr für sich entschieden. Der Letzte, der sich ins Goldene Buch eintrug, war Bernard Hinault. Das ist verdammt lang her.

So wie 1956?

Thomas Voeckler hat bei weitem nicht die Klasse eines Bernard Hinault. Er erinnert vielmehr an einen, der vor 55 Jahren in die Tour de France kam, um sie eventuell an ehrenvoller Stelle zu beenden, nicht aber um sie gewinnen. Dieser Fahrer hieß Roger Walkowiak. Sein bestes Resultat bei einer Tour war ein 47. Rang im Jahr 1953.

Auf dem Papier hatte Roger Walkowiak, der aus Montluçon stammte und damals 29 Jahre jung war, gegen Asse wie Charly Gaul, Federico Bahamontes, Stan Ockers oder Wout Wagtmans nicht den Hauch einer Chance. Durch gewisse Umstände (einige „échappées-fleuve“, Unstimmigkeit und Zerrissenheit in den französischen Mannschaften, Abwarten und Taktieren der sogenannten Stars) streifte Roger Walkowiak nach der 7. Etappe Lorient-Angers das „Maillot Jaune“ über, ließ sich entgegen allen Voraussagen weder in den Pyrenäen noch in den Alpen von den Favoriten abhängen und fuhr am 28. Juli 1956 als Sieger in Paris ein. Die letzte Etappe, die (oh Zufall!) in Walkowiaks Heimatort Montluçon startete, war übrigens 331 km lang.

Voeckler also in Walkowiaks Fußstapfen? Noch ist es verfrüht, solches zu behaupten, aber ganz so verrückt ist die Sache nach all dem, was man in den Pyrenäen gesehen hat, wirklich nicht. Die Alpen sind zwar von einem ganz anderen Kaliber als die Berge, die Frankreich von Spanien trennen, doch müssen die Favoriten, allen voran Andy und Frank Schleck, sich anders und vor allem geschickter anlegen, wenn sie Voeckler und die andern aus dem Sattel heben wollen.

Nach der Ankunft auf dem Plateau de Beille, wo der Belgier Jelle Vanendert gewann, meinte Frank Schleck, dass die ganze Last der Tour auf der Leopard-Mannschaft liege. „Die andern lassen uns das Rennen machen und versuchen lediglich, in den Rädern zu bleiben“, sagte Schleck.

Das klingt nach Selbstmitleid, ungefähr so wie nach den Klassikern in Flandern, als gesagt, gemeint und geschrieben wurde, alle hätten sich gegen Cancellara verschworen, und darum könnte er nicht gewinnen.

So einfach aber ist die Sache nicht, denn in den darauf folgenden „Classiques“, dem Amstel Gold Race, der Flèche Wallonne und Liège-Bastogne-Liège, stand ein gewisser Philippe Gilbert permanent im Visier der Konkurrenz – und er siegte trotzdem.

Dieselbe Taktik

Die Leopard-Mannschaft hatte sich dieselbe Taktik ausgedacht wie schon am Donnerstag bei der Etappe Cugnaux-LuzArdiden. Diesmal mischten sich Linus Gerdemann und Jens Voigt in die „échappée matinale“. Sie warteten später, als sich das Peloton dem Plateau de Beille näherte, ihre Mannschaftskameraden ab, die auf den 35 km, die vom Port de Lers zum Fuße des letzten Anstiegs führten, fürs Tempo sorgten.

Sechs „Leoparden, von O’Grady über Cancellara bis Monfort, lotsten die beiden Brüder in die entscheidende Phase, doch der „final clash“, auf den eine ganze Nation hoffnungsvoll wartete, blieb aus. Andy Schleck versuchte es im steilen Teil des Anstiegs zwar ein halbes Dutzend Mal, doch machte der steife Gegenwind diese Angriffe schnell zunichte. Und der obere Teil, wo die Straße nur eine Steigung von 3 Prozent aufweist, ist ohnehin für entscheidende Attacken zu flach. Immerhin, und das war das einzig Positive aus Luxemburger Sicht, nahm Andy den anderen Anwärtern auf den Toursieg zwei Sekunden ab.

Um die Erwartungen zu erfüllen, die Leopard sich selbst gesteckt hat, muss also noch so manches passieren …