Interview„Ich rechnete mit einem schrecklichen Rennen“: Jeanne Lehairs unerwartetes EM-Gold

Interview / „Ich rechnete mit einem schrecklichen Rennen“: Jeanne Lehairs unerwartetes EM-Gold
Mit Freudentränen in den Augen überquerte Jeanne Lehair vor dem Königspalast in Madrid die Ziellinie Foto: Facebook/Jeanne Lehair

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Triathletin Jeanne Lehair hat sich am Sonntag in Madrid über die Kurzdistanz in einem wahren Herzschlagfinale zur Europameisterin gekürt. Die entscheidende Attacke bei dem EM-Rennen, das aufgrund der schlechten Wasserqualität in Spaniens Hauptstadt als Duathlon ausgetragen wurde (5 km Laufen, 40 km Radfahren, 10 km Laufen), setzte die 27-jährige Luxemburgerin erst auf den letzten Metern. Im Gespräch mit dem Tageblatt blickt sie auf ihren unerwarteten Erfolg zurück.

Tageblatt: Jeanne Lehair, wie fühlt es sich an, Europameisterin zu sein?

Jeanne Lehair: Es ist eine Riesenfreude. Der Sieg kam ziemlich unerwartet. Ich hatte bereits in meinen beiden Rennen davor eine gute Leistung gezeigt und war in einer guten Form. Ich wollte diese bestätigen. Aber auch wenn man gut in Form ist, muss man alle anderen erst einmal schlagen. Das war nicht einfach.

Mit welchen Erwartungen waren Sie in das Rennen gegangen?

Ich reiste mit einer gewissen Müdigkeit nach Madrid, denn ich hatte noch meine vorigen beiden Rennen in den Beinen. Natürlich waren andere Teilnehmerinnen im gleichen Fall wie ich, aber es gab auch einige, die frischer waren. Davor hatte ich ein bisschen Angst. Wegen meiner Form machte ich mir keine Sorgen, wegen der körperlichen Frische schon. Meine Beine haben dann auch quasi während des ganzen Rennens richtig wehgetan. Besonders am Anfang und auf dem Rad war es hart und ich rechnete mit einem schrecklichen Rennen. Denn es war eine schwierige Strecke mit Anstiegen und Abfahrten. Sie war sehr anspruchsvoll.

Wann haben Sie realisiert, dass es trotzdem reichen wird?

Als wir auf der Laufstrecke zu zweit an der Spitze lagen, wusste ich, dass, wenn nicht noch Krämpfe dazwischenkommen würden, ich im schlimmsten Fall Zweite werde (Lehair hatte sich zusammen mit der Deutschen Lisa Tertsch abgesetzt; Anm. d. Red.). Es gab vier Laufrunden – auf der vorletzten Runde fiel ich etwas zurück und dachte: „Ok, es ist vorbei. Der Sieg ist weg.“ Aber es ist mir gelungen, zurückzukommen. Ich habe aber zu dem Zeitpunkt immer noch nicht damit gerechnet, zu gewinnen. Da meine Gegnerin mich kurzzeitig abgehängt hatte, rechnete ich damit, dass sie frischer ist und am Ende den Sprint gewinnen würde. Ich war mir sicher, dass sie den besseren Tag erwischt hatte. Aber nein, es war nicht so. Man hat mir später gesagt, dass ich sie auf den letzten Metern abgehängt hatte. Es gab so viel Lärm und Anfeuerungsrufe von den Zuschauern, dass ich das selbst nicht mitbekommen hatte. Ich habe sie zwar plötzlich nicht mehr hinter mir atmen gehört, aber ich ging davon aus, dass es wegen des Lärms war. Erst 200, 300 Meter vor dem Ziel habe ich zurückgeschaut und gesehen, dass ich ein paar Meter auf sie gutgemacht hatte. Da habe ich realisiert, dass es wirklich passieren wird.

Wie taktisch waren diese letzten Kilometer zu zweit an der Spitze?

Als ich in der zweitletzten Laufrunde kurz loslassen musste, hat sie (Tertsch) das Tempo vorne angezogen. Als es mir gelang, wieder aufzuschließen, hat sie wieder langsamer gemacht. Ich bin an ihr vorbeigezogen und vorne gelaufen. Als ich sie wieder vorbeilassen wollte, hat sie das nicht gemacht. Ich hatte es aber auch satt, alleine die Führungsarbeit zu machen und wir haben angefangen, uns zu beobachten. Wir sind langsamer geworden. Ich dachte nur, wenn wir so weitermachen, wird uns die Dritte wieder einfangen. Vielleicht war es aber auch gut, dass es so war, denn meine Beine haben wirklich sehr wehgetan. Ich denke, wenn wir nicht die anderen Rennen hinter uns gehabt hätten, wäre das Tempo sicherlich höher gewesen. Aber wir waren ja beide in der gleichen Situation. Es war ein unruhiges Rennen. Das macht es umso schöner, gewonnen zu haben. 

Seit ich Luxemburgerin auf internationaler Ebene bin, mache ich nur noch gute Rennen

Jeanne Lehair, startet seit 2022 für Luxemburg

Aufgrund der schlechten Wasserqualität in dem Fluss, in dem der Schwimmteil stattfinden sollte, wurde das Rennen nicht als Triathlon, sondern als Duathlon ausgetragen. Hat Ihnen das in die Karten gespielt?

In einer gewissen Weise schon, weil ich in letzter Zeit sehr gute Laufzeiten hatte. Aber ich will nicht sagen, dass das mein Vorteil war. Ich hoffe, dass ich das gleiche Ergebnis bei einem Triathlon gemacht hätte. Ich glaube schon, dass es mir gelungen wäre. Ich weiß nicht, ob ich mit den Ersten aus dem Wasser gestiegen wäre, aber ich denke, dass ich auf dem Rad zur Spitze hätte aufschließen können. Aber egal, ob bei den Männern oder Frauen – ich denke, diejenigen, die vorne waren, sind auch sehr gute Triathleten und ich denke, dass diejenigen auch in einem Triathlon vorne gewesen wären. Das versuche ich mir jedenfalls einzureden (lacht).

Sie haben erst seit 2022 die luxemburgische Staatsbürgerschaft. Davor starteten Sie für Frankreich. Hat dieser Wechsel zu Ihrem Erfolg beigetragen?

Seit ich Luxemburgerin auf internationaler Ebene bin, mache ich nur noch gute Rennen – ich denke, es ist alles damit verbunden. Als ich zum Beispiel auf der Laufstrecke abgehangen wurde, habe ich mir gesagt: „Okay, auch wenn du Zweite wirst, ist das noch gut. Aber gleichzeitig kannst du alles versuchen, um sie wieder einzuholen. Wenn du dadurch weiter zurückfällst, wirst du eben Dritte. Auch das ist noch in Ordnung.“ So war der Druck nicht da. Das hat es mir erst erlaubt, es zu versuchen. Ich denke, dass ich mit Frankreich mit anderen Maßstäben gestresst gewesen wäre und es nicht geklappt hätte. Oder ich hätte nicht einmal an diesem Rennen teilgenommen.

Wie sehen nach dem EM-Titel Ihre weiteren Ziele in diesem Jahr aus?

In der WTCS (World Triathlon Championship Series) bin ich nach den drei ersten Rennen in der Gesamtwertung auf Rang neun. Letztes Jahr war ich am Ende 35. – ich hoffe, dass ich die Weltmeisterschaft dieses Jah, besser abschließen werde und ich glaube auch, dass ich von den Top 15 träumen darf. In den letzten Jahren war ich immer im Mai, Juni sehr stark, danach wurde es kompliziert, die Form hochzuhalten. Ich glaube, dass das dieses Jahr anders sein kann. Ich trainiere anders und bin erfahrener geworden. Ich bin im besten Triathlon-Alter.