Gegen ein ganzes Land

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Am Dienstagabend (08.07.14/22.00 Uhr MESZ) wird der erste WM-Finalist ermittelt. Der Gastgeber brennt nach dem Neymar-Schock auf das Halbfinale gegen Deutschland, das gegen ein ganzes Land spielt.

Für einen kurzen Augenblick waren die Hoffnungen zurück. Könnte Neymar vielleicht doch noch einmal bei seiner WM spielen? Gerüchte um eine „Wunderheilung“ des Heilsbringers verbreiteten sich in Brasilien wie ein Lauffeuer. Aber daraus wird nichts.

Der Traum vom Titel lebt aber trotzdem – auch ohne Neymar. Brasilien geht mit jeder Menge Trotz in den Halbfinal-Kracher in Belo Horizonte. „Es sind noch zwei Schritte bis zum Himmel“, sagte Trainer Luiz Felipe Scolari. Er wollte nicht verraten, wer den verletzten Superstar Neymar auf dem Weg ins große Finale ersetzen soll. Im Abschlusstraining am Montag trieb Scolari das Verwirrspiel auf die Spitze, wechselte im Zehn-Minuten-Takt Spieler und taktische Varianten durch.

Fest entschlossen

Die „Seleção“ ist aber auch ohne ihr Wunderkind Neymar fest entschlossen, sich auf ihrer Mission „Hexa Campeão“ unsterblich zu machen. Im Trainingscamp in Teresópolis schworen sie sich: Jetzt erst recht. „Wir wissen, dass Neymar Spiele entscheiden kann. Ohne ihn wird es schwierig“, sagte Willian: „Aber unsere Gruppe ist stark. Sein WM-Aus hat uns traurig gemacht, aber wir sind jetzt noch stärker, um uns den Traum vom WM-Titel zu erfüllen.“

Der schnelle und trickreiche Flügelspieler des englischen Top-Klubs FC Chelsea gilt als Favorit für die Neymar-Nachfolge. Auch Bernard, Ramires und Jô machen sich Hoffnungen auf die Startelf. Keiner von ihnen kommt an die Klasse von Neymar heran – aber ohne den Hochbegabten ist Brasilien unberechenbar.

Power, Leidenschaft und Kampf bis zum Schluss: Brasilien wird versuchen, die deutsche Abwehr um Mats Hummels und Co. 90 Minuten unter Dauer-Druck zu setzen und mit aller Härte vor dem eigenen Tor eine gelbe Wand hochziehen. 96 Fouls haben die Statistiker von Brasilien schon gezählt, Deutschland kommt auf 57. Brasilien kassierte zehn Gelbe Karten, die Deutschen vier. Zudem spielen die Brasilianer viel weniger Pässe (1.816 zu 2.938). „Wir müssen für Neymar spielen, für Thiago Silva und mehr als zuvor Krieger sein“, sagte Abwehrchef David Luiz, der die „Seleção“ in Abwesenheit von Thiago Silva als Kapitän aufs Feld führen wird. Die Verletzung von Neymar war ein Schock, aber 200 Millionen Brasilianer und die „Seleção“ klammern sich an die Hoffnung. Auch der verlorene Sohn stachelte seine Kollegen vor dem mit Spannung erwarteten Aufeinandertreffen noch einmal an. „Man hat mir den Traum genommen, ein WM-Finale zu spielen, aber der Traum, Weltmeister zu werden, ist noch nicht zu Ende“, sagte Neymar, der in Belo Horizonte sogar als Edelfan auf der Tribüne sitzen könnte. Der Traum vom Titel lebt mehr denn je – auch ohne Neymar.

„Druck auf Brasilien“

Der deutsche Trainer Joachim Löw schiebt den Brasilianern auch ohne Superstar Neymar die Favoritenrolle zu. Aber vor der „gelben Wand“ im Stadion von Belo Horizonte zittern die deutschen Spieler nicht. „Unsere Mannschaft hat keine Angst“, versprach der Bundestrainer am Montag vor der Reise nach Belo Horizonte den aufgeregten Fans in der Heimat. Er gehe mit einem „sehr guten Bauchgefühl“ und einem klaren Ziel in das Spiel der Spiele: „Eines steht fest: Wir wollen unbedingt noch mal in Rio im Maracanã-Stadion spielen. Am 13. Juli. Wir sind noch nicht fertig.“ Löw weiß, dass die fünf vorangegangenen WM-Partien ein Kindergeburtstag waren im Vergleich zur Titel-Prüfung gegen die Brasilianer, die auf den Heimtriumph gepolt sind und ihr gesamtes Volk im Rücken haben. „Wir spielen nicht nur gegen elf Brasilianer auf dem Platz, wir spielen gegen das ganze Land“, sagte der Bundestrainer im ARD-Hörfunk und legte geschickt die Rollen fest: „Der Druck liegt ganz klar bei Brasilien“, sagte Löw. „Wenn sie das Halbfinale verlieren, ist das Volk schon unzufrieden.“

Große Geheimnisse um die Aufstellung gibt es nicht vor der vom deutschen Team angestrebten Revanche für die Niederlage im Finale 2002, dem einzigen Duell beider Nationen bei einer WM-Endrunde. Löw hat gegen Frankreich seine Formation endlich gefunden. Mit Kapitän Lahm rechts und dem sich entschlossen ins Turnier quälenden Duo Schweinsteiger und Sami Khedira im Mittelfeld.

Jetzt oder nie!

„Wir wollen einfach ins Finale jetzt“, sagte Kraftpaket Boateng. Auf den Tag genau 24 Jahre nach dem letzten der drei deutschen WM-Titelgewinne am 8. Juli 1990 in Rom will die „Generation 2014“ füreinander durch die Hölle gehen. „Wenn man sieht, einer braucht ein bisschen Hilfe, dann rennt der andere ein paar Meter mehr“, sagte Boateng.

Jetzt oder nie! „Wir müssen einfach realisieren, dass wir eine Riesenchance vor der Brust haben“, sagte Abwehrspieler Per Mertesacker.