FußballMaxime Chanot: „Man kann ein Team kontrollieren, aber nicht das Virus“

Fußball / Maxime Chanot: „Man kann ein Team kontrollieren, aber nicht das Virus“
Maxime Chanot wird sechs Wochen in der Disney-World-„Blase“ verbringen Foto: Jeff Lahr

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Unglücklicher hätte der Saisonauftakt für New-York-City-FC-Profi Maxime Chanot nicht verlaufen können. Nach seiner Rotsperre wurde die Meisterschaft unterbrochen. Warum der 30-jährige FLF-Nationalspieler allerdings viele Zweifel bezüglich eines Restarts hegt, erzählte er im Tageblatt-Interview.

Tageblatt: Sie befinden sich seit einer Woche im Disney World in Quarantäne. Womit haben Sie sich die Zeit in Ihrem Hotelzimmer in Orlando bislang vertrieben?

Maxime Chanot: Anders als die NBA-Profis haben wir Fußballer keine Genehmigung erhalten, uns mit unseren Familien in diesem Hotel zu isolieren. Ich werde also mindestens sechs Wochen alleine verbringen. Zum Glück gehöre ich zu den Älteren im Team und habe ein Zimmer mit Balkon bekommen. Die Tage sind lang. Ich sehe mir gerne meine eigenen Spiele an, ob von der Nationalschaft oder mit dem Klub. Im Moment telefoniere ich viel und lese gerade die Biografie von Carlo Ancelotti. Zudem hat jede Mannschaft auf ihrer eigenen Etage einen Fitnessraum, einen Meeting-Raum sowie ein Spielzimmer. Ich bin nicht unbedingt ein Konsolen-Fan. Nach dem morgendlichen Training werden wir getestet und nach dem Mittagessen steht die Ruhepause auf dem Programm. 

Bis vor wenigen Tagen haben Sie die Pandemie in Manhattan verfolgt. Wie fühlte sich das Leben im Big Apple seit dem Saisonabbruch im März für Sie an?

Es mag paradox klingen, aber die ersten zwei oder drei Wochen hat mich das Virus überhaupt nicht betroffen. Ich bin oft zu Hause und habe es genossen, Zeit mit meiner Frau und meiner zweijährigen Tochter zu verbringen. Ich habe die Schwere der Situation zu diesem Zeitpunkt nicht gespürt. Erst als die Gewohnheiten, wie Restaurantbesuche oder Einkäufe, dann doch stark beeinträchtigt wurden, machte sich das alles bemerkbar. New York wirkte plötzlich menschenleer. Viele Einheimische sind weggefahren und Touristen waren keine mehr da. Letztendlich wäre es eine Respektlosigkeit, wenn ich mich beschweren würde: Ich habe diese Quarantäne ohne Gehaltsverlust erlebt. Klar war es ärgerlich, aber ich war weder krank noch habe ich meinen Job verloren. 

Welche Vorschriften gab es von der MLS, um überhaupt bei diesem Turnier mitmachen zu dürfen?

Eigentlich hätten wir bereits eine Woche früher hier eintreffen sollen, doch aufgrund der Entwicklungen der Infektionszahlen hat der Verein entschieden, die Reise zu verschieben. Bereits zu Hause wurden wir alle 48 Stunden getestet. Wir hatten seit dem Abflug im Privatflugzeug keinen Kontakt mehr zur Außenwelt. Im Hotel angekommen, wurde wieder getestet und wir mussten in Quarantäne bleiben. Die Liga hat wirklich an alles gedacht, was die sanitäre Sicherheit anbelangt. Da alle „negativ“ sind, gelten wir innerhalb des Hotels als eine Blase. Doch die Sorge bleibt, denn man kann zwar eine Mannschaft kontrollieren, nicht aber das Virus. 

Mit Dallas wurde bereits ein komplettes Team aus dem Wettbewerb gestrichen. Spürt man die Angst vor einer Ansteckung, trotz der Isolation, auch in Ihrer Mannschaft?

Wir Spieler haben Mitte April für dieses Turnier abgestimmt. Seither haben sich die Infektionszahlen stark entwickelt. Nach diesem Höhepunkt in New York befinde ich mich jetzt erneut in einem Zentrum der Pandemie. Es ist besorgniserregend. Gegenüber den Zahlen in Europa ist es schlicht und ergreifend ein Desaster. In New York wurden zeitweise 20.000 neue Infektionen pro Tag festgestellt, hier sind es 10.000. Das ist katastrophal. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Abstimmung zu einem späteren Zeitpunkt positiv ausgefallen wäre. Wir sind Familienväter: Sich selbst in Gefahr zu bringen, damit kann man leben. Nicht aber, wenn es die Familienangehörigen betrifft. Zwar zählt man als Sportler nicht gerade zur Risikogruppe, aber will man unbedingt die Ausnahme sein? Letztlich akzeptiere ich aber, hier zu sein, da ich meine Stimme abgegeben habe. 

Sie haben beim Auftakt im März im ersten Meisterschaftsspiel eine Rote Karte kassiert und daraufhin den zweiten Spieltag verpasst. 

Ich habe mich nicht gerade in die beste Lage manövriert. Dieser Auftakt bleibt in schlechter Erinnerung. Es kamen viele unglückliche Dinge zusammen: Es war erst die zweite Spielminute, der Ball ging nicht wirklich auf das Tor, sondern zur Seite. Zudem habe nicht ich ihn berührt, sondern er mich. Bei einem erfahrenen Spieler wäre es wohl Dunkelgelb gewesen, doch dieser Schiedsrichter pfiff gerade sein erstes Profimatch. Dabei wollte ich unbedingt gut in die Saison starten. Ich bin erst eine Woche zuvor operiert worden, da ich mir die Nase gebrochen hatte. Zwei Tage vor dem Spiel stand ich sogar noch unter Morphium. Jetzt will ich beweisen, dass es ein Fehler war. Ich will die guten Leistungen vom letzten Jahr bestätigen. 

Welche Chancen rechnet sich der New York City FC beim MLS-Turnier aus?

Wir gehören zum Favoritenkreis und wollen das Turnier auch gewinnen. Das erste Ziel wird aber sein, überhaupt wieder spielen zu können. Niemand weiß, wie und ob diese Saison überhaupt nach dem Turnier fortgesetzt werden kann. Ich bleibe da sehr skeptisch. 

Anders als noch vor zwei oder drei Jahren hat sich der Kader stark verändert – und die ehemaligen Stars der Branche sind gegangen. Wie setzt sich die aktuelle Mannschaft zusammen?

Aus großem Potenzial. Der NYCFC hat wie alle MLS-Klubs eine Kehrtwende gemacht und sich auf Talentsuche in Südamerika gemacht. Diese jungen Spieler will man entwickeln und verkaufen. Ich selbst soll  nach wie vor mit meiner Erfahrung die Leaderrolle übernehmen.

Sie befinden sich in einem Bundesstaat, in dem es zuletzt Zehntausende Neuinfektionen gab. Wie bewerten Sie den Versuch, durch den Fußball ein kleines Stück Normalität einkehren zu lassen? 

Die United States sind einfach sportverrückt. Wir Fußballer sind die Ersten, die wieder spielen. Es wird zwar einerseits guttun, darf aber nicht den Ernst der Lage verstecken. Die Realität ist, in Bezug auf die sanitäre Krise, katastrophal. Wieder Wettkämpfe zu bestreiten ist gut, aber nicht, wenn man damit die Gesundheit der Sportler gefährdet. 

Neben Corona stand zuletzt ebenfalls die „Black Lives Matter“-Bewegung im Fokus. Wird der NYCFC die Bühne nutzen, um weitere Zeichen gegen den Rassismus zu setzen?

Nicht nur der Verein, sondern die MLS hat einige Projekte geplant. Ich stelle mich voll und ganz dahinter. Dass dieses Problem im Jahr 2020 überhaupt noch existiert, ist skandalös. Ich mag es eigentlich nicht, über Politik zu sprechen. Ich respektiere die unterschiedlichsten Meinungen. Covid-19 hat Präsident Trump in eine delikate Lage gebracht, jeder sah ja mit eigenen Augen, wie er mit der Situation umgegangen ist. Wichtiger ist aber, dass die States einen Weg aus der Krise finden, mit oder ohne Trump. Und dieses Land kann das schaffen. 

Letzte Frage: Werden Sie die Vanilleschoten aus dem Familienbetrieb in Zukunft auch nach Luxemburg exportieren?

Ich sehe schon, das hat jeden überrascht (lacht). Ich betreibe dieses Geschäft bereits seit sechs oder sieben Jahren. Meine Frau stammt aus Madagaskar. Wir haben damals dort Grundstücke gekauft und unser Business nebenbei aufgebaut. Die große Nachfrage hat mich überrascht. Nichtsdestotrotz ist meine Priorität der Fußball.