Gegenpressing – Die EM-KolumneIt’s coming home – the virus

Gegenpressing – Die EM-Kolumne / It’s coming home – the virus
Keine Maske, kein Abstand, keine Hygienemaßnahmen: Im Londoner Wembley-Stadion konnten die Fans ausgelassen feiern Foto: Frank Augstein/dpa

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Irgendwie wirkte es ungewohnt, als Jorginho nach seinem entscheidenden Elfmeter gegen Spanien in Richtung Fankurve lief. Es wirkte ungewohnt, weil sich Tausende Fans in den Armen lagen. Weil ein ganzer Fanblock jubelte. Weil das Coronavirus für über 120 Minuten in Vergessenheit geriet. Jubel, Ekstase oder Emotionen sind Teil des Fußballs – doch um welchen Preis, liebe UEFA? 

Bei den Halbfinals waren 60.000 in Wembley zugelassen – und das, obwohl sich momentan vor allem die Delta-Variante in Großbritannien ausbreitet. In der vergangenen Woche ist die Zahl der Corona-Neuinfektionen auf der Insel um rund 67 Prozent gestiegen, wie aus offiziellen Zahlen hervorgeht. Die Inzidenz lag zuletzt bei 198. Am Mittwoch meldete die europäische Gesundheitsbehörde, dass im Zusammenhang mit der Fußball-EM bislang mehr als 2.500 Corona-Infektionen gezählt wurden. Demnach habe es bis zum Ende der dritten Turnierwoche mehr als 2500 Fälle in sieben Ländern gegeben, die sich mit der EM in Verbindung bringen ließen, schrieb die EU-Agentur. 

Eine weitere schockierende Zahl meldet die schottische Gesundheitsbehörde. Von den 2.500 schottischen Zuschauern, die das Spiel gegen England besuchten, sind 400 mit der Delta-Variante infiziert nach Hause gekommen. Zwar standen die Pläne der paneuropäischen EM schon lange, bevor das Coronavirus sein Unwesen trieb, doch 2020 war es auch innerhalb kürzester Zeit möglich, ein Champions-League-Turnier in Lissabon zu organisieren. Es sollte demnach auch möglich sein, auf die aktuellsten Entwicklungen zu reagieren – vor allem, wenn es um die Gesundheit der Menschen geht. 

Die UEFA kann sich jedoch gut rechtfertigen. „Die endgültige Entscheidung über die Anzahl der Zuschauer wird immer von den jeweiligen lokalen Behörden getroffen“, sagte ein Sprecher des Verbands. Aber es war auch die UEFA, die vor dem Turnier mächtig Druck auf die Spielorte ausübte. So lehnte München beispielsweise eine feste Zusage für die Öffnung von mindestens 20 bis 25 Prozent der Stadionkapazität für Zuschauer ab – und wurde prompt von UEFA zum Wackelkandidaten erklärt. 

Auch ich bin großer Fußball-Fan. Und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich das Spiel Italien – Spanien nicht in seinen Bann gezogen hätte – wahrscheinlich auch gerade wegen der Zuschauer im Stadion. Doch am Ende des Tages muss die Vernunft siegen. 60.000 Zuschauer bei der aktuellen Situation in ein Stadion zu lassen, ist abstrus. Doch wie so oft wird die Vernunft bei einem Verband wie der UEFA nicht siegen. Am Ende sind es nämlich die Scheine, die zählen. Die Leichtsinnigkeit der UEFA macht fassungslos.