KatarIran gegen USA: WM-Spiel voller Brisanz in Sport und Politik

Katar / Iran gegen USA: WM-Spiel voller Brisanz in Sport und Politik
Der iranische Stürmer Karim Ansarifard (r.) und Coach Carlos Queiroz während der Pressekonferenz am Montagmorgen  Foto: AFP/Fadel Senna

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Selten war eine WM so politisch wie diese. Und kaum ein Match könnte dies besser verdeutlichen als das zwischen dem Iran und dessen Erzfeind USA. Fußballerisch und politisch steht viel auf dem Spiel.

Mehr politische Brisanz geht bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft kaum. Erstmals nach 24 Jahren steht Irans Nationalmannschaft bei einer WM wieder gegen seinen Erzfeind USA auf dem Platz. Schon beim Turnier 1998 in Frankreich war das Spiel aufgeladen, das 2:1 in Lyon wird auch heute noch von Funktionären der Islamischen Republik als größter Erfolg der nationalen Fußball-Historie gefeiert.

Inmitten der schwersten Proteste seit Jahrzehnten ist der Druck auf Irans Team Melli heute im Fokus der Weltöffentlichkeit um vieles größer. Dabei ist die sportliche Ausgangslage für den Iran aussichtsreich: Der Nationalelf reicht am Dienstag (20.00 Uhr) gegen die US-Auswahl schon ein Unentschieden zum Weiterkommen. Die Torschützen der WM 1998, Hamid Estili und Mehdi Mahdavikia, wurden nach dem großen Auftritt damals als Nationalhelden gefeiert.

Doch heute ist alles anders. Wegen des gewaltsamen Vorgehens iranischer Sicherheitskräfte bei den Protesten haben sich viele prominente Stars vom Staat abgewandt. Mahdavikia legte sein Amt als Trainer nieder. Ali Karimi, der frühere Profi des FC Bayern, richtet seit Wochen scharfe Worte an die iranische Führung. Und Ex-Nationalspieler Voria Ghafouri wurde vergangene Woche nach Kritik verhaftet.

Schon vor Ausbruch der Proteste war mit der WM-Auslosung klar: Bei den Spielen gegen politische Rivalen wie England oder die USA steht nicht nur der Fußball im Fokus. Für den iranischen Fußballverband ging es nicht um Tore und Punkte, sondern vor allem um das Abschneiden gegen den „Großen Satan“ USA. Dieses Spiel darf nicht verloren werden, hieß es aus Teheran. „Ich habe in verschiedenen Ländern gespielt und trainiert. Du triffst so viele Menschen und der Fußball verbindet. Das Spiel wird hart umkämpft sein – weil beide weiterkommen wollen und nicht, weil es um Politik geht. Wir wollen ums Weiterkommen kämpfen, das ist es“, sagte der US-Nationaltrainer Gregg Berhalter und wies demonstrativ auf den sportlichen Fokus des Spiels hin. „Das Spiel gegen Iran ist wie ein K.o.-Spiel – siegen oder nach Hause fahren.“

„Die Mutter aller Spiele“

Wie hoch der Druck auf die Auswahl des Iran ist, bekam schon der frühere Nationaltrainer Dragan Skocic zu spüren, der das Team souverän zur WM geführt hatte. Nach Ansicht des iranischen Fußballverbands sowie der politischen Elite hatte er aber „nicht das Zeug“ zu mehr. Wenige Zeit später wurde bekannt, dass der Portugiese Carlos Queiroz diesen Job übernehmen soll. Der 69-Jährige war schon zwischen 2011 und 2019 Chefcoach und führte das Land zu den Weltmeisterschaften 2014 und 2018, scheiterte aber beide Male in der Vorrunde.

Die Erwartungen an die Nationalelf sind riesig. Während sich die Führung der Islamischen Republik mit einem Einzug ins Achtelfinale Rückenwind in der Innenpolitik verspricht, fordern die Anhänger der Proteste auf der Weltbühne ein Zeichen der Solidarität. Während das Team Melli gegen England noch mit dem Nicht-Singen der Nationalhymne ein Zeichen setzte, gaben die Spieler nach Druck gegen Wales nach und stimmten die Hymne an – wenn auch recht leidenschaftslos.

Nach der beschämenden Niederlage mit 2:6 im Auftaktspiel gegen England rechneten alle Fußballexperten mit einem Debakel. Cheftrainer Queiroz und Funktionäre sollen den Spielern klargemacht haben, dass ihre Solidarität mit ihren protestierenden Landsleuten bei einer WM nichts zu suchen haben. In einem dramatischen Spiel siegte der Iran gegen Wales mit zwei Toren in der Nachspielzeit. Plötzlich steht auch die Tür ins Achtelfinale wieder ganz weit offen. Mit einem Sieg gegen die USA hofft auch die politische Führung in Teheran auf ein neues Nationalgefühl. Gleichzeitig birgt eine Niederlage auch die Gefahr des genauen Gegenteils. Ohnehin sind viele Iranerinnen und Iraner gespalten in der Frage, ob sie sich an einem Erfolg der Mannschaft freuen können, während Hunderte Menschen in der Heimat getötet und Tausende verhaftet wurden. Die Anspannung ist groß, auch deshalb sagt ein Sportjournalist in Teheran wenige Tage vor Anpfiff: „Das ist die Mutter aller Spiele.“