/ Fußball spüren
Am Sonntag kommt es in der 2. Fußball-Bundesliga zum Duell der Luxemburger Trainer Jeff Strasser und Jeff Saibene. Der 1. FC Kaiserslautern empfängt Arminia Bielefeld auf dem berühmt-berüchtigten Betzenberg. Dann wird auch Matze im Stadion sein. Der fast blinde 29-Jährige kommentiert die Auftritte seines FCK seit 2011 auf YouTube.
Für so manchen FCK-Fan hat sich der YouTube-Kanal von Mathias F., alias Matze, zu einer Art Trostpflaster entwickelt. Denn geteiltes Leid ist halbes Leid. Und wenn Matze nach einer abermaligen Katastrophen-Leistung der Mannschaft Tacheles redet, dann hat das für viele der in den letzten Jahren arg gebeutelten Anhänger der „Roten Teufel“ durchaus etwas Tröstliches. Matze redet sich mitunter in Rage und spricht damit vielen Fans aus dem Herzen.
Seit er sechs Jahre alt ist, geht Matze zum FCK. Er ist bei jedem Heimspiel dabei und reist der Mannschaft auch bei (fast) allen Auswärtsspielen hinterher. Was genau sich auf dem grünen Rasen abspielt, sieht er meist erst zu Hause, wenn er das Videomaterial für seinen YouTube-Beitrag sichtet. Denn Matze ist so gut wie blind (4% Sehkraft).
Wie sein fünf Jahre älterer Bruder Christian leidet er unter „Retinitis pigmentosa“, einer Erbkrankheit, die zur Auflösung der Netzhaut führt. In einem bemerkenswerten Videoblog erklären beide, wie sie mit der Krankheit umgehen und ihren Alltag meistern (https://youtu.be/3wHQ6dfUtbw).
Man müsse sich das vorstellen, als hätte man einen Karton über dem Kopf, erklärt Matze, dann steche man mit einer Stecknadel drei Löcher für das linke und eins für das rechte Auge in den Karton. So in etwa ist seine Sicht. Dazu kommen eine starke Blendempfindlichkeit, eine unscharfe Sicht und Probleme bei Farbähnlichkeiten wie zwischen Braun und Schwarz.
Steckbrief
Name: Mathias F.
Spitzname: Matze
Geboren: 27.4.1988 in Speyer, Pfalz
Familienstand: Seit 12.3.2017 mit Bella verlobt
Beruf: Büroangestellter
FCK-Fan seit: Geburt –
erster Stadionbesuch 1994
YouTuber seit: 2011
YouTube-Kanal: Matzes Daily Madness
Lebensmotto: Der Schlüssel zum Erfolg ist Kameradschaft und der Wille, alles für den anderen zu geben (Fritz Walter)
Und trotzdem. „Für uns ist das keine Behinderung“, stellt er klar, „sondern etwas Normales, das zu unserem Leben dazugehört. Natürlich gibt es auch Tage, da regt man sich darüber auf. Vor allem als Hobbyfilmer.“ Die Brüder wollen jedenfalls nicht stigmatisiert werden, tragen deshalb auch kein Erkennungszeichen, benutzen keinen Blindenstock. Christian erklärt: „Die Hilfsbereitschaft ist bei den Leuten enorm groß, aber ich entscheide lieber selbst. Wenn ich Hilfe brauche, dann frage ich danach.“ Matze ergänzt: „Wir kommen sehr gut zurecht und wollen keine ‚Überfürsorge‘. Wir wollen ganz normal behandelt werden.“
„Für uns ist es keine Behinderung“
Und trotzdem ist es nicht immer einfach, den Alltag als Fast-Blinder zu meistern. Der Straßenverkehr ist ein Problem, da die Autos immer leiser werden. Auch wenn viele Menschen wie beim Fußball unterwegs sind, wird es schwierig. Permanent muss die Umgebung mit den Augen regelrecht abgescannt werden.
„Es erfordert viel Konzentration, nicht andauernd jemanden umzurennen bei den vielen toten Winkeln im Blickfeld“, sagt Matze und fügt lachend hinzu: „Im Stadion sind die Treppen im Block auch nicht ohne. Auswärts noch mehr, weil wir uns da nicht so gut auskennen. Wir gehen da so vorsichtig die Treppen hoch und runter, dass die Leute denken, wir wären besoffen.“
Die Menschen überhaupt zu erkennen, sei schon schwierig genug. Das geht meistens über die Stimme und die Statur, klappt aber längst nicht immer. Und dann passiert es, dass der Gegenüber einem die Hand zum Gruß reicht, er selbst sich aber voll auf das Gesicht konzentriert und die angebotene Hand nicht sieht. Seine Verlobte Bella macht ihn dann mit der Bemerkung „Hand“ darauf aufmerksam. Wichtig ist den Brüdern, dass die Leute solche Sachen nicht als Unhöflichkeit aufnehmen.
Seit 23 Jahren geht Matze nun zum FCK. Seine Sicht wurde mit der Zeit immer schlechter. Inzwischen kann er nur noch das Geschehen bis zur 16er-Linie an der Westkurve erkennen, wo er ganz vorne in Block 8.1 steht. Im Strafraum kann er dem Ball folgen, sofern er ihn denn einmal fixiert hat. Wenn er ihn allerdings einmal „verloren“ hat, dann wird es schwer, ihn wiederzufinden. „Aber wir spielen in letzter Zeit ja nicht mehr besonders schnell“, bricht der Galgenhumor aus ihm heraus. Flutlichtspiele sind gut, denn dann leuchtet der Rasen stärker. Gut ist auch, wenn die gegnerischen Teams in Weiß oder in Neonfarben auflaufen. Schlecht ist dagegen wechselhaftes Wetter wegen der sich ständig ändernden Lichtverhältnisse.
Das Erlebnis Stadion möchten die Brüder auf keinen Fall missen. „Wir wollen im Block sein, wir wollen Stimmung machen. Und durch die Reaktion im Fanblock wissen wir inzwischen genau, was auf dem Rasen geschieht. Es ist einfacher, als man denkt. Jeder sollte das mal probieren. Einfach mal fünf Minuten die Augen zumachen und die Stimmung und die Spannung aufsaugen“, meint Matze.
Unterkriegen, das merkt man bei jedem Satz, lässt sich der 29-Jährige nicht. Ähnlich wie der 1. FC Kaiserslautern, der sich seit jeher über Herzblut, Zusammenhalt, Kampf und Willen definiert. Attribute, die Matze in seinen Videos immer wieder von der Mannschaft einfordert.
„Ich jedenfalls sehe die Krankheit nicht als Behinderung, sondern als Antrieb“, erklärt er, „ich will alles mitnehmen, solange es geht. Ich will mich nie fragen müssen, warum ich dieses und jenes nicht gemacht habe, als ich noch sehen konnte. So handhabe ich das, als Antrieb und Tritt in den Arsch, dass ich nicht alles aufschiebe.“
Das Matze-Tageblatt-Special
Für die Tageblatt-Leser hat Matze einen Sonder-Videoblog als Vorschau zur Partie 1.FC Kaiserslautern – Arminia Bielefeld produziert. Im 2:39-Minuten-Beitrag beleuchtet er die Partie aus „Luxemburger Sicht“ und erklärt die aktuelle Situation seines FCK.
Seine regelmäßigen Beiträge sind im Übrigen auf dem YouTube-Kanal „Matzes Daily Madness“ (MDM) abrufbar. Das Schema der Spieltagbeiträge ist stets gleich: erst eine kleine Vorberichterstattung mit statistischem Material, dann die besten Spielszenen aus dem FCK-Block gefilmt und zum Schluss die stets auf den Punkt gebrachte Analyse des YouTubers.
Auf MDM geht es aber nicht nur um den FCK und Fußball. In der Kanalbeschreibung heißt es: „Auf meinem Kanal findet ihr Videos über meinen verrückten Alltag, aber auch jene, welche nicht wirklich sinnvoll oder logisch sind :).“ Momentan hat MDM über 13.000 Abonnenten.
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