1982, italienheiß

1982, italienheiß

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Diese Fußballweltmeisterschaft bringt Menschen zusammen. Zumindest bringt sie mich mit Menschen zusammen. Vor allem mit einem. Seit 20 Jahren lebe ich fernsehbefreit. Wenn ich jetzt ein Spiel sehen will, gehe ich in mein Lieblingscafé und treffe dort meinen netten Bekannten. Wäre er einmal nicht da, würde ich mir sofort Sorgen machen. In der Halbzeit oder wenn das Spiel ein bisschen durchhängt, erzählen wir uns Geschichten von früher, von jetzt und manchmal – wie der Leser dieser Kolumne es weiß – auch aus der Zukunft.

Ich erzählte ihm also auch von meiner ersten Begegnung mit spontanem Fan-Wahnsinn. Wir waren acht oder zehn und einer war schon zwölf an diesem 11. Juli 1982. Es war heiß, mehr als 30 Grad, es war italienheiß. In Esch wurde es eine italienische Nacht. Man konnte wirklich denken, die ganze Stadt wäre in einen kollektiven Freudentaumel gefallen.
Fast die ganze Stadt. Als sich bereits kurz vor Schlusspfiff die Autokorsos am Viaduc vorbeihupten, waren auch wir draußen. Ich hatte meinen besten Freund, blond, Brille, Bäuchlein, wohnte gegenüber, zuvor noch nie so gesehen. Eigentlich war er der gemütlichste Freund, den man sich nur wünschen konnte.

Jetzt hatte er Tränen im Gesicht. Er brüllte und trat so fest mit dem Fuß gegen das kleine Baustellenschild vor dem Loch in unserem Bürgersteig, dass er danach noch mehr brüllen musste, weil es immer sehr wehtut, wenn man mit Sandalen gegen Festes tritt. Es folgte der Kontrollverlust. Er bückte sich, griff eine der dort liegenden Schlacken und warf sie Richtung für seine Reichweite unerreichbares feierndes und hupendes Italien. Dann schnell noch eine. Die dritte holte ihm sein Vater aus der Hand. Sein Abend fand naturgemäß ein abruptes Ende, keine zwei Minuten später ließ seine Mutter die Rollläden an seinem Schlafzimmer herunterknallen.

Damals begriff ich erstmals, was Fußball kann. Und eigentlich, erzählte ich meinem Bekannten weiter, interessiert mich dieser Sport erst seit diesem 11. Juli 1982. Ich weiß nicht genau, wann er aufgehört hatte, mir zuzuhören. Er hatte immer wieder zu Belgien gegen England hinübergeschaut. Zuletzt immer häufiger und länger. Ich freue mich trotzdem schon jetzt auf unser nächstes Treffen.