/ Fußball / „Ihr könnt keine Amateure sein“
Heute vor genau 50 Jahren fand das Match der Superlative im Luxemburger Fußball statt.
Vor einer Rekordkulisse von 19.000 Zuschauern im Stadion an der Arloner Straße traf Jeunesse Esch in der zweiten Runde des Europapokals der Landesmeister auf die damals beste Mannschaft der Welt, Real Madrid. / Philip Michel
Der 4. November 1959 sollte so zum Wendepunkt der Jeunesse-Geschichte werden. Zwar war zu diesem Zeitpunkt das Palmarès mit sechs Meistertiteln und vier Pokalsiegen bereits gut bestückt, doch sollte das Europapokalspiel gegen Real aus der Jeunesse einen reichen und über die Landesgrenzen hinweg bekannten Klub machen.
1955 war der Europapokal der Landesmeister ins Leben gerufen worden und die ersten fünf Ausgaben sollten eine Beute der „Königlichen“ vom Real Madrid werden. Eben jene „Königlichen“, auf die Jeunesse 1959 in der zweiten Runde in einem für den gesamten Luxemburger Fußball historischen Match traf. Jeunesse hatte in der ersten Runde den polnischen Vertreter Lodz zu Hause mit 5:0 (Tore: 2x May, 2x Meurisse, Schaack) abgefertigt, nachdem die Mannschaft des englischen Trainers George Berry vier Tage zuvor in der Meisterschaft mit einem 0:4 in Grevenmacher gedemütigt worden war. Mannschaftskapitän René Pascucci erinnert sich: „Gegen Lodz boten wir unser bestes Spiel aller Zeiten. Wir hatten uns das Duell mit dem großen Real Madrid redlich verdient.“ Das Rückspiel ging zwar 1:2 verloren, aber Jeunesse hatte sich als erste Luxemburger Mannschaft für eine zweite Europapokalrunde qualifiziert. Noch auf der Rückfahrt aus Polen kam die frohe Kunde vom großen Los: Real Madrid, die beste Mannschaft der Welt um Alfredo di Stefano und Ferenc Puskas, war der nächste Gegner.
Lediglich eine Kleinigkeit trübte die Freude etwas. Das Hinspiel sollte in Madrid stattfinden und im Lager der Schwarz-Weißen fürchtete man in Anbetracht einer durchaus zu erwartenden Kanterniederlage im Bernabeu Zuschauereinbußen für das Rückspiel. Der Grenzer Kaplan Brix und Pastor Grisius, beide vom Jeunesse-Virus gepackt, wurden vor den Escher Karren gespannt. Über das Bistum wurde im Vatikan vorgesprochen. Doch Real, so katholisch der Klub auch war, ließ sich nicht erweichen. Das war freilich auch nicht weiter tragisch, denn die 0:7-Hinspielniederlage vor 80.000 Menschen in Madrid tat dem Interesse für das Rückspiel, das von der „Grenz“ ins hauptstädtische Stadion verlegt wurde, keinen Abbruch. „Trotz des 0:7 war das Stadion beim Rückspiel voll“, erinnert sich René Pascucci, wobei für die Escher Mannschaft der Auftritt im Bernabeu-Stadion zwei Wochen zuvor das absolute Highlight war. „Wir waren unsere kleine Beleuchtung im Stadion auf der ‚Grenz‘ gewohnt und plötzlich kommst du in dieses hell erleuchtete Riesenstadion mit 80.000 Menschen rein. Ein fantastisches Erlebnis. Unbeschreiblich!“.
Spiel des Jahrhunderts
Und in Luxemburg wollte zwei Wochen später jeder das Spiel des Jahrhunderts sehen. 150 Franken kostete ein Ticket auf der nur 1.100 Plätze fassenden überdachten Tribüne. Der Zuschauerrekord im Stadion an der Arloner Straße datierte damals aus dem Jahr 1938 (15.000 beim Freundschaftsspiel Luxemburg – Frankreich B). Seitdem war das Stadion quasi unverändert geblieben, so dass man auch 1959 von einem Fassungsvermögen von ca. 15.000 ausgehen konnte. Wegen der riesigen Nachfrage kontaktierten die Escher Verantwortlichen den Gerüstebauer Travhydro, der gerade mit Arbeiten an der „aler Bréck“ beschäftigt war. Die Firma verlangte 105.000 Franken für eine 3.000 Menschen fassende Zusatztribüne. Die Rechnung war schnell gemacht: 3.000 mal 80 Franken (Eintrittspreis Gradins) = 240.000 Franken. Vor der Haupttribüne installierte die Luxemburger Armee kostenlos einige Stehreihen für all diejenigen, die gratis Eintritt hatten. Die Stadtmusik, die normalerweise zu 80 auftrat, kam mit 150 Musikern zum Spiel.
Die Stadiontore wurden gegen 15.30 Uhr geöffnet und obwohl es ein feucht-kalter Tag war, saßen bereits vier Stunden vor dem Anpfiff einige hundert Zuschauer im Stadion, um sich die besten Plätze zu reservieren. Nummerierte Sitzplätze gab es nur auf der Haupttribüne. Das „Match der Superlativen“ konnte beginnen, allerdings nicht ohne den Verantwortlichen die ein oder andere Zerreißprobe abzuverlangen. So fiel im Laufe des Abends in zwei Kassenhäuschen der Strom aus. Der Platzwart des Stadions sprang in die Bresche und trieb Kerzen auf.
Alles in allem waren am 4. November 1959 rund 19.000 Zuschauer im Stadion und nicht wie teilweise kolportiert 25.000. Die hätte das Stadion beim besten Willen nicht aufnehmen können. 17.754 Eintrittskarten waren verkauft worden, rund 1.200 Menschen umsonst ins Stadion gekommen. Sie brauchten ihr Kommen nicht zu bereuen.
Durch Marcel Theis (10. Minute) und Albert Schaack (14. Minute) ging die Jeunesse 1:0 und 2:1 in Führung. Pascucci: „Madrid hatte eine so außergewöhnliche Mannschaft und nach dem 0:7 aus dem Hinspiel traute uns niemand mehr etwas zu. Und dann ist beim 1:0 und beim 2:1 das Stadion explodiert.“ Das konnte sich das große Real Madrid freilich nicht bieten lassen. Bis zur Pause hatten Di Stefano und Co. das standesgemäße 2:5 hergestellt. Den Respekt des Gegners hatten sich die Mannen von der Escher „Grenz“ aber erspielt: „’Ihr könnt keine Amateure sein‘, hat Ferenc Puskas nach dem Spiel zu mir gesagt“, erinnert sich Pascucci nicht ohne Stolz.
In Durchgang zwei fiel kein weiterer Treffer mehr. Sehr zum Leidwesen von RTL Télé, das sein allererstes Live-Spiel übertrug. Wohl aus finanziellen Gründen wurde lediglich der zweite Durchgang gezeigt, Jeunesse strich dafür 30.000 Franken ein. Die freilich machten den Kohl nicht mehr fett. Denn als Netto-Gewinn sprang für Jeunesse die damals exorbitante Summe von 620.000 Franken heraus. Die Escher Spieler hatten aber etwas viel Wertvolleres bekommen: „Von solch einer Erinnerung zehrt man sein ganzes Leben“, weiß nicht nur der inzwischen 82 Jahre alte René Pascucci.
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