„Freakshow“ in London

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Sie haben sich benommen wie Rüpel und wollen nun daraus Geld machen. Dereck Chisora und David Haye treten nach ihren Prügelszenen von München nun in London im Ring mit Luxemburger Lizenz gegeneinander an. Boxfans halten den Kampf für eine reine Showveranstaltung.

Sein Trainer Don Charles hält große Stücke auf den Boxer Dereck Chisora. „Ich würde so weit gehen zu sagen, dass er ein Genie ist“, formulierte der Coach des Briten bei einer Pressekonferenz vor dem Schwergewichtskampf gegen seinen Landsmann David Haye.

Der Rest der Boxwelt siedelt Chisora dagegen irgendwo zwischen einem Ring-Clown und einem Kleinkriminellen an. Und die Umstände des Kampfes, der heute im betagten Stadion des Ost-Londoner Traditions-Fußballclubs West Ham United steigt, sprechen dieser Einschätzung nicht gerade entgegen.

K.o.-Ankündigungen

Wladimir Klitschko hat das Spektakel bereits als „Freakshow“ bezeichnet. Promoter Frank Warren gab sich alle Mühe, dem Kampf den Ruch von Blut und roher Gewalt zu verleihen – nichts ist zu niedrig, wenn es darum geht, Publikumsinteresse anzukurbeln.
So ließ er die Boxer bei einer Pressekonferenz von einem eisernen Bauzaun voneinander trennen und sie dann grimmig durch die Gitterstäbe blicken. Die üblichen Todesdrohungen und Hasstiraden samt K.o.-Ankündigung mit Rundenangabe beiderseits durften natürlich auch nicht fehlen.

Boxfreunde auf der Insel meinen, der einst als edel angesehene Faustkampf sei dank solcher Demonstrationen nicht mehr allzu weit von den Wrestling-Shows US-amerikanischer Machart entfernt und werde der Lächerlichkeit preisgegeben.
Chisora hatte sich nach seiner klaren Niederlage gegen den älteren Klitschko-Bruder Vitali im Februar in München vor laufenden Fernsehkameras mit Haye geprügelt. Zuvor hatte er seinen Gegner beim Wiegen geohrfeigt und dessen Bruder Wladimir kurz vor Kampfbeginn bespuckt. Der britische Verband entzog ihm deswegen die Boxlizenz.

Luxemburger Lizenzen

Um die Show in London trotzdem steigen lassen zu können, musste Chisora auf einen umstrittenen Trick zurückgreifen. Er boxt nun mit einer luxemburgischen Lizenz. Genauso wie sein Kontrahent: Haye hatte seine Lizenz schon vor der unfreiwillig komischen Aktion in München zurückgegeben. Er beantragte eine neue nicht in seinem Heimatland, sondern ebenfalls im Großherzogtum, wo beide auch – getrennt – eine Pressekonferenz abhielten (das „T“ berichtete).

So führt bei dem Kampf kurioserweise auch nicht das einheimische British Boxing Board of Control (BBBofC) die Aufsicht, sondern der luxemburgische Boxverband FLB mit Präsident Pierre Back. Wer genauer hinsieht, erkennt, was wirklich hinter der merkwürdigen Konstruktion steckt. Es geht um Kämpfe gegen die Klitschko-Brüder – und damit ums große Geld, das im krisengeschüttelten Schwergewicht im Moment nur über die beiden Brüder aus der Ukraine zu verdienen ist.

Was steht auf dem Spiel?

Auf dem Spiel stehen der vakante Titel des International-Champions der WBA und der des WBO-Intercontinental-Champions. Wer die Titel hält, ist automatisch unter den ersten 15 der Weltrangliste des jeweiligen Verbandes – und damit berechtigt, den Weltmeister herauszufordern. Bei der WBO ist Wladimir Klitschko Weltmeister, bei der WBA „Superchampion“. Haye schwebt noch eine Revanche gegen Witali Klitschko vor, nachdem er gegen Wladimir auf verlorenem Posten gestanden und danach über seine Zehenverletzung geklagt hatte.

Promoter Warren, der den Kampf vermarktet, hat noch eine andere Intention: Er will seinem hauseigenen Box-Fernsehsender Boxnation einen Schub geben. Bisher laufen dort vor allem ausländische Kämpfe. In Deutschland wird der Kampf nur über Pay-per-View zu sehen sein. Die öffentlich-rechtliche ARD wollte den Kampf ursprünglich übertragen – zog dann aber wegen moralischer Bedenken zurück.