Eine handfeste Revolution

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Die Fälle "Pechstein" und "SV Wilhelmshaven" beschäftigen seit Jahren die deutsche (Sport-)Justiz und dürften mit größter Wahrscheinlichkeit sowohl das IOC in Sachen Sportgerichtsbarkeit CAS als auch die FIFA in Sachen Ausbildungsentschädigungen im Fußball zu grundlegenden Reformen zwingen.

Ob nun die deutsche Athletin Claudia Pechstein aufgrund von auffälligen Werten von Blutanalysen, die bei Dopingkontrollen während der Eisschnelllauf-Weltmeisterschaft vor sechs Jahren vorgenommen wurden, nun gedopt hat oder nicht, ist immer noch nicht definitiv geklärt, und ist bei den zurzeit laufenden Verfahren vor den zivilen Gerichten in München kaum, wenn überhaupt, ein Thema.

Ähnlich sieht es in Sachen „SV Wilhelmshaven“ aus. Der ehemalige Regionalligaverein war vor nunmehr sieben Jahren ähnlich wie die einheimischen Vereine CS Grevenmacher, Jeunesse Esch und F91 Düdelingen zur Zahlung einer sogenannten Ausbildungs-Entschädigung von der FIFA verklagt worden, da sich der Verein trotz aller Mahnungen bis heute noch weigert, diese zu zahlen, und zudem zu weiteren Geldbußen, einem Sechs-Punkte Abzug, und ist schließlich zum Zwangsabstieg nach der Regionalliga-Saison 2013/2014 verklagt worden.

Grundfeste im Sport

Wie Claudia Pechstein hat der SV Wilhelmshaven nach der Sportjustiz die Sportschiedsgerichtsbarkeit CAS in Lausanne, die zivilen Gerichte in Bremen mit der Angelegenheit befasst, wobei es, wie eingangs gesagt, zum heutigen Zeitpunkt weniger um die anfängliche Strafen-Dopingsperre bei Claudia Pechstein und Geldbußen sowie Zwangsabstieg beim SV Wilhelmshaven geht, sondern vielmehr um Grundfeste im Sport schlechthin, die zutiefst bedroht sind und zumindest sehr stark bröckeln, die da sind die Sportgerichtsbarkeit, der CAS (und andere), sowie die derzeitige FIFA-Regulierung in Sachen Ausbildungs-Entschädigung.

So dürfte mit aller Wahrscheinlichkeit dem heutigen Stand der Dinge nach das Urteil, welches das Münchner Oberlandesgericht am 15. Januar verkünden wird, erhebliche Auswirkungen auf die Sportgerichtsbarkeit haben. Das Landesgericht München hatte mit Urteil vom vergangenen 26. Februar 2014, für viele überraschend, seine Zuständigkeit in der relevanten Sache bejaht und dies, obwohl Claudia Pechstein verschiedene Athletenvereinbarungen unterzeichnet hatte, die u.a. Verzichtsklauseln bezüglich der staatlichen Gerichtsbarkeit (zugunsten des CAS) enthielten.

Das Oberlandesgericht hat schon bei den Verhandlungen Ende des vergangen Jahres angekündigt, dass es diesen Aspekt stützt.

Keine wirksame Schiedsvereinbarung

Das Erstaunliche hier, dass das erstinstanzliche Gericht und mit größter Wahrscheinlichkeit auch die Berufung nächste Woche festhalten wird, dass die Athletin überhaupt keine wirksame Schiedsvereinbarung abgeschlossen habe, da diese von Seiten von Claudia Pechstein nicht freiwillig unterzeichnet wurde. Soweit bei den Verhandlungen Ende des Jahres ersichtlich, dürften die Richter bestätigen, dass die Athletin bei der Unterzeichnung der Schiedsvereinbarungen keine andere Wahl gehabt habe, als diese zu akzeptieren, da sie sonst nicht zu Wettkämpfen zugelassen worden wäre.

Hat das Landgericht München l den Aspekt der Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung mangels freien Willens der Athletin thematisiert, so war direkt dem nicht so in der Begründung des hanseatischen Oberlandesgerichtes in Bremen mit seinem am 30. Dezember verkündeten Urteil in der Angelegenheit SV Wilhelmshaven.

Das Landesgericht Bremen hatte noch in dem erstinstanzlichen Urteil vom 25. April 2014 festgehalten, dass „die Zahlung einer Ausbildungsentschädigung vom CAS verbindlich festgestellt wurde“, und führte demzufolge aus, dass die verbandsinternen Gerichtsinstanzen des DFB „nicht die Möglichkeit haben, eine CAS-Entscheidung eigenständig zu überprüfen“, so negiert das Oberlandesgericht in dem in der vergangenen Woche verkündeten Urteil die Existenz des CAS schlechthin in dem Sinne, dass es in der Begründung unumwunden festhält, dass für den SV Wilhelmshaven „der Weg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit eröffnet ist“.

Legitim

Das Gericht hält wohl fest, dass Rechtsstreitigkeiten unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges ausgetragen werden können – was an und für sich absolut legitim ist, doch, und hier liegt der wunde Punkt, „müssen diese einer unabhängigen und unparteilichen Instanz unterworfen werden.“ Dies stellt unmittelbar eine Rüge an der Struktur des CAS dar, und es hält dann ähnlich, ohne jedoch so weitgehend zu erörtern wie das Münchner Gericht, unumwunden und unmissverständlich fest, dass: „um ein solches Schiedsgericht zu sein, muss das Vereinsgericht satzungsmäßig als unabhängige und unparteiliche Stelle organisiert sein und die Streitbeteiligten müssen paritätisch Einfluss auf dessen Besetzung nehmen.“!

Auch ohne direkt auf das CAS hinzuweisen, hat das Oberlandesgericht sich direkt oder indirekt hinlänglich bekannte Kritiken der Athletenkommission des DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) mehr als nur zu Eigen gemacht, welche in einem bemerkenswerten Arbeitspapier u.a. festhält, „wenn der Abschluss von Schiedsvereinbarungen der einzige Weg ist, um international gleiches Recht im Sport für die Athleten umzusetzen, dann muss dieser Weg weiter optimiert werden. Dass das geltende System (…) verbesserungsfähig ist, steht außer Frage“. Darüber hinaus wird festgehalten, dass falls diese Eigenständigkeit und das Unparteiliche nicht garantiert sind, Athleten nicht an die Schiedsgerichtsbarkeit gebunden sind, und zudem hält es fest, dass falls Verbandsgerichte, sei es die FIFA, UEFA oder ein nationaler Verband, wie auch der CAS, sich über „zwingendes nationales oder internationales Recht hinwegsetzen“, es keinen Widerspruch sieht, sich als ziviles Gericht für zuständig zu erklären mit der bemerkenswerten Begründung, dass „auch die Vereinsautonomie keine Strafsanktionen gegen Mitglieder rechtfertigt, die gegen zwingende gesetzliche Regelungen verstoßen“.

Wenn nun die Erwägungen des Oberlandesgerichts München verallgemeinert werden (auch über Deutschland hinaus, was durchaus möglich ist, da es sich hier um allgemein gültige rechtliche Prinzipien handelt, dann hieße dies, dass dann grundsätzlich jede Athletenstreitigkeit vor staatlichen Gerichten ausgetragen werden kann!

Um auf die Ausbildungsentschädigung zurückzukommen soll hier vermerkt werden, dass das Oberlandesgericht Bremen in seiner Begründung ausdrücklich darauf hinweist, dass die Ausbildungsentschädigung absolut legitim ist und „grundsätzlich durch den Zweck gerechtfertigt werden kann, um die Ausbildung und Anwerbung von Nachwuchsspielern zu fördern“, unter Verweis auf verschiedene prinzipielle Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes – u.a. Olympique-Lyonnais-Urteil vom 15.12.1995, C 415/93).

„Transferentschädigungen erfüllen mithin die Funktion des Ersatzes von Ausbildungskosten nur dann, wenn sie sich an den tatsächlichen angefallenen Ausbildungskosten orientieren (..).“ Bloß die bestehende FIFA-Regelung sieht dies nicht vor, da sich die „Entschädigung nicht an den für die Ausbildung entstehenden effektiven Kosten des ausbildenden Vereins orientiert“, sondern „einen Ausgleich in Höhe des pauschal eingeschätzten Aufwandes vornimmt, der dem übernehmenden Verein im Hinblick auf diesen Spieler erspart worden ist“.

Das ist weiter nicht überraschend, da dies seit Gerichtsentscheiden des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg hinlänglich bekannt ist (bloß so nicht von der FIFA gesehen wird – ähnlich damals seine Auffassung, die dann zu dem bahnbrechenden Bosman-Urteil führte). Erstaunlicher ist dann schon die Feststellung des Oberlandesgerichtes, dass die vom FIFA-Disziplinargericht ausgesprochene Ausbildungsentschädigung, wie das bestätigende CAS (Urteil) hiermit gegen das Recht auf Freizügigkeit des Spielers nach Artikel 45 der Europäischen Verordnung dahingehend verstößt, weil der neue Verein verpflichtet ist, die fragliche Entschädigung zu zahlen, und ihm andernfalls gravierende Disziplinarstrafen drohen.

Rechtswidrig

„Der verfügte Zwangsabstieg ist rechtswidrig und damit unwirksam, weil er als Beugemittel zur Durchsetzung von gegen den Kläger gerichteten Zahlungsansprüchen dient, deren vom CAS bestätigter Ausspruch durch die Verbandsgerichtsbarkeit der FIFA nach Art. 45 AEUV nicht vereinbar ist. Ihre zwangsweise Durchsetzung über die Strafgewalt des Beklagten verstößt damit gegen zwingende Normen des EU-Rechtes, was von dem Beklagten (DFB) zu beachten ist.“

Die zusätzliche Anmerkung des Gerichtes „die Rechtswidrigkeit der Vereinssanktion folgt aber auch bereits daraus, dass die Beklagte (DFB) eine Disziplinarentscheidung getroffen hat in der irrigen Annahme, bloßes Vollzugsorgan der FIFA-Disziplinarkommission zu sein und zu einer inhaltlichen Überprüfung der ‚umzusetzenden‘ Entscheidung nicht berechtigt zu sein, und damit seine Strafgewalt nicht wirksam ausgeübt hat.“

Hierdurch aber wird die Freizügigkeit des Arbeitgebers (der aufnehmende Verein) beeinträchtigt, was gegen besagten Artikel 45 verstößt und mithin gegen zwingendes nationales oder wie hier internationales/europäisches Recht! Ein wesentlicher Punkt ist hier, dass das Bremer Gericht festgehalten hat, dass sich sowohl Arbeitgeber (der Verein) wie Arbeitnehmer (der Spieler) auf dieses Recht berufen können!

Dies aber haben sowohl die FIFA als auch das CAS versäumt, wodurch sich u.a. nicht nur die Zuständigkeit der zivilen Gerichte erklärt, sondern vielmehr diese Entscheide für null und nichtig erklärt wurden.

Eine handfeste Revolution im FIFA-Haus, und Balsam für die Escher Jeunesse, die sich (berechtigte) Hoffnungen machen dürfte.

Noch keine gefestigte Rechtsprechung

In beiden Angelegenheiten liegt wohl noch keine gefestigte Rechtsprechung vor, doch gehen viele Rechtsgelehrte davon aus, dass eine Revision vor dem Bundesgerichtshof oder Bundesverfassungsgericht (eher) geringe Aussicht auf Erfolg hat, da der Entscheid des Oberlandesgerichtes Bremen wie der zu erwartende Entscheid kommende Woche in München durchwegs Ausführungen und Feststellungen enthalten, die allgemein rechtlich mehr als nur als annehmbar angesehen werden müssen.

Beide Urteile dürften mit Sicherheit den betroffenen Luxemburger Fußballvereinen Hoffnungen machen, dass ihnen die verhängten Geldstrafen eventuell erspart werden dürften, oder zumindest bis es eine gesicherte Rechtsprechung gibt.

Gespannt ist man ohne Zweifel in Grevenmacher , wo Me Franck dem CAS oben ausgeführte Argumente vorlegte und wo die Schiedsgerichtsbarkeit dem Argument, wenn es entscheidend sein soll, Rechnung tragen müsste.

Darüber hinaus täten aber sowohl der CAS als auch die FIFA gut daran, ähnlich, wie es der DOSB tut, Experten heranzuziehen, um die Rechtssicherheit der augenblicklichen Bestimmungen eingehend zu überprüfen, ehe es, insbesondere was die Sportgerichtsbarkeit betrifft, zu einer kaum vertretbaren Rechtsunsicherheit kommt, die insbesondere wenn man an die Dopingbekämpfung und die gewichtige Rolle, die der CAS in dem Bereich zu spielen hat, denkt (siehe Wada-Code 2015). Wird dieser und der zu erwartende Entscheid in Sachen Pechstein allgemein gültig werden, so würde der CAS förmlich ausgehoben werden und eine Überführung von Dopingtätern immer schwieriger werden.

In Anbetracht der Wichtigkeit einer einheitlichen national wie international ausgelegten Rahmenbedingung (Sportschiedsgericht) sollte das IOC schnellstmöglich hier Initiative ergreifen, bevor es zu einer totalen Rechtsunsicherheit kommt.

(*) Ehemaliger COSL-Präsident, Mitglied EC EOK und ANOC, Juristische Kommission.