JudoEin Aussie in Lorentzweiler: Die verrückte Olympia-Geschichte von Katharina Häcker

Judo / Ein Aussie in Lorentzweiler: Die verrückte Olympia-Geschichte von Katharina Häcker
Die Nummer 10 der Welt, Katharina Häcker (in Weiß), lebt seit einem Jahr in Luxemburg  Foto: IJF/Emmanuele Di Feliciantonio

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Sechs Jahre ist es her, dass aus einer Schnapsidee Realität wurde. Kängurus und weißer Sand verhalfen Judoka Katharina Häcker zu internationalem Ruhm. In die verrückte Erfolgsgeschichte war auch der aktuelle FLAM-Nationaltrainer Alexander Lüdeke involviert. Ein Gespräch mit einer Hamburger Australierin, die sich in Lorentzweiler pudelwohl fühlt. 

Vor zwei Monaten wurde die Wohnung von Judo-Nationaltrainer Alexander Lüdeke und dessen Lebensgefährtin Katharina Häcker leicht umdekoriert: In Lorentzweiler glänzt nämlich seit Ende Januar eine goldene Grand-Prix-Medaille. Sowohl für die 27-Jährige als auch für Australien war es die erste auf diesem Wettkampflevel. „Sie liegt neben einem Foto von uns“, erklärt die Judoka. Mit „uns“ sind sie und der deutsche FLAM-Coach („Fédération luxembourgeoise des arts martiaux“) gemeint. Seit sechs Jahren geht das Duo nicht nur auf der Judo-Matte gemeinsam durch das Leben. „Wir leben jetzt schon sogar fast vier Jahre zusammen“ – davon eines in Lorentzweiler: 2019 folgte die gebürtige Hamburgerin dem Trainer aufgrund seines neuen Jobs nach Luxemburg. 

Was für einige Menschen eine schwer vorstellbare Konstellation ist, scheint im Hause Lüdeke-Häcker zu funktionieren: „Dinge, die für das Judo relevant sind, werden auf neutralem Boden besprochen, beispielsweise in der Trainingshalle. Ganz ausblenden kann man das zu Hause trotzdem nicht.“ So werden auch in den heimischen vier Wänden noch Kämpfe analysiert. Meinungsverschiedenheiten eingeschlossen. Zumindest von außen bekommt man davon eher wenig mit, wie das Luxemburger Aushängeschild Claudio Dos Santos sagt: „Auf dem Tatami sind sie Coach und Athlet, außerhalb ein ganz normales Pärchen.“

Dinge, die für das Judo relevant sind, werden auf neutralem Boden besprochen, beispielsweise in der Trainingshalle. Ganz ausblenden kann man das zuhause trotzdem nicht.

Katharina Häcker, über das Zusammenleben mit Trainer Alexander Lüdeke

So ganz normal ist das Judo-Paar allerdings nicht. Die Hochleistungssportlerin wird in der aktuellen Weltrangliste auf Platz 10 geführt und die zweite Olympia-Teilnahme 2021 in Tokio dürfte aufgrund des Polsters bei den Qualifikationspunkten in trockenen Tüchern sein.

Dieser Weg an die internationale Spitze war allerdings alles andere als vorgezeichnet. Ihre Eltern bestanden stets darauf, dass der Sport Freizeitbeschäftigung bleibe und die Schule im Vordergrund stehen müsste. Die frühere Hamburgerin träumte in jungen Jahren von einem Architekturstudium. „Mir haben allerdings viele Menschen davon abgeraten“, erinnert sie sich heute. Unentschlossen begab sie sich deshalb nach geschafftem Abitur auf eine Reise in die Ferne, in das Herkunftsland ihres Vaters, an das sie damals ihr „Herz verloren hat“. Das Sabbatjahr in Australien veränderte ihr Leben aber erst nach ihrer Rückkehr nach Deutschland. 

Schlag auf Schlag

So fand sie erst in Hamburg wieder zum Judo zurück, lernte 2013 den neuen Trainer Alexander Lüdeke kennen. „Er hat mir gleich gesagt: ’Weißt du was? Wir beide werden eine Medaille bei den deutschen Meisterschaften holen!’“ Gesagt, getan. Da sich Häcker anschließend gegen einen Umzug zum Olympiastützpunkt entschloss, blieb ihr der Weg zur Bundesauswahl verwehrt. Allerdings wurde aus ihrer damals scherzhaft gemeinten Bemerkung, stattdessen für Australien zu starten, Realität. Der Coach setzte sofort alle Hebel in Bewegung, kontaktierte die Kollegen „down under“: Dann ging es Schlag auf Schlag. Aufgrund ihrer doppelten Staatsbürgerschaft wurde sie gleich zum Training eingeladen, blieb drei Wochen in Australien und trat noch im gleichen Jahr bei den Commonwealth Games an. Das Studium in Sport in Biologie brach sie ab und investierte ihre ganze Energie in sportlichen Erfolg. Zwei Jahre intensives Training brachten sie schließlich nach Rio, zu ihren ersten Olympischen Spielen – ein Erfolg, den nicht viele Menschen ihr zugetraut hatten. Gleiches gilt für die letzte Medaille in Tel Aviv. „Es steckt sehr viel Arbeit in dieser Medaille. Alex und ich haben nie aufgegeben und immer dran geglaubt.“

Australien habe mehr zu bieten als Kängurus und weiße Strände, sagt Häcker. Besonders die Natur in unmittelbarer Nähe der Städte hat es ihr angetan. „Perth ist eine gemütliche Stadt, mit super Stränden und Surf-Möglichkeiten.“ Ihren letzten Winterurlaub verbrachte sie in Brisbane, an der Sunshine Coast. Dass die Judoka wie 2019 dreimal im Jahr nach Australien fliegt, ist eher eine Ausnahme. „Die Distanzen sind einfach groß.“ Stattdessen kommuniziert sie täglich über Messenger mit den Kollegen aus der Nationalmannschaft und dem dortigen Nationaltrainer Daniel Kelly. „Ich fühle mich gut aufgenommen“, beschreibt Häcker ihren Status. „Ich fühle mich australisch.“

Genau wie in Luxemburg ist Judo in Australien eine „kleine Sportart. Auf Judo-Ebene waren alle sehr stolz auf mich“, blickt sie auf den Triumph vor wenigen Wochen zurück. Erkannt hat sie im letzten Trainingscamp unter vielen Athleten aus verschiedenen Sportarten niemand. Das könnte sich spätestens nächstes Jahr ändern. Anders als bei ihrer ersten Olympia-Teilnahme geht sie in Tokio nicht mehr als reine Außenseiterin an den Start. „Der Sieg beim Grand Prix ist die Bestätigung dafür, dass eine Medaille bei den Olympischen Spielen nicht unrealistisch ist.“ 

Verhelfen sollen ihr dazu auch mehrere Luxemburger: die Trainingspartner Louis Retter und die beiden großen FLAM-Hoffnungen Annetka Mosr und Claudio Dos Santos. „Es war wichtig, dass ich nach dem Umzug hier vernünftige Trainingspartner finden würde. Das war essenziell. Zudem können wir nach Köln oder Straßburg zum Training fahren“, berichtet die 27-Jährige. „Ich bin begeistert von der Coque. Die positive Umgebung ist wichtig, Motivation hingegen muss man selbst aufbringen.“

„Ein Jahr mehr Zeit“

Aufgrund des straffen Zeitplans mit mehreren Trainingseinheiten am Tag bleibt für sonstige Beschäftigungen kaum Zeit. Da ihr das Coronavirus einen Strich durch die Rechnung machte und die anvisierte Pause ausfällt, wird sie ihr Fernstudium an der SRH Fernhochschule (Sportmanagment) in diesem Jahr nicht beenden können. Doch auf ihre positive Lebenseinstellung – die man den Australiern bekanntlich nachsagt – hat die aktuelle Situation wenig Einfluss: „Das ist eben alles einzigartig. Man muss sich von den Vorstellungen lösen, die man hatte. Es gibt überall Vorteile, die man rausziehen kann. Ich habe jetzt ein Jahr mehr Zeit, mich zu verbessern.“ 

Es sind die vielen kleinen Sachen, die einen besser machen.

Katharia Häcker, über ihr Erfolgsrezept

Auch den Kollegen ist diese Lebensphilosophie nicht entgangen. „Sie wirkt auf den ersten Blick etwas reserviert und scheu. Das legt sich aber, wenn man sie etwas näher kennenlernt. Sie ist sehr lebensfreudig“, sagt Claudio dos Santos. Und sie backt und kocht gerne. „Obwohl Backen ja eigentlich nicht so super ist“, lacht Häcker. „Ich achte sehr auf meine Ernährung und Schlaf. Es sind die vielen kleinen Sachen, die einen besser machen.“ Und sogar die Lorentzweiler Umgebung passt ins Erfolgsrezept: „Ich bin froh, dass wir jetzt hier leben und ich draußen laufen kann. In Hamburg wären wohl viel mehr Menschen unterwegs.“ 

Steckbrief

Katharina Haecker
Geboren am 31. Juli 1992 in Hamburg (D), Australierin
Gewichtsklasse: -63 kg, aktuell auf Platz 10 der IJF-Weltrangliste
Größte Erfolge: Gewann im Januar 2020 beim Grand Prix in Tel Aviv die erste Goldmedaille für Australien, 1 Sieg bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio (BRA), Bronze 2018 beim Grand Slam in Abu Dhabi