SchmerzmittelmissbrauchDr. Axel Urhausen: „Leistungssport wird nicht der Gesundheit wegen betrieben“ 

Schmerzmittelmissbrauch / Dr. Axel Urhausen: „Leistungssport wird nicht der Gesundheit wegen betrieben“ 
Axel Urhausen Foto: Tania Feller

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Um während der sportlichen Belastung keine Schmerzen zu verspüren, greifen viele Sportler zu Schmerzmedikamenten – einige monatlich, andere zu jedem Spiel. Der Missbrauch von Schmerzmitteln kann gravierende gesundheitliche Schäden anrichten, doch das ist nicht jedem Sportler bewusst. Nach dem Vorbild der Reportage des deutschen Rundfunkverbunds ARD und des Recherchezentrums Correctiv, die den Schmerzmittelmissbrauch im deutschen Profi- und Amateurfußball dokumentierten, geht das Tageblatt diesen Analysen in Luxemburg nach. Einleitend klärt Dr. Axel Urhausen über die Entwicklung mit dem Umgang von Schmerzmedikamenten auf oder wie man Sportler vor einem Missbrauch am besten warnt. Seit 2004 ist er Leiter der Abteilung für Sport- und Präventivmedizin am „Centre hospitalier de Luxembourg“. Seit Barcelona 1992 hat er an allen Olympischen Sommerspielen teilgenommen, bis 2004 fungierte er als Arzt des Deutschen Olympischen Sportbundes, seit 2008 arbeitet für das „Comité olympique et sportif luxembourgeois“.

Tageblatt: Herr Dr. Urhausen, ab wann kann man von einem Schmerzmittelmissbrauch sprechen?

Dr. Urhausen: Vom Prinzip her sollten Schmerzmittel nur einige Tage eingenommen werden. Eine kurzfristige Behandlung ist sinnvoll, aber es geht auch um die individuelle Verträglichkeit. Wenn die Mittel über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, sind sie sehr schädlich. Vor allem für Magen, Darm, Herz oder Niere. Die Vorteile der Mittel verkehren sich dann in das Gegenteil. Außerdem steigert die Einnahme von Schmerzmitteln das Risiko für einen Herzinfarkt. Das Problem ist, dass diese Schmerzmittel in einer geringen Dosierung ohne Rezept frei verkäuflich sind. Es ist auch deswegen sehr einfach, Missbrauch zu betreiben.

Wird der Konsum von Schmerzmitteln bei den luxemburgischen Sportlern überwacht? 

Alle COSL-Kadersportler müssen ein Mal im Jahr zum Check vorbeikommen. Jeder lizenzierte Sportler Luxemburgs wird alle fünf Jahre untersucht. Eine wichtige Frage bei diesen Untersuchungen ist immer die nach dem Medikamentenkonsum. Diese Frage wird aber bei allen sportmedizinischen Checks gestellt. Nimmt ein Sportler Medikamente, dann wird darauf eingegangen. Ist das notwendig, wie lange nimmt er das? Darüber wird diskutiert. Es geht vor allem darum, chronischen Missbräuchen zu begegnen und die Sportler aufzuklären.

Die meisten Sportler wollen mit der Einnahme der Mittel ihre Schmerzen unterdrücken. Gibt es noch andere Gründe, warum Athleten Medikamente einnehmen?

Schmerzmittel werden einerseits eingenommen, um Schmerzen zu unterdrücken oder weil die Sportler keine Schmerzen haben wollen – also präventiv. Ein Marathonläufer nimmt vor dem Start Schmerzmittel, um später keinen Muskelkater zu verspüren. Außerdem fühlen sich manche Sportler auch freier und trauen sich durch die Einnahme des Mittels mehr zu. Es spricht nichts dagegen, wenn man eine außergewöhnliche Belastung hatte und dann zwei Tage Schmerzmittel nimmt, darüber reden wir nicht. Diese aber langfristig oder präventiv zu nehmen, ist sehr gefährlich, weil man die Belastung unter Schmerzmitteln absolviert. Das kann Nierenkomplikationen oder Herzprobleme herbeiführen und hat eine direkte Korrelation.

Sind sich die Sportler der Nebenwirkungen bewusst? 

Teils ja, teils aber auch nicht. Es ist wie beim Doping. Es gibt Sportler, die wissen, dass es ihrer Gesundheit schadet. Das Bewusstsein schließt aber nicht unbedingt den Missbrauch aus. Andererseits wissen es einige Sportler nicht und reagieren später mit Erstaunen. Das stärkste Argument ist, dem Sportler zu sagen, dass durch den Medikamentenkonsum seine Leistungsfähigkeit leidet. Wenn jemand beispielsweise Probleme an den Knochen, Sehnen oder Muskeln hat, dann behindert man durch die chronische Einnahme dieser Mittel die natürlichen Reparaturprozesse. Darunter leidet die Leistungsfähigkeit. Wenn Sportler das verstanden haben, reflektieren sie meistens. Man muss aber verstehen, dass man Leistungssport nicht der Gesundheit wegen betreibt. Leistungssport wird betrieben, um Erfolge und Ruhm zu sammeln und man versucht trotzdem, gesund zu bleiben – so gut es geht. Hobbysport betreibt man, um etwas für die Gesundheit zu tun. Wenn du dem Sportler sagst, dass das Betäubungsmittel seinen Nerv lahmlegen könnte, er aber sagt, dass er nur noch ein Jahr seiner Karriere vor sich hat oder dass er nur noch Erfolg in diesem Wettbewerb haben möchte, dann fangen die ethischen Überlegungen bei Ärzten an. Es gibt Sportler, die auf ihre Gesundheit achten, aber es gibt dann eben auch welche, die so etwas in Kauf nehmen würden. 

Sind Ihnen in Luxemburg Fälle bekannt, in denen Sportler die Nebenwirkungen einer langfristigen Schmerzmitteleinnahme verspüren?

Es gibt Sportler, die diese Mittel über lange Zeit eingenommen haben, das ist uns aufgefallen. Luxemburg ist keine Insel. Uns sind ehemalige Sportler bekannt, aber es gibt sicherlich auch Sportler, die in der heutigen Zeit zu viele Schmerzmittel über einen zu langen Zeitraum nehmen.

Würden Sie sagen, dass Schmerzmittelmissbrauch Teil des Geschäfts ist?

Nein. Es gibt sicherlich einige Sportler, die diese Mittel unreflektiert einnehmen. Mittlerweile wird das sehr differenziert betrachtet, aber es gibt immer noch zu viele Sportler, die zu viel nehmen. Das hat auch damit zu tun, dass die Belastung im Hochleistungssport immer stärker wird.

Welche Mittel werden am häufigsten eingenommen?

Ibuprofen und Voltaren sind an der Spitze – vor allem, weil sie nicht verschreibungspflichtig sind. Auch Aspirin wird oft eingenommen. Einige denken, dass Aspirin Thrombose verhindern könnte, aber das ist Quatsch. So etwas bleibt leider in den Köpfen hängen. Das sind Märchen und falsche Informationen, die sich über Jahre weitertransportieren. Das ist sehr zäh zu bekämpfen.

Gehört es für Sie als Arzt zu Ihren Zielen, das Bewusstsein der Sportler gegenüber Schmerzmitteln zu schärfen?

Ja, da muss man aber stetig dran bleiben. Deswegen wird bei jeder Untersuchung danach gefragt. Die Entwicklung geht sicher dahin, dass Sportler sich bewusster werden, was sinnvoll ist und was nicht. Früher wurden einige Sachen noch sehr unreflektiert gemacht, das betrifft auch mich. Mein Wissensstand hat sich in der Zeit erweitert. Früher hat man sich als Arzt weniger Gedanken gemacht, einem Sportler über Wochen Schmerzmittel zu geben, das würde ich jetzt nicht mehr machen. Als ich vor 35 Jahren mit dem Beruf angefangen habe, wurde das Thema nicht in der Form angesprochen. Seit über zehn Jahren ist es aber nun fester Bestandteil der sportmedizinischen Ausbildung. Es gibt dennoch Doktoren, die das immer noch auf die leichte Schulter nehmen und den Sportlern bei Schmerzen einfach Schmerzmittel geben. Solche schwarze Schafe gibt es sicherlich. Ich denke aber, dass das Bewusstsein, dass man diese Mittel nicht einfach wie ein Multivitamin-Präparat verteilen kann, sich aufgrund von Studien und Erhebungen, die zeigen, was für heftige Auswirkungen die Mittel haben, deutlich verstärkt hat.

Letztendlich entscheiden Sie dann, ob der Sportler Schmerzmittel einnehmen sollte oder nicht. Haben Sie das Gefühl, bei solchen Entscheidungen das letzte Wort zu haben? 

Das weiß man nie. Man kann aufklären, aber im Endeffekt bin ich bei der Einnahme nicht dabei. Die Dunkelziffer ist sicherlich hoch.

Bekommen Sportler oft Druck von ihren Vereinen oder Trainern, so schnell wie möglich zurückzukehren? Nehmen Athleten deswegen öfter Schmerzmittel ein?

Die Schmerzmitteleinnahme ist eine ärztliche Sache zwischen dem Doktor und dem Sportler. Da hat weder der Verein noch der Manager oder ein Verantwortlicher etwas zu sagen. Indirekt besteht natürlich der Druck, dass jemand so schnell wie möglich zurückkommen muss. Gerade in Kollektivsportarten, bei denen die Ersatzspieler schon auf der Bank warten. Das ist in der Natur der Sache, aber auch einer der Gründe, warum Schmerzmittel häufig eingenommen werden. Die Topklubs denken aber mittlerweile im Spielerkapital. Deswegen haben sie auch viele Ersatzspieler, um ihren besten Leuten Zeit zu geben, sich auszukurieren. Es ist ein Mentalitätswandel – die Sportler bekommen nun Zeit, sich vollständig zu heilen. Wenn ich ein teures Auto fahre, jeden Morgen einen Kaltstart hinlege und mit Vollgas zur Arbeit fahre, habe ich nicht lange etwas davon. Langfristig und mittelfristig ist es für Vereine keine gute Taktik, Spieler mit Schmerzmitteln auf den Platz zu schicken. Wichtige Prozesse im Körper werden unterbunden, alle Reparatur- und Adaptationsprozesse werden behindert und der Marktwert des Spielers wird gemindert.

In der Dokumentation der ARD sagt Neven Subotic (ehemaliger Spieler von Borussia Dortmund, jetzt Union Berlin), dass Pillen wie Smarties verteilt werden. 

Von vernünftigen Sportmedizinern sicher nicht. Das wäre unreflektiert und das kann man von den heutigen Verbandsärzten nicht behaupten. Aber solche Aussagen habe ich schon vor 20 Jahren gehört. 

Ein anderes Beispiel: Der Trainer von Borussia Mönchengladbach, Marco Rose, lobte seinen Spieler Stefan Lainer, der trotz eines Knochenrisses mit Schmerzmitteln spielte. Rose sagte, dass dies zeige, was der Spieler für eine Einstellung habe.

Das ist leider eine Aussage, die eine falsche Mentalität befeuert. Das ist ungeschickt. Jemand, der zurücksteckt und die Verletzung ausheilen lässt, wird selten so gelobt. Auch Radfahrer, die sich am Vortag noch mit einem grippalen Infekt und Fieber plagten, einen Tag später aber vorne mitfahren und zum Helden avancieren – das sind total schlechte Aussagen, dies als Heldentum darzustellen. Das hat für mich nichts mit Heldentum zu tun. Das bleibt in den Köpfen, auch der jüngeren Spieler. Da muss in der Ausbildung der Trainer was getan werden. Man verkauft es gerne so, dass das Business auf harte Männer steht. Für mich ist das aber nicht ein Zeichen von Stärke, unter Schmerzmitteln eine Belastung durchzuführen. Das muss in die pädagogische Ausbildung rein. 

Wie ist es, wenn ein Sportler ein längeres Turnier spielt und angeschlagen ist? Kann man da als Arzt grünes Licht geben und sagen, dass es okay ist, über einen Monat Schmerzmittel zu nehmen?

Es gibt in der Tat einige Situationen, die ethisch ganz schwer zu behandeln sind und wo es kein klares Ja oder Nein als Antwort gibt. Es gibt Sportler mit einer akuten Kreuzbandverletzung, die nur noch Halbfinale und Finale vor sich haben. Darf man die dann fitspritzen? Wie weit darf man als Arzt gehen? Das ist eine schwere Thematik.

monique
28. Juni 2020 - 13.18

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