Olympische SpieleDie Krise nutzen: Wie einige Disziplinen um Anerkennung kämpfen

Olympische Spiele / Die Krise nutzen: Wie einige Disziplinen
um Anerkennung kämpfen
Spektakulär und schwierig, aber in Tokio wird der doppelte Kanadier durch den Einer der Frauen ersetzt Foto: Chrëscht Beneké

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Die Erfolgsgeschichte der Olympischen Spiele kam nicht erst mit der Coronakrise ins Stocken. Insbesondere für die Spiele 2024 in Paris steckt das IOC in der Defensive, aber mit der Lupe finden sich erhellende Neuerungen, wie beispielsweise ein Mixed-Kitesurfen-Titel. Der Überblick.

Noch heute werden die Spiele von Barcelona 1992 als großer Erfolg gefeiert. „Mit diesen Spielen wurde Barcelona zur Weltstadt und die positiven Nachwirkungen sind noch heute zu spüren“, erklärt der Tourismus-Verantwortliche der katalanischen Hauptstadt, Xavier Marcé. Neben deutlich verbesserter Verkehrsinfrastruktur und weiterhin genutzten Sportstätten erfreuen sich auch die heutigen Bewohner des Olympischen Dorfes der Wohnqualität auf einer ehemaligen Industriebrache.

Die „Coca-Cola-Spiele“ in Atlanta brachten vier Jahre später jedoch eine Zeitenwende und in den westlichen Demokratien sind Ausrichterstädte für die Milliardenspiele zunehmend schwierig zu finden. Zudem laufen die spektakulären und schrillen amerikanischen X-Games den vergleichsweise biederen Spielen der traditionellen Sportverbände den Rang bei manchen Sponsoren, Medien und dem jüngeren Publikum ab.

Ausnahmen

Auch unter diesen Vorzeichen entschied sich das IOC 2007 mit der Einführung von deutlich weniger aufwändigen Olympischen Jugendspielen (YOG), die sportliche Jugend bereits früh an sich zu binden. Und erprobte dabei gleich neue Disziplinen und dynamischere, medienwirksamere Konzepte. Bei den ersten YOG in Singapur 2010 stand so beispielsweise der dem Streetball entlehnte 3×3-Basketball auf dem Programm, der ebenso wie die 2018 bei den YOG in Buenos Aires ausgetragenen Karate- und Sportkletter-Wettkämpfe dieses Jahr in Tokio erstmals olympisch sein wird. Dabei leidet – nicht zuletzt wegen der Corona-bedingten Verschiebung – auch Tokio wieder an einer massiven Verteuerung gigantomanischer Spiele. Die erstmaligen Aufnahmen von Sportklettern, Surfen und Skateboard, oder innerhalb von BMX auch die weitere Disziplin Freestyle, zeigen, wohin die Reise gehen soll.

Vielleicht auch, weil man weiterhin alle Hände damit zu tun hat, die Spiele von Tokio zu retten – aber auch wegen des Versprechens von weniger teuren und komplexen Spielen gab das IOC am 7. Dezember ein Notfallprogramm für Paris heraus. Jedenfalls wirkt es auf den ersten Blick so, als seien alle 41 Vorschläge für neue Wettkämpfe der internationalen Verbände abgelehnt wurden. Zudem wird die Anzahl der Wettbewerbe im Vergleich zu Tokio von 339 auf 329 und jene der Sportler von 11.092 Quotenplätzen auf 10.500 reduziert, was vor allem zulasten des Gewichthebens und Boxens (mit seinem disqualifizierten Verband) geht. Auch werden Karate und Soft-/Baseball in Tokio nur ein einmaliges Gastspiel geben, aber Breakdance auf Wunsch der Ausrichterstadt Paris neu hinzustoßen. Diese milden Reformen überraschen Kenner des IOC nicht, denn hinter den Kulissen herrscht ein Besitzstandswahren von Funktionären, Verbänden und Ländern, um möglichst viele ihrer jeweiligen medaillenprämierten Wettbewerbe im Programm zu halten.

Geschlechterparität in Paris

In seiner Presseerklärung teilte das IOC mit, dass sich die Pariser Spiele um die Jugend und die Geschlechterparität drehen werden. Was sie mit der erstmaligen identischen Anzahl an männlichen wie weiblichen Athleten belegen. Zudem steigt die Anzahl der zuerst bei YOG ausprobierten gemischten Wettkämpfe und Staffeln innerhalb der verschiedenen Sportarten von 18 auf 22. Andererseits finden sich neben der ebenfalls bei den YOG in Buenos Aires ausprobierten, einzigen Neuerung Breakdance in der Liste der Wettkämpfe einige jener neuen und spannenden Veranstaltungen, die IOC-Präsident Thomas Bach mit seiner Olympischen Agenda 2020 als Zukunft der Olympischen Spiele verspricht: „Wir haben eine klare Priorität: die Einführung neuer Sportarten, die bei den jüngeren Generationen beliebt sind. Wir waren sehr glücklich über diese Vorschläge von Tokio 2020 und nun Paris 2024, denn sie stehen voll und ganz im Einklang mit diesen Empfehlungen und versprechen einen großen Erfolg.“

2017 war Extremslalom oder Boatercross erstmals bei einer WM und auch der erste Wettkampf, der im Diekircher Wildwasserkanal stattfand
2017 war Extremslalom oder Boatercross erstmals bei einer WM und auch der erste Wettkampf, der im Diekircher Wildwasserkanal stattfand Foto: Chrëscht Beneké

Wie solch ein Einklang entsteht, verrät etwa der Kanuverband: „Das IOC ermutigte die internationalen Verbände, innovative neue Veranstaltungen vorzustellen, die ein neues Publikum anziehen könnten, aber auch keine zusätzlichen Athleten oder neue Austragungsorte erfordern würden.“ Bereits in Tokio tauscht man für die erwünschte Geschlechterparität im Kanuslalom den männlichen Zweierkanadier gegen einen Einer der Frauen. 

Indem man am Ende die Sprintentscheidung gegen Extremslalom tauschte, fallen die gestrichenen zwölf Athleten kaum noch ins Gewicht, da dort die Slalompaddler mit einem weiteren Start das Gros der Teilnehmer stellen. Zudem kann man so die Gesamtanzahl der Medaillen im Kanu halten. Nicht zuletzt werden die teuren Wildwasserkanäle aufgewertet, die zwar für spektakuläre Bilder sorgen, aber beispielsweise in Athen oder Rio als „weiße Elefanten“ kaum genutzt werden. In jenem Wildwasserkanal übernimmt Extremslalom vom olympischen Snowboard- und Skicross das fernsehgerechte, spannende Konzept des K-o.-Kampfes von vier Sportlern um den Einzug in die nächste Runde. „Das Interesse der Übertragungsanstalten und vom IOC an Extremslalom war sehr positiv. Die Zuschauerzahlen waren vielversprechend und teilweise besser als jene der etablierteren olympischen Disziplinen“, erklärte Verbandspräsident Perurena. 

16.000 Kilometer

Das Fernsehen war ebenso ein Faktor, in Tokio eine heftig diskutierte Kombination im Sportklettern einzuführen. Man wollte nicht auf das kurzweilige Speedklettern gegen die Zeit verzichten, obwohl sich hierin ganz andere Sportler vorne platzieren als in den auf Schwierigkeit gepolten Disziplinen Bouldern und Lead. In Paris wird Ersteres in einen eigenen Wettkampf abgetrennt, was Sportklettern weiter aufgewertet. In der Presseerklärung heißt es: „Zusätzlich wurde das Konzept vom urbanen Sport ausgeweitet, der auf Jugend ausgerichtete, inklusive und attraktive Bewerbe zeigt, die abseits konventioneller Sportstätten stattfinden“.

Was auch erklärt, wieso hippe Disziplinen des Breakdance, BMX und Skateboard in einem schrumpfenden Programm trotz wenig Rückhalt bei den traditionsverliebten Funktionären nie zur Disposition standen. Ebenso bleibt selbst Wellensurfen trotz diesmal knapp 16.000 Kilometern Entfernung im Programm. Und deren windsurfende Kollegen im Segelverband erhalten als kleine Revolution Zugriff auf modernere Bretter. Wie bisher kaum beachtet 2024 eine olympische Brise sogar das boomende Kitesurfen mit einem Mixed-Wettbewerb streifen wird. Diese Medaillen luchsen sie den Männern und Frauen in den 470ern ab, die beim ausgelagerten Wettkampf in Marseille nur noch in ein gemischtes Boot steigen können.