Mittwoch12. November 2025

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„Auch mal mit Platz vier zufrieden sein“

„Auch mal mit Platz vier zufrieden sein“

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Der Radsport in Deutschland steckt in einer tiefen Krise. Wird über die Tour de France und Co. berichtet, haftet dem Radsport(fast) immer das Makel Doping an.

Mit Linus Gerdemann und Fabian Wegmann stellten sich zwei deutsche Fahrer des luxemburgischen Teams dem Tageblatt.

Tageblatt: Bei der Vorstellung des Teams Leopard-Trek vergangene Woche sagte uns ein deutscher Journalist: „Wir in Deutschland sind in Sachen Radsport gebrannte Kinder.“

Linus Gerdemann: „Die Problematik gibt es nicht nur im deutschen Radsport, sondern auch in den Medien, die über den Radsport berichten. Die Gewichtung ist einfach falsch. Es gab ja Schlagzeilen, über die man berichten musste. Wenn der Sport aber komplett in den Hintergrund gerät, ist das meines Erachtens falsch.“
Fabian Wegmann: „Es wird zu einseitig berichtet. Man soll über beide Sachen schreiben und fair bleiben.“
L.G.: „Ein Beispiel: Als Heinrich Haussler 2009 nur um Millimeter den Sieg bei Mailand-San Remo verpasste, fand in der breiten Presse so gut wie keine Berichterstattung statt. Wenn aber in Spanien irgendein drittklassiger Radprofi dopt, ist das einen Artikel wert.“

Eine gewisse Skepsis fährt aber immer mit.

L.G.: „Man kann eine gewisse Skepsis nachvollziehen. Man kann auch eine gewisse vorsichtige Haltung gegenüber den beim Radsport erbrachten Leistungen nachvollziehen. Aber über so viele Jahre dieses Thema immer nur in den Vordergrund zu stellen, ist schwer zu verstehen.“

Hat Jan Ullrich dem deutschen Radsport mehr geschadet als genutzt?

L.G.: „Das ist immer eine sehr populistische Frage. Geschadet? Nicht geschadet? Fakt ist, der Radsport ist ungefähr da, wo er vielleicht vor Jan Ullrich war. Man kann auch nicht das Wohl des Radsports von einer Person abhängig machen. Natürlich kann eine Person immer einen Boom auslösen, aber es wäre zu einfach, jemanden im positiven wie im negativen Sinne für alles verantwortlich zu machen.“
F.W.: „Das ist auch ein bisschen ein deutsches Phänomen. Es gibt Radsportnationen wie Frankreich, Belgien, Niederlande …“
L.G.: „… und Luxemburg …“
F.W.: „… die schreiben auch über das Thema. Sie berichten aber auch über den Sport. Da ist die Gewichtung anders. Man kann auch fragen: Wo steht das deutsche Tennis heute? Und wo stand es vor 15 Jahren? Es wird teilweise sehr, sehr gepuscht, teilweise auch zu viel. Es wird alles falsch aufgebläht …“
L.G.: „… so, wie es die Boulevardpresse macht: Hochjubeln und dann fallen lassen.“
F.W.: „Das kann die Boulevardpresse halt machen. Das machen sie mit jedem.“

Wie seht ihr beide eure Position in Deutschland und im internationalen Radsport?

F.W.: „Es sind schon gewisse Höhen und Tiefen, die ich erlebt habe. Als ich angefangen habe, ging es immer nur bergauf. Alles war schön. Seit 2006 ist es schon derbe bergab gegangen. Das muss man so sehen. Die Leute glauben halt alles, was in der Presse steht.“

Gab es Anfeindungen?

F.W.: „Angefeindet wurde man nicht. Es werden aber mal dumme Sprüche gemacht. Damit lernt man umzugehen. Das ist nicht dramatisch, aber auch nicht schön. In letzter Zeit hat sich das aber wieder normalisiert. Man muss auch fair sein: Der Radsport hat in der Vergangenheit sehr, sehr viel im Kampf gegen Doping gemacht. Vielleicht hat man sogar zu viel gemacht. Wenn viele Leute auffliegen, wird viel darüber berichtet. Es wird leider nie das Positive gesehen. In anderen Sportarten sind Weltmeisterschaften und es gibt keine Blutkontrollen … auch Sportarten, in denen viel Geld verdient wird. Natürlich kann da keiner auffliegen. Da sag ich mir auch: ‚Hallo!?’“
L.G.: „Oder guckt man da vielleicht weg? Im Radsport hat man gelernt, dass Weggucken nicht der richtige Weg ist. Man muss sich bewusst sein, dass die Problematik im Radsport angekommen ist und dass man auch massiv versucht, die Problematik zu bekämpfen.“

Könntet ihr in diesem Bereich Vorbilder sein?

L.G.: „Das haben wir in der Vergangenheit auch schon gesagt. In Deutschland wurde das nicht dankend aufgenommen. Aber dennoch glaube ich, dass der Radsport die Chance hat, eine Vorreiterrolle im Anti-Doping-Kampf zu spielen oder sie vielleicht sogar schon spielt.“

Was tut ihr dagegen?

L.G.: „Ich hab mir viele Gedanken gemacht. Ich habe oft Angebote gemacht und gesagt, wenn jemand ein richtig seriöses Konzept hat, dann bin ich dafür zu haben. Richtig konstruktive Vorschläge kamen aber keine.“
F.W.: „Unser Leben ist schon sehr offengelegt. Das ADAMS-Kontrollsystem sagt dir ja bestimmt was. Das ist ein extremer Schritt, der gemacht wurde. Da legt man fremden Leuten wirklich alles offen (siehe separaten Artikel).“
L.G.: „Es ist eine interessante Diskussion, die momentan in Deutschland stattfindet. Es gibt die Handballer, die dagegen vorgehen wollen. Die haben aber nicht mal diese Eine-Stunde-Regelung, wo man täglich garantiert irgendwo anzutreffen sein muss. Würden wir Radsportler das machen, wäre der Aufschrei riesengroß. Im Radsport wird das als Normalität aufgefasst …“
F.W.: „… es wird aber nicht honoriert. Jeder fragt: Was machst du dagegen? Aber keiner schreibt, dass wir bereit sind, unser Leben offenzulegen. Ich habe da schon meine Bedenken, auch weil es übers Internet läuft. Da kann jeder sehen, wo ich mich aufhalte. Wenn mir jemand was Böses will, der weiß ja, dass ich dann und dann nicht zuhause bin. Da werden wir jetzt von einer öffentlichen Institution kontrolliert. So muss es auch laufen. Wenn ich selber bescheiße, kann ich mich ja auch selber kontrollieren. Das ist doch lächerlich. Das ist so, als wenn du eine Geschwindigkeitsbegrenzung hast. Du darfst nur 120 fahren und ich kann mich selber überprüfen. Wenn du rasen willst, dann machst du das. Wenn dich dann jemand fragt: ‚Bist du gerast?‘, sagst du Nein. Also, es muss so eine Art Polizei geben, die sagt: Stopp, raus hier. Und nicht intern.“

Gab es mal Kontakt zu unerlaubten Mitteln?

F.W.: „Nein, nie.“

Kam es schon mal in den Sinn?

F.W..: „Nein, nie.“

Auch nicht, weil sich andere dadurch einen Vorteil verschaffen?

F.W.: „Ich will noch in den Spiegel schauen können. Ich bin Sportler und das treibt mich jeden Tag zu hartem Training an. Ich kann auch mal mit einem vierten Platz zufrieden sein. Auch wenn sich das doof anhört. Ich will immer den Sieg. Wenn ich bei einem großen Rennen Fünfter werde, gibt mir das was.“
L.G.: „Weißt du, was der Unterschied z.B. zwischen luxemburgischer und deutscher Presse ist? Bei euch wurde auch der 2. Platz von Andy (Schleck) bei der Tour de France gefeiert. Das finde ich schön. Über diese herausragende Leistung wurde gebührend berichtet.“

Thema Alberto Contador.

L.G.: „Ein sehr komplexes Thema. Wenn man sich eine Meinung bildet, ist die mit Sicherheit nicht fundiert. Daher muss man auch sehr vorsichtig sein.“
F.W.: „Da muss man die Experten fragen. Klar, man ist dafür verantwortlich, was in seinem Körper ist. Ich weiß jetzt nicht, ob du mir was in die Nüsse getan hast …“ (Wegmann zeigt auf die Erdnüsse, die ihm vom Hotelpersonal gereicht wurden.)

Was ist mit Paranoia? Wenn euch ein Zuschauer bei einer Bergetappe eine Flasche hinhält …

F.W.: „Nee, die holen wir nicht mehr.“
L.G.: „Ich will keinem was unterstellen …“
F.W.: „Darüber denk ich gar nicht mehr nach. Sonst machst du dich kaputt. Es ist doch so: Wenn du die nimmst und es ist was drin, ist dein Leben ruiniert. Wer glaubt mir da noch?“

Ist Luxemburg ein Segen für euch oder eher ne Art Flucht?

F.W.: „Eine Flucht ist das auf gar keinen Fall. Das ist ein grandioses Team. Ich mag Andy und Frank. Aber wichtig ist, dass alles eine Struktur hat.“
L.G.: „Der Amerikaner würde sagen: ‚I love it‘.“

Wird das Team Leopard-Trek den Radsport dominieren?

L.G.: „Mit Dominanz muss man vorsichtig sein.“
F.W.: „Es gibt viele gute Teams …“
L.G.: „… aber wir werden bei jedem Rennen ein gewichtiges Wörtchen mitreden können.“
F.W.: „Wir können überall gewinnen.“