„Schwierig, die Balance zu finden“

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Sieben Jahre lang leitete Patrick van Landeghem die Geschicke des größten Sportvereins der Stadt Esch. Am Mittwoch wird der Präsident der Espérance Esch, mit 631 Lizenzen im Jahr 2017 auch der zweitgrößte Turnverein des Landes, bei der ordentlichen Generalversammlung sein Amt niederlegen. Mit dem Tageblatt blickt Van Landeghem unter anderem auf die größten Herausforderungen und die wichtigsten Projekte seiner Amtszeit zurück.

Tageblatt: Nach sieben Jahren als Präsident eines Vereins mit 33 Sektionen, was war Ihrer Meinung nach in dieser Zeit die größte Herausforderung?
Patrick van Landeghem: Als Verein mit inzwischen fast 700 lizenzierten Personen ist das Benevolat natürlich ein großes Thema. Im Gegensatz zu anderen Sportvereinen gehören die meisten unserer 33 Sektionen zum Freizeitsport. Wenn man einen Verein nimmt, der vielmehr auf Wettkampfsport ausgerichtet ist, ist der Anteil an Eltern, die sich im Klub engagieren, auch größer. Im Breitensport ist es viel schwieriger, Eltern dazu zu motivieren, auch mitzuhelfen – diese sieht man meistens ein bis zweimal im Jahr bei der Gala.

Wie sind Sie dieses Problem angegangen?
Um Leute zu finden, die sich engagieren, fährt man am besten über die Trainer, diese muss man aber erst einmal motivieren und das kostet auch sehr viel Energie. Wenn die Trainer dabei sind, dann kommen auch die Mitglieder. Wenn wir so verfahren, dann sind bei einem Event bis zu 100 Kinder präsent, ohne diese Vorgehensweise sind es dann nur noch 30. Ich glaube, die meisten Eltern sind sich einfach gar nicht wirklich bewusst, wie ein Verein funktioniert. Ich habe das auch erst richtig verstanden, als ich Präsident wurde. Man muss sie einfach hierüber aufklären. Unsere jungen Trainer bekommen zudem ein kleines Taschengeld, was zusätzlich als Motivation dient und ihnen auch das Gefühl von Wertschätzung gibt und Verantwortung übernehmen zu können.

Ein großes Problem, mit dem Sie sich in den vergangenen Jahren auch auseinandersetzen mussten, war der Mangel an passenden Einrichtungen. Wie sieht dies aktuell aus?
Das war in den letzten Jahren eine absolute Katastrophe, doch aufgrund der geplanten neuen Halle besteht Hoffnung. Hier muss man natürlich sehen, was konkret passieren wird. In der neuen Halle ist nach aktuellem Stand zwar keine Einrichtung für das Turnen geplant, doch es soll geschaut werden, dass die Espérance zwei- bis dreimal im Jahr die Halle fest zugewiesen bekommt. Bisher ist die Ausrichtung unseres internationalen Turnieres ja immer wieder daran gescheitert, dass die Verfügbarkeit der Halle kurzfristig gestrichen wurde. Dies ist dann auch passiert, nachdem die Vereine aus dem Ausland bereits ihre Flugtickets gebucht hatten.
Wir erhoffen uns, dass durch die neue Halle die alte entlastet werden kann und wir hier eine Vergrößerung bekommen. Denn aktuell haben wir zeitweise bis zu 70 Kinder, die in einem Saal gleichzeitig trainieren. Wir hoffen dann auch, dass wir nach und nach die Geräte ersetzt bekommen, auch dies ist bitter nötig. Mit 33 Sektionen ist es aktuell nicht einfach, die nötigen Kapazitäten zu bekommen. Es gibt einfach auch viele Sportvereine in Esch und hier ist die Stadt meiner Meinung nach bereits zwei Sporthallen in Verzug.

Viele Sportvereine klagen in diesem Zusammenhang auch darüber, dass sie aufgrund der großen Nachfrage Wartelisten einführen müssen. Wie sieht dies bei der Espérance aus?
Es ist auch ein Problem bei uns. Ich konnte es mit meinem Gewissen aber nie vereinbaren, einem Kind zu sagen, dass es nicht in den Verein kommen darf. Doch die Trainer sind dann nicht mehr froh, weil sie plötzlich 70 Kinder zu betreuen haben und dann geht die Qualität verloren und auch das Verletzungsrisiko steigt. Es ist schon ein Dilemma, weil man niemanden zurückweisen will, vor allem nicht in unserer Sportart. Hier gibt es nur eine Lösung: Die Gemeinde muss den Vereinen mehr Kapazität zur Verfügung stellen und ihnen auch bei dieser Problematik helfen.

In Ihrer Amtszeit gab es bekanntlich auch den Clinch der Espérance mit dem nationalen Turnverband FLGym. Hatte dieser Auswirkungen auf das Kunstturnen im Verein?
Wenn man sich die Entwicklung in den letzten Jahren ansieht, kann man vor den Athleten, die hier im Land noch Kunstturnen ausüben, nur den Hut ziehen. Man hatte das Gefühl, dass das Kunstturnen eher als Plage angesehen wird, die Geld kostet und viele Diskussionen bereitet. Viele Wettbewerbe sind so auch vom Verband abgeschafft worden.
Was die Espérance betrifft, so haben wir versucht, das Kunstturnen aufrechtzuerhalten. Der Clinch hat uns aber böse getroffen. Die Türen zum Nationalkader wurden für unsere Mädchen verschlossen, da keine Tests mehr durchgeführt wurden. Wir mussten intern Entscheidungen treffen, wie wir dies als Verein kompensieren können. Zusammengefasst hat uns das 25.000 bis 30.000 Euro gekostet und ich musste hierdurch bei den letzten Generalversammlungen auch immer ein Defizit verkünden. Es war nicht einfach, vor den anderen Mitgliedern zu rechtfertigen, warum so viel Geld in eine Disziplin gepumpt wird, der nur eine Hand voll Turnerinnen angehören. Auch im Vorstand gab es Diskussionen. Es war immer schwierig, die richtige Balance zu finden.
Trotz einiger schwerer Jahre ist das Kunstturnen bei uns nicht ausgestorben. Dennoch ist mit Alyssa Ogier ein großes Talent verloren gegangen und ich stelle fest, dass bei uns tatsächlich eine Generation fehlt. Doch mit Lola Schleich haben wir aktuell wieder eine Turnerin im Nationalkader. Die Espérance muss nun anfangen, die ganz jungen Turnerinnen zu fördern. Das heißt, trotz Skepsis der Vereinstrainer auch diese zu Kadertests zu schicken.

Besonders das Cheerleading lag Ihnen in den letzte Jahren am Herzen. Dieses gehört noch immer keinem anerkannten Dachverband an. Hat sich hier etwas getan?
Nach dem Kongress der FLGym im Oktober, als der neue Vorstand gewählt wurde, hat Präsident Gilbert Falsetti bereits mit den Verantwortlichen Kontakt aufgenommen. Bisher ist laut meinen Informationen aber noch nicht viel passiert. Mal abwarten, was die Zukunft bringt. Ich bedaure jedoch noch immer, dass unser neu gegründeter Verband, die FLSC („Fédération luxembourgeoise de sports chorégraphiques“), nicht beim COSL aufgenommen wurde, was meiner Meinung nach noch immer nicht richtig ist. Hierdurch wurde ein enormer Elan kaputt gemacht. Ich weiß, dass unsere Dynamik als Verein in Sachen Cheerleading nicht abgenommen hat, inzwischen betreiben rund 100 Athletinnen bei uns diese Disziplin. Wir haben einen enormen Boom erlebt, jetzt müsste man hier eine Schippe drauflegen können, z.B. mit einem professionellen Trainer zusammenarbeiten. Dies wäre einfacher, wenn die Disziplin von einem Dachverband anerkannt wäre.

Auf welche Projekte, die Sie realisiert haben, werden Sie in Zukunft besonders gerne zurückblicken?
Eines meiner größten Anliegen war immer, die Visibilität des Vereins nach außen zu steigern. Ich habe unsere Facebook- und Internetseite gepusht, wie auch die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen aus der Stadt. Es war wichtig, die lokale Präsenz zu fördern. So haben wir versucht, an jedem Event, das in der Stadt organisiert wurde, auch als Klub teilzunehmen. Zudem haben wir Fotoshootings und Ausstellungen organisiert oder auch den Tag der offenen Tür auf Belval eingeführt.
Auch im Bereich Merchandising ist viel passiert. Wir haben ein neues Maskottchen und auch Schlüsselanhänger entworfen. Unser Logo wurde zweimal geändert und mit den Mottos „Family and Friends Club“ und „Enjoy your moves“ haben wir uns internationaler ausgerichtet. Dies war alles enorm wichtig, um uns nach außen hin zu zeigen. So kann man dann auch bei dem einen oder anderen Sponsor anklopfen. Unsere Sportart hat es in diesem Bereich allgemein viel schwerer. Mir haben viele Leute gesagt, dass die Espérance heute bekannter ist – ich glaube, dass in diesem Bereich dann auch etwas richtig gemacht wurde.
Als ich Präsident wurde, war die absolute Priorität des Vereins zudem das Kunstturnen. Ich wollte jedoch, dass alle Sektionen mehr zum Vorschein kommen und ich glaube, dies ist mir auch gelungen. Zudem bin ich froh, dass ich die Chance hatte, während des hundertjährigen Jubiläums Präsident der Espérance zu sein.

Was bedauern Sie denn am meisten?
Wir waren zwischenzeitlich an einem Punkt angekommen, an dem unser internationaler Kunstturnwettbewerb, der GymnEschtics Cup, nicht mehr stattfand. Letztes Jahr gab es zum Glück wieder ein Comeback. Am meisten bedauere ich auf jeden Fall, dass dieser für 2018 nun wieder abgesagt wurde. Dies erst vor kurzem, als ich bestätigt hatte, dass ich nicht als Präsident weitermache. Für mich ist dies ein großer Fehler. Die Nachfolger meinten, dass dies aktuell zu viel Arbeit ist. Natürlich ist es viel Arbeit, beim GymnEschtics Cup waren wir wirklich beim Maximum unserer Kapazitäten ankommen. Doch ich hoffe, dass sie in Zukunft das Kunstturnen weiter unterstützen und auch der GymnEschtics ein weiteres Mal stattfinden wird.

Was würden Sie Ihrer Nachfolgerin Tessy Alesch, die am Mittwoch gewählt werden soll, mit auf den Weg geben?
Tessy ist ein Arbeitstier und war stets meine rechte Hand, vor allem im administrativen Bereich. Man kann Tessy schon fast als Vereinsdinosaurier bezeichnen, der in Sachen technisches Know-how absolut alles mitbringt. Es ist wichtig, dass Tessy jedoch im administrativen Bereich entlastet werden kann, um sich mehr um die Präsidentschaft zu kümmern, denn diese neuen Aufgaben werden sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.