Ultracycling: Nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen

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Am Dienstag beginnt das „Race Across America“. Radfahrer, darunter der Luxemburger Ralph Diseviscourt, werden rund 5.000 km von der West- zur Ostküste der USA zurücklegen – und das mit sehr wenig Schlaf. Das Tageblatt hat sich mit dem Sportmediziner Dr. Axel Urhausen über den Trend dieser Ultrarennen, die Herausforderungen und die Gefahren unterhalten. Und die Frage aufgeworfen, ob ein Arzt überhaupt dazu raten kann, an Ultrarennen teilzunehmen.

Tageblatt: Dr. Urhausen, was geht Ihnen als Arzt durch den Kopf, wenn Sie hören, dass ein Mensch 5.000 km am Stück mit dem Rad durch Wüste und über Berge fährt?
Dr. Axel Urhausen: Eines steht fest: Das macht man nicht für die Gesundheit, sondern trotz der Gesundheit. Durch meine Arbeit kenne ich mittlerweile recht viele Leute, die an solchen extremen Veranstaltungen teilnehmen. Es geht immer darum, während dieser enormen Anstrengung gesund zu bleiben. Es ist ein ähnliches Prinzip wie im Hochleistungssport, wo man auch versucht, den Athleten trotz der großen Belastungen gesund zu halten.

Ob Radrennen oder Trails, man hat den Eindruck, dass diese Ultra-Sportevents ständig zunehmen. Woran liegt das?
Diese Wettkämpfe liegen zurzeit voll im Trend. Die Leute suchen nach immer neuen und immer extremeren Herausforderungen. Das liegt zum Teil in der Natur des Menschen. Wenn man das Ganze genauer betrachtet, dann fällt einem auf, dass es meistens nicht mehr ganz so junge Athleten sind, die solche Wettkämpfe bestreiten. Das hat auch einen ganz einfachen Grund: Ausdauer kann man auch im Alter noch gut trainieren, was bei der Schnelligkeit zum Beispiel nicht geht. Außerdem stößt man im Schnelligkeit- oder Kraftbereich irgendwann an physikalische Grenzen. Länger geht hingegen immer.

Dr. Axel Urhausen

Ist es einfacher, einen Trail über weit mehr als 100 km zu laufen oder 1.000 km mit dem Rad zu fahren?
Was man sagen kann, ist, dass sich Radfahren für solche ultralangen Distanzen besser eignet, weil das Verletzungsrisiko geringer ist. Radfahren ist eine konzentrische Bewegung, bei der die Muskel vor allem zusammengezogen werden, während das Laufen eine exzentrische Bewegung ist, bei der die Muskeln auch auseinandergedehnt werden. Deshalb ist das Risiko einer Sehnenverletzung zum Beispiel wesentlich größer und auch die Gelenke werden beim Laufen stärker beansprucht. Doch auch beim Radfahren reicht es nicht, einfach in die Pedale zu treten. Man benötigt für solche Distanzen eine extrem starke Rumpfmuskulatur, damit man über die nötige Körperspannung verfügt, um über eine so lange Distanz auf dem Rad sitzen zu können.

Kann eigentlich jeder Mensch diese Ultrarennen bestreiten?
Nein, jedenfalls nicht auf dem Niveau wie zum Beispiel ein Ralph Diseviscourt. Er misst sich mit den Besten der Welt. Dafür braucht man erst einmal die nötigen anatomischen Voraussetzungen und zum anderen jahrelanges Training. Es ist das Gleiche wie in anderen Sportarten oder aber in der Musik. Die besten Musiker verfügen über viel Talent und müssen dennoch unzählige Stunden üben, um zu den Besten der Welt zu gehören. So ist es auch bei Ultrarennen. Jeder kann an seiner Ausdauer arbeiten, aber nicht jeder kann es bis in die Weltspitze schaffen.

Wie hoch würden Sie die mentale Komponente bei Ultrarennen einschätzen?
Die ist mit Sicherheit sehr hoch. Manche sprechen sogar von 50 Prozent. Ich will mich da aber nicht festlegen, da es nicht nachweisbar ist. Ohne die richtige Einstellung und Willenskraft schafft man ein Ultrarennen aber mit Sicherheit nicht. Auf der anderen Seite könnte ich auch noch so motiviert sein, ich würde eine solche Distanz dennoch nicht schaffen.

Was sind die größten Herausforderungen bei einem Ultrarennen wie dem Race Across America?
Da gibt es mehrere. Ein großes Problem ist die Müdigkeit. Die Athleten legen die Strecke mit nur wenigen Stunden Schlaf zurück. Zuerst muss man überhaupt einmal mit so wenig Schlaf über einen so langen Zeitraum (rund zehn Tage; Anm. d. Red.) auskommen, zum anderen ist die Gefahr groß, dass man aufgrund der Übermüdung in eine Art Trance-Zustand verfällt. Deswegen ist es auch wichtig, seinen Betreuern zu vertrauen.
Ein zweites großes Problem ist der Darmtrakt. Man muss den Körper erst einmal daran gewöhnen, so viele Kalorien zu sich zu nehmen und diese dann auch während der Anstrengung verdaut zu bekommen. Denn währenddem man Sport treibt, funktioniert die Verdauung nicht so wie im Ruhezustand. Bei einem Rennen wie dem Race Across America kommt dann noch hinzu, dass man über einen so langen Zeitraum nicht ausschließlich Kohlenhydrat-Konzentrate in Form von Riegeln und Gels zu sich nehmen kann. Man muss auch fettige und salzige Nahrung zu sich nehmen.

Was sind die größten Gefahren für den Körper?
Aktuell gibt es eine Diskussion darüber, wie sich diese extremen Ausdauerwettkämpfe auf das Herz auswirken. Währenddem kann der Herzmuskel eine vorübergehende Müdigkeit erleiden. Das bedeutet, dass das Herz nicht mehr zu 100 Prozent so funktioniert, wie es soll. Allerdings erholt es sich wieder recht schnell. Man hat aber auch bereits festgestellt, dass durch eine häufige Wiederholung dieser extremen Anstrengung der Herzmuskel dauerhaft geschädigt wird. Das ist aber von jedem einzelnen Sportler abhängig. Eine weitere große Gefahr bei Ultrarennen ist eine Wasservergiftung, die sogar tödlich enden kann. Es ist zwar wichtig, viel zu trinken, aber ebenso wichtig ist es, ausreichend Salz zu sich zu nehmen. Etwa zwei Gramm Salz pro Liter Flüssigkeit. Ansonsten hat man nicht mehr genug Natrium im Blut und es kann zu Hirnödemen kommen, die, wie gesagt, tödlich enden können.

Können Sie als Arzt einem dazu raten, an einem Ultrarennen teilzunehmen?
Nein, dazu raten bestimmt nicht. Das ist allerdings eine interessante Frage. Da muss man als Arzt seine Verantwortung übernehmen. Wenn man davon überzeugt ist, dass die Person die körperlichen Voraussetzungen mitbringt, kann man sie auf die Gefahren aufmerksam machen und sie betreuen, damit sie möglichst gesund bleibt. Habe ich als Arzt allerdings Zweifel, dass die Person über die notwendigen körperlichen Voraussetzungen verfügt, werde ich ihr davon abraten und ihr erklären, dass ich sie bei diesem Vorhaben nicht betreuen werde.


„Dizzy“ will aufs Podium

Zum zweiten Mal nach 2016 nimmt Ralph Diseviscourt heute Abend das „Race Across America“ (RAAM) in Angriff. Nach seinem vierten Rang soll diesmal, mit der Unterstützung eines zwölf Mann starken Teams, der Sprung aufs Podium gelingen. Rund 60 Solofahrer nehmen ab 12.00 Uhr Ortszeit in Oceanside an der Westküste das „härteste Radrennen der Welt“ in Angriff. Um in die Wertung zu kommen, müssen die Extremsportler die Distanz von 4.940 km, nach Annapolis an der Ostküste, in spätestens zwölf Tagen schaffen. „Dizzy“ hat sich vorgenommen, die Vereinigten Staaten in neun Tagen zu durchqueren. Bei diesem äußerst strapaziösen Unterfangen hat der Ultracycler u.a. einen Arzt und einen Physiotherapeuten an seiner Seite. Zwei Mannschaftswagen lösen sich in der ständigen Begleitung des 41-Jährigen ab. Topfavorit auf den Sieg ist Christoph Strasser, der seinen Namen bereits mehrfach ins Palmarès des seit 1982 organisierten Rennens eintragen konnte.
2014 stellte der 35-Jährige den bis heute gültigen Streckenrekord auf. Strasser benötigte damals lediglich 7 Tage, 15 Stunden und 56 Minuten für die Fahrt von Amerikas West- zur Ostküste.
(Mario Nothum)

Jacques Zeyen
12. Juni 2018 - 16.23

"Was uns nicht tötet,das härtet uns ab." Und Radfahren kann so schön sein. Allein,ohne Rummel und Medaillen und das Gefühl "überlebt" zu haben.