Sieben Wochen haben die Neuseeländer zu Hause verbracht. Der kleine Inselstaat am anderen Ende der Welt hat eine der strengsten Ausgangssperren weltweit hinter sich. Die harschen Regulierungen haben sich insofern gelohnt, dass Neuseeland das Virus eliminiert hat. Am gestrigen Mittwoch verzeichnete das Land zum wiederholten Male keine neuen Covid-19-Fälle. Nur 21 Menschen starben in dem Land am Coronavirus, 1.147 hatten sich infiziert.
Premierministerin Jacinda Ardern sagte, ihr „Fünf-Millionen-Team“ habe die Normalität geopfert, um die am stärksten gefährdeten Menschen des Landes – ältere sowie immunschwache Menschen – zu schützen.
Ab heute geht das Land nun wieder zum Alltagsleben über – die meisten Beschränkungen werden wieder gelockert: Die Neuseeländer dürfen wieder zur Arbeit und zur Schule gehen, einkaufen, in Restaurants essen und ins Kino, auf den Spielplatz oder in die Bibliothek gehen. Nur die Grenzen bleiben weiterhin geschlossen, um keine neuen Fälle zu importieren.
War der „Lockdown“ übertrieben?
Trotz der langen „Abstinenz“ von der Normalität haben sich nur wenige Menschen in Neuseeland über die Einschränkungen beschwert. „Wir wollen nicht wie die USA enden“, kommentierte eine Neuseeländerin eine der Pressekonferenzen, über die Ardern täglich während der Ausgangssperre mit ihren Bürgern kommunizierte.
Doch es gibt auch Zweifel an der Notwendigkeit und an der Rechtmäßigkeit eines solch extremen „Lockdown“, wie ihn Neuseeland umgesetzt hat. „Geleakte Dokumente der Regierung legen nahe, dass der ‘Lockdown‘ juristisch nicht gut begründet war“, sagte Oliver Hartwich, ein deutscher Wirtschaftsexperte, der den neuseeländischen Thinktank „The New Zealand Initiative“ leitet.
Hartwich vermutet, dass die Ausgangssperre „übertrieben“ war und ein wenig aus „Panik“ heraus beschlossen wurde, da die Regierung Mitte März Probleme hatte, „steigende Fallzahlen nachvollziehen zu können“. „Australien hat weniger scharf reagiert, hat dabei aber die gleichen Fallreduzierungen erreicht und seine Wirtschaft nicht so extrem geschädigt wie Neuseeland“, sagte Hartwich. Doch auch er bestätigt, dass die Bevölkerung sich wenig daran störte und nach wie vor hinter Ardern stehe.
Die schnelle Reaktion auf die Krise brachte der Politikerin – die während ihrer Amtszeit bereits mit einer Terrorattacke auf zwei Moscheen in Christchurch sowie einem Vulkanausbruch konfrontiert war – weltweites Lob ein. Als der Inselstaat am 14. März gerade mal sechs bestätigte Covid-19-Fälle zählte, verkündete die Politikerin, dass jeder, der nach Neuseeland einreisen möchte, zwei Wochen in Selbstisolation muss. Am 19. März riegelte sie das Land ab.
Schwerste Rezession seit Jahrzehnten
Wenige Tage später – inzwischen wurden etwas über 100 Menschen positiv getestet – bereitete sie ihr Land bereits auf den „Lockdown“ vor – ein System klar kommunizierter „Alert Level“, die nun wieder gelockert wurden. Neben ihrem raschen Handeln glänzte die Sozialdemokratin wie auch bei den vorherigen Krisen mit ihrem empathischen Ansatz. In ihren „Schalten“ ging sie auf die Nöte der Menschen ein und zeigte Mitgefühl und Verständnis für deren Situation.
Mit den strengen Regulierungen rettete der Inselstaat zweifelsohne vielen Menschen das Leben. Doch nun steht das Land vor der schwierigen Aufgabe, die von Handel und Tourismus abhängige Wirtschaft wieder anzukurbeln. „Wir erleben gerade die schwerste Rezession seit Jahrzehnten“, sagte Hartwich. „Lediglich die Lohnsubventionen haben den Anstieg der Arbeitslosigkeit noch einmal kurzfristig kaschiert, aber die Auswirkungen auf Arbeitsmarkt, Finanzen und Wachstum werden verheerend sein.“ Nachdem die Grenzen nach wie vor geschlossen bleiben, gibt es kaum Hoffnung auf Wirtschaftswachstum und Hunderttausende von Arbeitsplätzen könnten verloren gehen.
Die Regierung wird im Haushaltsbudget Milliarden veranschlagen müssen, um die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen, und sich dadurch schwer verschulden. Ardern selbst ist trotzdem optimistisch, dass „ihr Team“ auch diese Mammutaufgabe meistern kann. Schließlich seien die fünf Millionen Neuseeländer ja auch zusammengekommen, um das Virus zu bekämpfen, sagte die Regierungschefin auf einer Pressekonferenz am Montag. „Jetzt können wir uns auch zusammenschließen, um unsere Wirtschaft wieder aufzubauen.“
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