MeinungZur Debatte um das koloniale und rassistische Erbe in den USA und Europa

Meinung / Zur Debatte um das koloniale und rassistische Erbe in den USA und Europa
Die Statue von Edward Colston, einem Kaufmann und Sklavenhändler im 17. Jahrhundert, wurde vor etwas mehr als einer Woche von Demonstranten in Bristol im Avon versenkt Foto: dpa/Ben Birchall

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Es wirkte wie eine Ersatzhandlung, wie ohnmächtige Bilderstürmerei, als Demonstranten in Bristol das Denkmal eines Sklavenhändlers vom Sockel holten und es ins Hafenbecken kippten. Rache an einem Stück Metall. Aber die Aktion vermittelte auch etwas von der Wut, die sich bei vielen Betroffenen entwickelt hat. Wer sich empört, mag bedenken: Hier richten Leute ihre Gewalt gegen Sachen, die zuvor offenen und verdeckten Rassismus gegen sich erlebt haben. Es ist nicht rechtens, aber es ist, wenn man so will, eine maßvolle Reaktion. Und ein Hilferuf an die Mehrheitsgesellschaft, sich endlich dem Thema zu widmen.

Überall in den USA und Europa wird die Debatte um das koloniale und rassistische Erbe nun verstärkt geführt. Auch in Deutschland. Um all die von Trotha- und Lettow-Vorbeck-Straßen, die Mohrenplätze und Kolonialkriegerdenkmäler, die es hier gibt. Es herrscht eine große Gedankenlosigkeit bei diesem Thema, die auch ihren Beitrag zum verbreiteten Alltagsrassismus leistet. Jetzt, da es eine weltweite Bewegung gibt, sind endlich die Zeit und die Gelegenheit gekommen, für etwas mehr Problembewusstsein zu sorgen.

Auch hierzulande sollten Namen, Denkmäler und Orte mit solcher Vorgeschichte angegriffen werden – allerdings friedlich im Gemeindeparlament. Nicht alles muss weg, nicht alles umbenannt werden. Manchmal reicht eine Ergänzung mit einer Informationstafel oder die Gegenüberstellung mit einem modernen Denkmal, das das alte bricht. Egal wie das Ergebnis ist: Wichtig ist der Diskussionsprozess selbst. Gedenkpolitik ist lebendiger Geschichtsunterricht und Aufklärung in einem.

Permanente Auseinandersetzung

In Sachen Aufarbeitung des Nationalsozialismus und seit 1990 auch des Stalinismus ist Deutschland viel weiter. Diese Themen sind historisch ja auch die Hauptlast des Landes. Aber selbst hier, wo man denken sollte, es herrsche breite Sensibilität, werden immer wieder erstaunliche Lücken sichtbar. So werden erst seit kurzer Zeit die „Judensau“-Darstellungen an Kirchen juristisch und politisch angegriffen, mit unterschiedlichen Ergebnissen. Und erst seit wenigen Wochen gibt es eine politisch-historische Debatte um Hitlers Aufmarschgelände neben dem Berliner Olympiastadion, das unverständlicherweise samt etlichen Nazi-Bildhauereien unter Denkmalschutz steht – und die Pläne von Hertha BSC für den Bau eines Fußballstadions blockiert.

Frankreichs Präsident Macron hat sehr allgemein davor gewarnt, Spuren und Namen der Geschichte auszulöschen, alles gehöre zur Nation. Das ist in dieser Absolutheit selbst ein geschichtsloser Ansatz. Denn das Bild von Geschichte ändert sich. Nicht alles, was unsere Ahnen und Urahnen dachten und schufen, können wir heute akzeptieren, nicht alles muss bleiben. Schon gar nicht, wenn es menschenfeindlich war und bis heute fortwirkt. Manches gehört für immer ins Museum, Abteilung Irrwege. Damit muss sich jede Nation permanent auseinandersetzen. Ohne blinde Bilderstürmerei zwar, aber aktiv. Man nennt diesen Prozess übrigens zivilisatorischen Fortschritt.