ItalienWo Mafiosi Richter bedienen: Ein skurriler Fall unterstreicht die Unterwanderung durch Clans

Italien / Wo Mafiosi Richter bedienen: Ein skurriler Fall unterstreicht die Unterwanderung durch Clans
In großen Metropolen wie Rom, Mailand oder Neapel soll jedes fünfte Restaurant im Besitz der Clans sein Foto: Bloomberg/Alessia Pierdomenico

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Tag für Tag tranken Richter, Staatsanwälte, Polizeibeamte und Justizangestellte ihren Espresso in der Bar des Justizpalastes von Potenza. Nicht ahnend, dass sie von Mitgliedern eines ’Ndrangheta-Clans bedient wurden. Nun müssen sich die Ermittler mit den Vorgängen im eigenen Haus befassen.

Es war eher ein Zufallsergebnis, dass die Ermittler auf die Spur des Clantreibens im eigenen Hause stießen. 17 Fälle sind bei der Polizei und den Justizbehörden in Potenza anhängig, um Aufklärung über das Clantreiben in der Region zu schaffen. Koordiniert werden die Ermittlungen unter dem Codenamen „Iceberg“ von der regionalen Anti-Mafia-Direktion (DDA). Vor allem gegen zwei Clans der ’Ndrangheta aus Pignola (Potenza) sind die Sicherheitsbehörden bislang vorgegangen. Sowohl Vermögen als auch Betriebe wurden sequestriert, darunter eben auch die Bar im Justizpalast, die von einem der beiden Clans betrieben wurde.

Bei dem Unternehmen „Iceberg“ handelt es sich um einen weiteren Schlag der Ermittlungsbehörden gegen die zurzeit gefährlichste Mafia Italiens, die ’Ndrangheta. Gleichzeitig mit den Aktionen in Potenza waren 150 Polizisten und Carabinieri in den Regionen Apulien, Basilicata und Kampanien aktiv. Weitere Durchsuchungen fanden im Rahmen der Operation auch in Neapel und Bologna statt. Die Ermittlungen wurden vom Leitenden Staatsanwalt Potenzas, Francesco Curcio, geführt.

Zu den Hauptbeschuldigten gehören vor allem die vier Brüder Saverio, Vito, Domenico und Francesco Michele Riviezzi. Ihnen wird Raub, Erpressung, Drogenhandel sowie Beteiligung an einer Mordserie vorgeworfen, die hier unter dem Begriff Faida del Vulture – Bandenkrieg der Geier – geführt wird.

Die aktuellen Ermittlungen in Potenza sind zwar nicht so spektakulär wie andere Schläge, die jüngst gegen die ’Ndrangheta geführt worden sind. Doch sie zeigen deutlich auf, wie weit verzweigt und vernetzt die Strukturen des organisierten Verbrechens in Italien sind. Sie reichen nicht nur bis ins Erdgeschoss des Justizpalastes: Unter den Beschuldigten ist auch der ehemalige Bürgermeister von Pignola, Ignazio Petrone, zu finden.

Bar als Quelle

Sowohl die kommunalen Behörden von Pignola als auch die von Potenza scheinen von der Mafia unterwandert worden zu sein, zumindest müssen etliche Summen geflossen sein, um an Barbara Nella und Salvatore Sabato – zwei Exponenten des handelnden Clans – die Lizenzen für den Barbetrieb auszuhändigen. Das Lokal, in dem täglich etliche Justiz- und Polizeibeamte verkehrten, diente nicht nur als Drogenumschlagplatz. Im Lokal waren auch versteckte Kameras und Mikrofone angebracht, über die die Gespräche der Beamten offensichtlich mitgehört werden konnten.

Sie waren mitten unter uns

Francesco Curcio, Staatsanwalt

Ein erster Verdacht kam den Ermittlern unter Staatsanwalt Curcio bereits vor drei Jahren. Die Polizei ließ ihrerseits nun versteckte Kameras installieren, um das Treiben des Familienclans zu beobachten. Weshalb die Sicherheitsspezialisten dabei nicht die Kameras der Mafiosi entdeckten, bleibt bislang ein obskures Geheimnis.

Die Aufnahmen der Polizeikameras zeigten, dass Staatsanwälte und Polizisten ein vertrautes Verhältnis zu den Barbetreibern, also Clanmitgliedern, aufgebaut hatten. Nach den Aufzeichnungen sollen einige Beamte sogar die Information weitergeleitet haben, dass gegen die Barbetreiber ermittelt werde. „Sie waren mitten unter uns“, erklärte Staatsanwalt Francesco Curcio erstaunt und entsetzt.

Potenza kein Einzelfall

Quellen aus der Unterwelt bestätigen: Eine Bar im Justizpalast zu betreiben, galt als Respekt einflößender Coup – der aber nicht nur in Potenza gelang. Auch die Bar des Justizpalastes in Turin wurde von Mafiosi betrieben, hier waren es Clans der neapolitanischen Camorra. Seit Monaten ist nun die „Bar del Palagiustizia“ geschlossen, der Ort, an dem Turiner Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Gerichtsdiener ihren Kaffee zu nehmen pflegten. Gegen sieben Hauptverdächtige wird wegen Geldwäsche, Drogenhandel und Unterwanderung der Justiz ermittelt.

Nach Ermittlungen sollen sich landesweit etwa 5.000 Lokale in den Händen von Mafia-Gruppierungen befinden. In den großen Metropolen wie Rom, Mailand oder Neapel ist demnach jedes fünfte Restaurant im Besitz der Clans. Der Umsatzanteil des organisierten Verbrechens an der Gastronomie wird auf 15 Prozent geschätzt – dabei gilt das Hauptinteresse dem Betreiben von Geldwäsche, Drogenhandel und sonstigem Anbahnen von lukrativen Geschäften.