Wohin mit dem Geld?Wie Polens Regierung wegen 58 Milliarden Euro EU-Coronahilfen ins Straucheln gerät  

Wohin mit dem Geld? / Wie Polens Regierung wegen 58 Milliarden Euro EU-Coronahilfen ins Straucheln gerät  
Jaroslaw Kaczynski stänkerte so sehr gegen die EU, dass seine Koalitionspartner jetzt Geld aus Brüssel ablehnen Foto: Reuters/Kacper Pempel

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Die EU will Polen mit 58 Milliarden Euro bei der Bewältigung der Corona-Krise helfen. PiS-Chef Kaczynski würde das Geld annehmen. Doch ausgerechnet jetzt holen ihn die Geister der Vergangenheit ein. 

Regierungschef Mateusz Morawiecki und sein Vizepremier Jaroslaw Kaczynski, der mächtige Parteichef von „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) haben hochfliegende Pläne: Dank des EU-Corona-Wiederaufbaufonds sollen bis 2026 Hunderte von Spitälern modernisiert und Tausende von Autobussen gebaut werden, die mit „patriotisch“ in Polen gewonnenem Wasserstoff angetrieben werden. Dazu kommen 9.000 zusätzliche Krippenplätze, der Zukauf weiterer Covid-Impfdosen und neue Fotoradargeräte für die polnische Polizei. Dieser etwas seltsam anmutende Aufbauplan sollte bis Ende April verabschiedet und nach Brüssel zur Genehmigung vorgelegt werden.

Finanziert wird dies alles durch die EU. Aus dem EU-Aufbaufonds zur Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise soll Polen nämlich eine Finanzspritze 58 Milliarden Euro bekommen. Polen gehört damit zu den Hauptnutznießern des neuen EU-Hilfsprogramms. Ökonomen rechnen mit einem enormen Wachstumsschub. Doch noch immer ist man in Warschau nicht einmal mit dem Aufbauplan ganz fertig, der zuerst vom Sejm, der Großen Kammer, gebilligt werden muss.

Die geplante Abstimmung über den von PiS ausgearbeiteten Aufbauplan und den EU-Aufbaufonds an sich, der von jedem Landesparlament gestimmt werden muss, wird immer wieder verschoben. Erst sollte er „bestimmt bis Ende April verabschiedet werden“, nun spricht Polens Regierung bereits von Mai. Dabei wächst EU-weit der Druck, um die Gelder möglichst bald an die Mitglieder auszuzahlen. Dieser hat sich nochmal erhöht, nachdem das deutsche Verfassungsgericht am Mittwoch Grünes Licht für die Ratifizierung gegeben hat. Warschau kann die eigenen Probleme bei der Ratifizierung in Brüssel damit nicht mehr mit einem Verweis auf Berlin vom Tisch wischen.

Einmal zu viel gehetzt

Verschoben wird die Abstimmung immer wieder, weil Morawiecki und Kaczynski noch immer händeringend eine Mehrheit für ihr Dokument im Sejm suchen. Wegen Widerstandes in seiner eigenen Regierungsfraktion ist Kaczynski nämlich auf rund 15 Stimmen aus der Opposition angewiesen.

Mitschuld daran ist Kaczynskis PiS selbst. Es begann im Herbst 2020: Wochenlang übertrumpften sich Polen und auch Ungarn in der zweiten Hälfte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit Veto-Drohungen gegen das EU-Budget 2021-27 und den darin eingerechneten EU-Aufbaufonds. Sowohl Kaczynski wie Viktor Orban lehnten die mit einer künftigen EU-Mittelauszahlung verbundene Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit ab. Schrille Töne beherrschten den Diskurs, die ganze EU zitterte. Schließlich schaffte Angela Merkel den Kompromiss: Budapest bekam gewisse Zusicherungen bei der Flüchtlingspolitik, Warschau bei Eherecht und LGBT. Zudem wurde die Rechtsstaatsklausel zeitlich nach hinten verschoben und etwas verwässert. Beide EU-Mitglieder knickten ein, immerhin lockten je Dutzende zusätzliche EU-Milliarden.

In Polen allerdings hatte Kaczynski mit seiner Veto-Drohung gegen das EU-Budget Ende 2020 seinen kleinen rechten Juniorpartner „Solidarisches Polen“ (SP) von Justizminister Zbigniew Ziobro so sehr auf den alten Verhandlungskurs eingeschworen, dass dessen knapp unter 20 Sejm-Abgeordnete seitdem gegen den Kompromiss protestieren. Eherecht, LGBT und die neue Rechtsstaatsklausel ließen sich nicht gegeneinander aufrechnen, wenn Polen mit dem EU-Aufbaufonds seine Souveränität einbüße, argumentiert Justizminister Ziobro.

Ziobros Zustimmung ist wichtig, weil Kaczynskis Regierungskoalition nicht ein einheitlicher rechts-konservativer Block namens PiS ist, sondern aus der großen PiS (aktuell 201 von 450 Abgeordneten) sowie den beiden Kleinparteien „Solidarisches Polen“ (aktuell 19 Abgeordnete) und „Verständigung“ (nach Austritten noch 14 Abgeordnete) besteht. Wirtschaftsminister Jaroslaw Gowins rechts-liberale „Verständigung“ hat sich seit Mai 2020 als aufmüpfiger Juniorkoalitionspartner Kaczynskis profiliert, steht aber beim EU-Aufbaufonds klar hinter der neuen Regierungslinie von Kaczynski und dessen EU-freundlichem Regierungschef Morawiecki. Justizminister Ziobros rechts der PiS stehende Partei „Solidarisches Polen“ hat bisher immer wieder betont, den EU-Aufbauplan nicht unterstützen zu wollen. Neben dem Rechtsstaatsmechanismus stört sich die Kleinpartei auch an der Finanzierung und der damit verbundenen Neuverschuldung Polens.

Fragile Koalition

Ohne „Solidarisches Polen“ hat Kaczynski keine Mehrheit im Sejm. Kaczynski verhandelt deshalb seit Wochen mit dem rechts-populistischen Rockmusiker Pawel Kukiz (vier Abgeordnete). Doch das reicht nicht. „Meine Hoffnungen auf ‚Solidarisches Polen’ können sich als Strohfeuer erweisen“, gab Polens starker Mann kürzlich in einem Interview zu. „Ich hoffe deshalb auf die Einsicht der gesamten Opposition.“

Doch diese ziert sich. Denn erstmals seit dem Wahlsieg der PiS im Herbst 2015 ist Kaczynski auf sie bei einem wichtigen Sachgeschäft angewiesen. Die kleine Bauernpartei PSL (aktuell noch 23 Abgeordnete) und das Bündnis „Linke“ (drei Parteien mit insgesamt 47 Abgeordneten) hatten sich der Regierung erst als Mehrheitsbeschaffer angeboten, dann aber wieder zurückgezogen. Sie bemängelten zu wenig Unterstützung für die Bauern und die oft oppositionell regierten Gemeinden. Am Montag hat nun die große, liberale Bürgerplattform (PO) (129 Abgeordnete) Forderungen erhoben, die Kaczynski ebenso wenig gefallen. Cezary Tomczyk verlangte für eine PO-Unterstützung die gleichen Regeln wie bei allen EU-Hilfsgeldern, also 40 Prozent für die Lokalregierungen statt der von PiS angestrebten Zentralisierung. Zehn Prozent des EU-Aufbaufonds für Polen sollen zudem der Landwirtschaft zugutekommen und das marode Gesundheitswesen soll mit Priorität behandelt werden. „Damit verhindern wir, dass die EU-Gelder so wie in Ungarn einfach in undurchsichtige Kanäle verschwinden“, sagt Tomczyk.

Kaczynski bliebt deshalb nur die Einschüchterung von Ziobros „Solidarisches Polen“, etwa mit der Drohung eines Zerfalls der Regierungskoalition und damit nötiger vorgezogener Neuwahlen. Ziobros Partei würde dabei laut allen Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.