Project SyndicateWie die US-Reaktion auf die Pandemie umgestaltet werden muss

Project Syndicate / Wie die US-Reaktion auf die Pandemie umgestaltet werden muss
Obwohl die USA nicht darauf vorbereitet sind, soll das Land schnellstmöglich wieder zur Normalität zurückkehren Foto: AFP/Saul Loeb

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Es ist leicht, die Reaktion der USA auf Covid-19 zu bemängeln, oder genauer, den beklagenswerten Mangel daran. Realitätsverweigerung, Verzögerungen, politische Grabenkämpfe und systemische Mängel haben zu mehr als 100.000 Toten im Lande geführt und die soziale und wirtschaftliche Krise vertieft. Mehr als 40 Millionen Arbeitnehmer – das heißt jeder vierte – haben seit März Arbeitslosenhilfe beantragt. Und jetzt wird den Amerikanern erzählt, das Land solle, obwohl es nicht darauf vorbereitet ist, eiligst zur „Normalität“ zurückkehren.

Was bei der US-Reaktion der USA falsch gelaufen ist, reicht über die heutige hyperparteiische politische Landschaft hinaus. Die Wurzeln dieser amerikanischen Katastrophe gehen tief.

Um es klar zu sagen: Ein Großteil der Schuld liegt ganz klar bei den Republikanern; nur die Demokraten versuchen – gegen republikanischen Widerstand – das verschlissene soziale Netz der USA durch direkte Unterstützung für die Arbeitslosen, die Armen, Menschen mit Vorerkrankungen und anderweitig gefährdete Gruppen zu flicken. Doch auch die Demokraten verlangen nicht, dass die US-Regierung den privaten Sektor anweist – und dafür bezahlt –, die Waren und Dienstleistungen zu produzieren, die die Gesellschaft braucht, aber die der Markt allein nicht liefern kann und wird.

Zu sagen, dass der Staat gefordert ist, „zu liefern“, beschwört Bilder von Planwirtschaftlern sowjetischen Stils herauf, die entscheiden, welche Stile, Formen und sogar Größen von Schuhen produziert werden sollten. Es ist eindeutig nicht Aufgabe des Staates, auf derartige Weise auf dem Markt für private Güter zu intervenieren. Das führt nur zu künstlichen Verknappungen, wie man sie aus der Kommandowirtschaft kennt. Doch auch in kapitalistischen Volkswirtschaften spielt der Staat eine unmittelbare Rolle bei der Bereitstellung bestimmter Güter.

Trump-Regierung sträubt sich

Öffentliche Güter – zum Beispiel die Landesverteidigung – sollten eindeutig vom Staat erbracht werden. Tatsächlich ist es in den USA nicht der öffentliche Sektor selbst, der Verteidigungsgüter produziert; der Staat weist den privaten Sektor an, dies zu tun. Der Einsatz des US Defense Production Act (DPA) von 1950 – dessen Vorbild die War Powers Acts waren, die Präsident Franklin D. Roosevelt gewaltige Befugnisse zur Steuerung der US-Wirtschaft während des Zweiten Weltkriegs gaben – ist nicht gerade selten. Das Militär gibt jährlich rund 300.000 Bestellungen im Rahmen des DPA auf und diese Praxis hat sich auch unter Präsident Donald Trump fortgesetzt.

Doch hat sich die Trump-Regierung gesträubt, sich für Covid-19-Maßnahmen auf den DPA zu stützen. Dies geschah nur in ausgewählten Fällen, so etwa, um 3M anzuweisen, Bestellungen der US-Behörden von N95-Gesichtsmasken Priorität einzuräumen und dem Unternehmen die Ausfuhr derartiger Masken zu verbieten, oder als General Motors angewiesen wurde, Beatmungsgeräte herzustellen.

Die Trump-Regierung setzte den DPA auf eine Weise ein, die gleichzeitig zu interventionistisch und nicht interventionistisch genug war. Sie stützte sich Bestimmungen, die man als „harte“ Befehls- und Kontrollbestimmungen bezeichnen könnte, und nutzte den DPA „gegen“ 3M und GM. Die Regierung befahl dem privaten Sektor, was er zu tun habe.

Eine viel bessere Verwendung der enormen staatlichen Befugnisse wären „weiche“ Anweisungen, bei denen der Staat Anreize für den privaten Sektor setzt, Waren zu produzieren, die der Gesellschaft nutzen. Deutschland etwa nutzte im Rahmen eines viel breiter angelegten Hilfspakets staatliche Abnahmegarantien. Das Ziel war klar: deutschen Unternehmen nicht etwa zu befehlen, medizinische Ausrüstung zu produzieren, sondern die richtigen Anreize zu setzen, damit sie es tun.

Nicht wie Schuhe

Das soll Unternehmensinnovationen und unternehmerischen Einfallsreichtum nicht kleinreden. Wir alle sollten der örtlichen Schnapsbrennerei applaudieren, die ihre Produktion von Spirituosen auf Handdesinfektionsmittel umgestellt hat, oder dem Hersteller von Kaffeefiltern, der jetzt Gesichtsmasken fertigt. Doch stellt der Markt, wenn man ihn sich selbst überlässt, eindeutig keine ausreichenden Mengen an persönlicher Schutzausrüstung, Beatmungsgeräten und Medikamenten her. Genauso wenig wird er, falls und wenn die Zeit kommt, weltweite Impfungen sicherstellen.

Die US-Regierung ist gegenüber Deutschland nicht im Nachteil. Gemäß Titel III des DPA steht ihr dasselbe Hilfsmittel zur Verfügung: Bundesabnahmegarantien. Die Unwilligkeit, es zu nutzen, spiegelt eine gefährliche ideologische Verwirrung wider.

Gesichtsmasken, Beatmungsgeräte und Impfungen sind weder private noch öffentliche Güter. Sie sind nicht wie Schuhe: Wenn jemand eine persönliche Vorliebe für übergroße lila Pumps hegt, mag dies das Modeempfinden anderer beleidigen, aber ansonsten hat es weder negative noch positive externe Auswirkungen. Und sie sind anders als Luft kein öffentliches Gut, von dessen Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann und um das man nicht konkurriert: Die Gesellschaft profitiert von ihrer Bereitstellung und der Staat darf nicht zögern, ausreichende Mengen davon sicherzustellen.

Die Bereitstellung sozialer Güter erfordert in den meisten Fällen starke staatliche Anreize, um den privaten Sektor anzuregen, sie zu liefern. Die Reaktion auf Covid-19 ist dabei kein Einzelfall. Gleiches gilt für Technologien zur Abmilderung oder Anpassung an den Klimawandel, ein weiteres systemisches Problem, das der private Sektor allein nicht im Interesse aller in Angriff nehmen wird.

Verpasste Chancen

Ganz gleich, ob Covid-19 oder Klimawandel: Mit freiwilligem Engagement der Unternehmen und mit Philanthropie ist dem Problem nicht beizukommen. Um von der ganzen Macht der berühmten privatwirtschaftlichen Dynamik der USA zu profitieren, ist es erforderlich, die Befugnisse der US-Bundesregierung einzusetzen, um zur Unterstützung eines massiven gesellschaftlichen Unterfangens Kapital und Energie des privaten Sektors für neue Zwecke zu nutzen.

Bislang besteht die Reaktion der US-Bundesregierung aus einer Reihe verpasster Chancen. Das fängt an bei mit dem Versäumnis, sich ausreichend vorzubereiten, um die Pandemie zu erkennen und einzudämmen oder die wirtschaftlichen Folgen anzusprechen, und geht weiter mit dem ersten Hilfsgesetz im Umfang von einer Billion Dollar, bei dem versäumt wurde, irgendetwas von dem Geld zu nutzen, um die richtigen Anreize zur Mobilisierung der Kraft des privaten Sektors zu setzen und so der Grundursache des wirtschaftlichen Zusammenbruchs beizukommen. Schließlich gibt es keine besseren Konjunkturimpulse als die Überwindung von Covid-19.

Dieses Ergebnis zu erreichen, erfordert – wie die Bekämpfung des Klimawandels –, die Rolle des Staates neu zu überdenken. Eine Kommandowirtschaft sowjetischen Stils funktioniert selbst unter optimalen Umständen nicht. Doch wie die Covid-19-Krise deutlich machen sollte, ist eine kapitalistische Volkswirtschaft US-amerikanischen Stils der Herausforderung, den Menschen die von ihnen benötigten sozialen Güter zur Verfügung zu stellen, nicht gewachsen. Diese sicherzustellen, erfordert einen aktiven Staat, der den privaten Sektor ernst nimmt.

* Aus dem Englischen von Jan Doolan

Roman Frydman ist Professor für Volkswirtschaft an der New York University und Mitverfasser von Imperfect Knowledge Economics und Beyond Mechanical Markets.

Gernot Wagner ist Mitverfasser von Climate Shock und Verfasser von But Will the Planet Notice? und lehrt Klimawirtschaft an der New York University.

© Project Syndicate, 2020