Wer im Neoliberalismus mithalten will, wird asozial oder geht zugrunde

Wer im Neoliberalismus mithalten will, wird asozial oder geht zugrunde

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Wir wollen immer perfekter werden. Zwei amerikanische Psychologen haben dies kürzlich nachgewiesen: Seit dem Ende der 1970er Jahre steigt die Zahl der betroffenen Jugendlichen. Demnach seit der Zeit, da die Politik ihren Rücktritt aus der Gesellschaft zugunsten einer immer deregulierteren Wirtschaft eingeleitet hat. Die Folgen sind mehr Depressionen, mehr Angstzustände, mehr Suizidgedanken.

Unser gesellschaftliches Grab schaufeln wir uns selber. Natürlich spielen die politischen Rahmenbedingungen eine Rolle. Doch schließlich sind auch wir es, die uns die Politiker und damit die Politik vor die Nase setzen, die zwar stinkt, deren Geruch uns aber nicht abhält, bei den nächsten Wahlen das Kreuz wieder an derselben Stelle zu setzen.

Seit fast zwei Generationen wird in den meisten westlichen Staaten der Einfluss des Staates zurückgefahren. Vollbeschäftigung und sozialer Ausgleich als Ziele weichen dem falschen Versprechen, den freien Markt immer freier werden zu lassen, um auch als Individuen freier zu werden. Dass diese Rechnung vorn und hinten nicht aufgeht, scheint kaum zu kümmern.

Doch je mehr und je andauernder Leistung gefordert wird, desto weniger Zeit bleibt für die Erfüllung der persönlichen Bereicherungen des Lebens. Es ist das berüchtigte Hamsterrad, in dem wir uns immer besser zurechtfinden. Zumindest dann, wenn wir zu den Stärkeren gehören, die nicht hinausfliegen, wenn es schneller und schneller dreht. Um dies zu erreichen, drillen wir uns – wir wollen immer perfekter werden, leiten uns selber so, als wären wir unser eigener, nicht sehr nachsichtiger Boss.

Wertschätzung gibt es nur für die Perfekten

Die beiden Psychologen Thomas Curran und Andrew P. Hill haben diese Entwicklung nun erforscht. Ihre Ergebnisse lösen Gänsehaut aus, und zwar nicht die gute. Curran und Hill stellen in ihrer kürzlich im Fachmagazin Psychological Bulletin veröffentlichten Forschungsarbeit fest, dass der Perfektionismus in unseren Gesellschaften über die Jahre zunimmt. Von drei Unterkategorien des Perfektionismus, so wie die Psychologie ihn definiert, ist es besonders eine, die bei Hill und Curran die Alarmglocken schrillen lässt: der gesellschaftlich verordnete Perfektionismus (im Englischen „Socially Prescribed Perfectionism“). Die anderen Kategorien sind der selbstbezogene Perfektionismus sowie der auf andere bezogene Perfektionismus.

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Bei allen drei Formen stellen die Forscher eine Steigerung der Betroffenenzahlen fest. Doch ist es der gesellschaftlich verordnete Perfektionismus, der bei weitem am stärksten steigt.
Bei diesem geht es darum, dass man glaubt, andere würden einen nur wertschätzen, wenn man perfekt ist. Vor allem diese Art des Perfektionismus erlebt den Forschern zufolge seit dem Ende der 1970er Jahre einen regelrechten Höhenflug. Das lege nahe, so Curran und Hill, dass junge Menschen – untersucht wurden Daten von Jugendlichen in den USA, Großbritannien und Kanada – den Gesellschaftsrahmen als rauer oder strenger wahrnehmen. Und um in diesem Klima zu gefallen und Zustimmung zu bekommen, fühlten sie sich verpflichtet, immer perfekter zu werden.

Um geliebt und bewundert zu werden

Reagan und Thatcher verhalfen dem Neoliberalismus zur weltweiten Hegemonie. Wer sich nun an dem Begriff Neoliberalismus stört, darf ihn gerne durch Deregulierung ersetzen, durch Entfesselung, durch fortschreitenden Rückzug des Staates und der Gemeinden aus dem Leben der Menschen, oder durch fortschreitende Ungleichheit, nicht über den Planeten gesehen, sondern innerhalb der einzelnen Staaten.

Curran und Hill bringen beide Entwicklungen überein. Seit die Welt „neoliberaler“ wird, wollen die Menschen offenbar immer perfekter werden. Um sich den Entwicklungen anzupassen. Um Erfolg zu haben. Um geliebt und bewundert zu werden. Wer in einer solchen Welt aufwächst, lernt früh, sich in genau dieser Welt zu behaupten. Das fängt mit der frühesten Erziehung an, zieht sich durch die ganze Ausbildung und gipfelt meist im Berufsleben. Demnach: Eltern passen sich an, das Bildungssystem wird angepasst, und in der Arbeitswelt ist sowieso jeder Konkurrent des anderen.

Die Forscher verweisen auch auf die Zusammenhänge zwischen Neoliberalismus und Meritokratie. Das perfekte Leben und der perfekte Lifestyle – die sich ausdrücken durch Erfolg, Wohlstand und sozialen Rang – würden in diesem Rahmen schließlich jedem offenstehen, vorausgesetzt, man arbeitet hart genug an sich selbst. Ein Scheitern ist hier nicht vorgesehen. Wer trotzdem scheitert, ist demnach minderwertig und wird – dem Prinzip der Meritokratie folgend, wo Belohnungen den Tüchtigen gegenüber anderen auszeichnen und hervorheben – nicht belohnt (durch Karriere einerseits und andererseits durch entsprechend weniger Zuneigung aus der umgebenden Gesellschaft heraus).

Auf die anderen warten Angst und Depression

Nun könnte man einwenden, so ist die Welt nun einmal, das sind die geltenden Regeln – und nach denen ist zu spielen. Das würde aber einen wichtigen Faktor auslassen: Perfektionismus kann krank machen. Wie die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrer letzten zu dem Thema weltweit durchgeführten Studie (aus dem Jahr 2011) herausgefunden hat, erreichten bestimmte Psychopathologien unter jungen Menschen neue Höchstzahlen.

Unsere Jugend wird demnach immer depressiver, angstgestörter, selbstmordgefährdeter. Alles Psychopathologien, für die Perfektionismus als Kerntriebfeder gilt. Zu dem Gesundheitsrisiko hinzu kommt der stärkere Wunsch nach Angepasstsein unter Perfektionisten.

Und das ist noch nicht alles: Curran und Hill führen weitere Studien an, die nachweisen, dass der gesellschaftlich verordnete Perfektionismus unter College-Studenten negative Eigenschaften fördert, die eigentlich auf dem Rückgang waren. So sei ein erhöhtes Vorkommen von Rachsucht, Feindseligkeit und der Tendenz, anderen die Schuld zu geben, festgestellt worden. Ebenso ein geringerer Hang zu Altruismus, Nachgiebigkeit und Vertrauen.

Anders gesagt: Wir leben in einer Welt, die ihre Jugend immer angepasster und selbstbezogener werden lässt – es sei denn, die Jungen werden früh durch Krankheit aussortiert. Dass das keine beruhigende Entwicklung sein kann, sollte einleuchten. Angepasste Egoisten bringen eine Welt nicht weiter, die sich immer mehr davon entfernt, dem Menschen abseits von der Leistungsschau Freiraum zu verschaffen. Und ganz sicher werden sie sie nicht verändern. Es wäre ja nicht in ihrem Interesse.

Bender
1. März 2018 - 9.27

Schéi wier et wann et bei Suicide-Gedanke bleiwe géif... Mee wéi emmer, iwwert sou eppes schwetzt een net hei am Land. Et gett jo schon nie zouginn, wann Leit express an e Bam rennen fiir hirem Leed en Enne ze maachen. Leiwer e puer Leitplanken a Radare weider, e puer Plastikbarrikade rondrem Brécken, dat helleft... Dir wellt net wesse wéivill jonk Leit sech all Joer d'Liewen huelen, ech wees et leider aus éischter Quell.

MarcL
27. Februar 2018 - 12.50

Interessante Studie, die wiederum bestätigt, dass Wirtschaftswachstum und Lebenszufriedenhait zwei Paar Schuhe sind. Allerdings wirkt die staatliche Umverteilung eher wie ein schlechter Reparaturbetrieb bei dem Reiche reicher und Arme ärmer werden und unsere natürlichen Ressourcen ständig schrumpfen.

freak68
24. Februar 2018 - 18.31

Absolut richtig...nur leider interessiert das kein Schwein !