ItalienVier Stunden Horror: Skandal um Dutzende auf Gefängnisinsassen einprügelnde Wächter

Italien / Vier Stunden Horror: Skandal um Dutzende auf Gefängnisinsassen einprügelnde Wächter
Der untersuchende Ermittlungsrichter Sergio Enea spricht von einem „schrecklichen Massaker“ Foto: Screenshot/Domani

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52 Angehörigen der Gefängnispolizei wird die Misshandlung von Strafgefangenen in der Haftanstalt Santa Maria Capua Vetere in Caserta vorgeworfen. Sie hatten Proteste gegen Corona-Bestimmugen brutal niedergeschlagen. Gegen die Beamten soll auch wegen Folter ermittelt werden.

Die Bilder, die die italienische Zeitung Domani veröffentlichte, sind verstörend und bedrückend: Teils vermummte Beamte der Gefängnispolizei schlagen auf wehrlose Häftlinge ein. Teils entkleidet, müssen die Gefangenen in würdelosen Haltungen vor den Beamten knien, immer wieder schlagen Gummiknüppel auf Köpfe und Körper, werden die Malträtierten mit Fußtritten gequält.

Etwa sechs Minuten dauert das Video – zusammengestellt aus Aufnahmen der Überwachungskameras des Gefängnisses Francesco Uccella in Santa Maria Capua Vetere, einem Vorort des süditalienischen Caserta. Sie zeigen die Niederschlagung eines eigentlich harmlosen Protestes am 6. April 2020 gegen die ersten Coronamaßnahmen, die in den Haftanstalten Italiens vorgenommen wurden.

Jetzt, ein Jahr später, eröffnet die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen die beteiligten Justizvollzugsbeamten. 52 Polizisten befinden sich inzwischen in Haft. Der Fall beschäftigt nicht nur die italienische Justiz, sondern hat längst politische Dimensionen erreicht. Die amtierende Justizministerin Marta Cartabia nannte den Vorfall eine „Verletzung der Verfassung“. Der untersuchende Ermittlungsrichter Sergio Enea spricht von einem „schrecklichen Massaker“. Die Demokratische Partei forderte die Ministerin auf, vor dem Parlament Stellung zu beziehen.

Häftlinge wollten besseren Corona-Schutz

Dabei war der Protest in der Haftanstalt „Francesco Uccella“ eigentlich nur als harmlos zu bezeichnen, vergleicht man ihn mit den Ereignissen, die sich im Frühjahr 2020 in anderen Einrichtungen abgespielt hatten. Am Morgen des 5. April wurde innerhalb der Gefängnismauern bekannt, dass es einen Covid-19-Fall gebe. Die Häftlinge forderten daraufhin mehr Schutzmaßnahmen gegen eine mögliche Infektion, bessere sanitäre Ausstattung und medizinische Versorgung. Mehr oder minder lautstark protestierten sie, schlugen mit Essgeschirr an Gitter und Zellentüren. Schließlich weigerten sich etliche Häftlinge, nach dem Freigang wieder in die Zellen zurückzukehren.

Der für die Region Kampanien zuständige Gefängnisinspektor Antonio Fullone beorderte einen Tag später etwa 100 Beamte einer kurz zuvor gegründeten Spezialeinheit der Gefängnispolizei nach Caserta. Die Beamten, in Kampfausrüstung gekleidet, griffen über jegliches zulässiges Maß zur Revoltenbekämpfung durch. Mit Schlagstöcken, Fußtritten und Beschimpfungen zwangen sie die Häftlinge, sich an den Wänden niederzuknieen. Teilweise mussten sich die Gefangen ausziehen und in diesem würdelosen Zustand vor den Beamten verharren.

Wie die Videos der Überwachungskameras weiter zeigten, mussten die Häftlinge dann einzeln durch ein Spalier der Polizisten zu ihren Zellen zurückgehen, dabei wurden sie wiederum geschlagen, beschimpft und bespuckt. Ein Häftling, der heute im Rollstuhl sitzt, erklärte vor den Ermittlern, es sei ein „vierstündiges Massaker gewesen, der reinste Horror“. Zu jener Zeit hatte es in verschiedenen Haftanstalten Italiens Revolten gegeben, bei denen insgesamt 13 Häftlinge ums Leben kamen.

Wir werden die Bestien zähmen. Wir werden sie wie Kälber töten.

Auszüge aus sichergestellten Chats der Gefängnispolizisten

Mehrere Anzeigen der Inhaftierten brachten nun die juristische Aufklärung des Vorfalls ins Rollen. Nebst den Zeugenaussagen der Häftlinge wurden SMS-Botschaften und Chateinträge der beteiligten Beamten als Beweismittel sichergestellt. Darin prahlten die Polizisten mit ihrem harten Vorgehen gegen die Gefangenen. „Wir werden die Bestien zähmen“ oder „wir werden sie wie Kälber töten“ hieß es unter anderem in diesen Botschaften.

Gegen 144 Beamte insgesamt wird nun wegen der Übergriffe ermittelt. 52 von ihnen wird Verletzung der Würde von Gefangenen und Folter vorgeworfen, sie wurden inzwischen vom Dienst suspendiert und selbst in Gewahrsam genommen. Zum Personenkreis, gegen den ermittelt wird, gehören auch die Gefängnisleitung sowie etliche Ärzte, die falsche Bescheinigungen ausgestellt hatten, nach denen Wärter von Gefangenen angegriffen und verletzt worden seien.

Zustand in Haftanstalten skandalös

Der nun ans Licht der Öffentlichkeit gekommene Vorfall zeigt nur einen kleinen Ausschnitt aus dem italienischen Haftalltag. Die Lage in den Anstalten ist zumeist desaströs, die Gefängnisse sind oft hoffnungslos überfüllt, die hygienischen Zustände widersprechen allen Normen. Dennoch hat die Politik bislang nur wenig unternommen, etwas an der Lage zu ändern. Die Rechtspopulisten Matteo Salvini (Lega) und Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) verteidigten öffentlich das Vorgehen der Beamten. Ex-Innenminister Salvini erklärte wenige Wochen nach den Vorfällen im vergangenen Jahr, er werde persönlich nach Santa Maria Capua Vetere gehen, um den Polizisten seine Solidarität auszudrücken.

Man darf gespannt sein, inwieweit die Vorfälle unter der Draghi-Administration nun verfolgt werden und welche Maßnahmen die Regierung in Rom plant, die Zustände in den Haftanstalten zu bessern.