AnalyseVerständigung statt Konfrontation in Spanien – eine Chance für Katalonien

Analyse / Verständigung statt Konfrontation in Spanien – eine Chance für Katalonien
Unter den Begnadigten ist auch der ehemalige Vizechef der Regionalregierung, Oriol Junqueras, der zu 13 Jahren Haft verurteilt worden war Foto: AFP/Josep Lago

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Neun katalanische Unabhängigkeitsbefürworter sind nach gut drei Jahren Haft und ihrer Begnadigung wieder auf freiem Fuß. Spaniens Premier Sánchez hatte die Begnadigung der Katalanen-Anführer am Montag angekündigt. Der Schritt soll eine neue Phase des Dialogs eröffnen.

Die Begnadigung der zu langer Haft verurteilten katalanischen Separatistenführer ist eine mutige Entscheidung des spanischen Premiers Pedro Sánchez. Mutig, weil dies einen Spannungsabbau in der seit Jahren schwelenden Katalonienkrise erleichtern könnte. Das wäre eine gute Nachricht für Spanien. Und auch für die EU, in der man derartige Unabhängigkeitskonflikte als wenig förderlich für das europäische Zusammenwachsen betrachtet.

Lange Zeit hatte Spanien versucht, die Unabhängigkeitsgelüste in Katalonien allein mit der Gesetzeskeule zu ersticken. Diesen Weg kann man als gescheitert ansehen. Die Strategie, keine Zugeständnisse zu machen, hat vor allem eines bewirkt: Die Radikalisierung der Unabhängigkeitsbefürworter, deren Zahl nicht geringer geworden ist und – gemessen am letzten regionalen Wahlergebnis – inzwischen rund 50 Prozent der katalanischen Bevölkerung ausmacht.

Kehrtwende als Geste der Versöhnung

Nun leitet der Sozialist Sánchez eine Kehrtwende in der Katalonienpolitik ein. Sein Gnadenakt ist eine durch Spaniens Verfassung gedeckte Geste der Versöhnung, um den tiefen Graben zwischen Madrid und Barcelona zuzuschütten.

Sánchez hat verstanden, dass man mit Katalonien Verständigung statt Konfrontation suchen muss. Mit Sturheit kann man keine Konflikte lösen. Der Straferlass für die katalanischen Politiker, die wegen eines illegalen Unabhängigkeitsreferendums bereits dreieinhalb Jahre hinter Gitter saßen, ist somit kein Zeichen der Schwäche, sondern eine Chance für den politischen Frieden.

Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass Spanien wie Kataloniens Unabhängigkeitsbewegung diese historische Chance auch tatsächlich zu nutzen wissen. Und sich nicht durch Scharfmacher auf beiden Seiten beirren lassen. Denn die Hardliner im Separatistenlager wie auch in Spaniens konservativer Opposition leben davon, den Konflikt und die auf beiden Seiten wallenden nationalistischen Gefühle anzuheizen. Die Verhandlungen über die Zukunft Kataloniens dürften also nicht einfach werden.

Hardliner leben von dem Konflikt

Doch der Dialog könnte dadurch erleichtert werden, dass in Barcelona nicht mehr der kompromisslose Carles Puigdemont als Ministerpräsident regiert, für den der Gnadenakt wegen seiner Flucht nach Belgien übrigens nicht gilt. Sondern nun hat in Katalonien der sehr viele moderatere Regionalpräsident Pere Aragonès das Sagen. Dieser zeigt sich gesprächsbereit. Er versprach, nicht mehr wie 2017 mit der Brechstange die Abspaltung erzwingen zu wollen. Stattdessen will er ein legales Unabhängigkeitsreferendum wie in Schottland aushandeln.

Für ein solches Referendum müsste allerdings zunächst das spanische Grundgesetz geändert werden, wofür derzeit keine Mehrheit im spanischen Parlament in Sicht ist. Deswegen dürften sich die Gespräche zunächst auf andere mögliche Zugeständnisse konzentrieren: etwa auf eine größere Selbstverwaltung Kataloniens. Auch das wäre ja schon ein Fortschritt.

Sollte dann tatsächlich jemals ein legales Unabhängigkeitsreferendum stattfinden, wäre dies nicht der Untergang Spaniens, wie die konservativen Vaterlandsverteidiger immer wieder behaupten. Zumal keineswegs gesichert ist, dass tatsächlich die Mehrheit der Katalanen für die definitive Abspaltung stimmen würde. Vielmehr wäre ein Unabhängigkeitsreferendum, wie es zum Beispiel 2014 in Schottland mit Erlaubnis Londons abgehalten wurde, lediglich gelebte Demokratie.