Polen / Verschärftes Verbot von Abtreibungen kommt nicht durch das Parlament – nur vorläufig?
Das Parlament in Warschau hat am Donnerstag ein Gesetzesprojekt über das völlige Abtreibungsverbot verschoben. Die meisten Abgeordneten der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) überwiesen das ultra-restriktive Gesetz zusammen mit den Stimmen der rechtsextremen „Konföderation“ zur weiteren Bearbeitung in zwei parlamentarische Kommissionen.
Dabei zeigte sich allerdings ein Riss in der normalerweise einheitlichen PiS-Fraktion. 52 PiS-Abgeordnete wollten sofort zur zweiten (von drei) Lesung übergehen und die Verabschiedung des Gesetzes damit beschleunigen. Unterstützung erhielten sie vom in der EU umstrittenen Justizminister Zbigniew Ziobro. Die anderen rund 180 PiS-Vertreter hatten sich indes Parteichef Jaroslaw Kaczynski angeschlossen, dem nachgesagt wird, kein Fan einer weiteren Verschärfung des Abtreibungsverbots zu sein.
Das Vorhaben der Opposition einer endgültigen Absage an eine Verschärfung wurde allerdings mit 254 zu 187 Stimmen abgelehnt. Die Verschärfung des Abtreibungsverbots ist damit also noch nicht vom Tisch.
Polen hat bereits heute das restriktivste Abtreibungsgesetz aller EU-Mitgliedstaaten. Eine Abtreibung bis zur zwölften Woche ist nur in Ausnahmefällen erlaubt. Dazu gehören Vergewaltigung (2018 ein Fall), Gefährdung des Lebens der Mutter (2018 rund 50 Fälle) und eine schwere Behinderung des Kindes (2018 rund 1.050 Fälle). Die meisten zugelassenen Abtreibungen in Polen betreffen Säuglinge mit einem schweren Down-Syndrom (2018 rund 200 Fälle). Abtreibungen behinderter Kinder werden von rechtskonservativen Kreisen als „Eugenetik“ bezeichnet. Sie wurden am Mittwochabend in einer sehr stürmischen Sejm-Debatte wieder von vereinzelten, besonders radikalen PiS-Politikern mit Hitlers brutaler Besatzungspolitik in Polen und den Nazi-Eugenie-Gesetzen überhaupt verglichen.
Das Gesetzesprojekt über ein totales Abtreibungsverbot stammt von einer ultra-katholischen, eng mit der PiS verbundenen Bürgerinitiative. Das Projekt wurde bereits im Herbst 2017 im Sejm, der großen polnischen Parlamentskammer, eingereicht, doch dort von der Regierungsmehrheit rund um Kaczynski in die sogenannte „Tiefkühltruhe“ geworfen, obwohl es von 830.000 Polen mit einer Unterschrift unterstützt worden war. In die „Tiefkühltruhe“ kommen Gesetze, die selbst in der PiS umstritten sind oder im Zuge derer erhebliche Proteste unter der Bevölkerung erwartet werden. Beim Versuch der Verschärfung des Abtreibungsverbots war dies bereits zweimal geschehen. Im Herbst 2016 – und auch 2018 wieder – gingen beim sogenannten „Schwarzen Protest“ Zehntausende von Polinnen gegen ein derartiges Gesetz auf die Barrikaden. Die entsprechenden Gesetzesprojekte verschwanden daraufhin wieder in den Parlamentsschubladen.
Präsident Duda vor Wahlen stärken
Die liberale und linke Opposition hatte der PiS, die ausgerechnet zu Ostern die Abstimmung im Sejm bekannt gegeben hatte, im Vorfeld vorgeworfen, die Corona-Einschränkungen zu ihren Gunsten zu nutzen, um das völlige Abtreibungsverbot nun bei dem aktuell herrschenden Viren-bedingten Versammlungsverbot ohne erneuten „Schwarzen Protest“ durchzusetzen. Kaczynski selbst stimmte indes de facto gegen die Verschärfung, indem er sich klar gegen die sofortige zweite Lesung wandte.
Allerdings ist es kein Zufall, dass das Gesetz der Bürgerinitiative gerade jetzt behandelt wurde. PiS will nämlich in dreieinhalb Wochen einen neuen Präsidenten wählen lassen und ist bemüht, auch ihre älteren Stammwähler aus dem Kreis des ultra-katholischen Radio Maryja hinter dem noch jungen Amtsinhaber Andrzej Duda (PiS) zu versammeln. Duda wird manchmal vorgeworfen, weltanschaulich zu liberal zu sein.
Laut den letzten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Social Change ist die Wiederwahl Dudas indes gesichert, wenn am 10. Mai trotz Corona-Krise tatsächlich gewählt werden kann. Demnach würde sich Duda bereits in der ersten Runde mit 59 Prozent der Stimmen durchsetzen. Der zweitplatzierte Wlodzimierz Kosiniak-Kamysz von der kleinen Bauernpartei PSL kommt demnach nur auf zehn Prozent, noch weiter abgeschlagen sind Liberale und Linke.
Von der Kaczynski-Mehrheit wurden am gestern Abend drei weitere Abstimmungen in die Parlaments-Tiefkühltruhe gelegt: ein weiteres Bürgerprojekt über ein Verbot des Sexualkundeunterrichts in den Volksschulen, eine Jagderlaubnis für Kinder und ein gegen Washington und Donald Trump gewandtes Gesetz über die US-Forderung nach einer Restitution jüdischen Eigentums in Polen. Alle drei ultra-konservativen Bürgerinitiativen sind der PiS offenbar ebenso wenig willkommen wie das neue Abtreibungsgesetz.
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