„Katholische Taliban“ Verfassungsgericht in Polen verbietet rund 98 Prozent der bisherigen Abtreibungen

„Katholische Taliban“  / Verfassungsgericht in Polen verbietet rund 98 Prozent der bisherigen Abtreibungen
Eine Pro-Choice-Aktivistin demonstriert vor dem Verfassungsgericht in Warschau für ein Recht auf Abtreibung – auf dem Plakat steht „Frauenstreik“. Im Hintergrund ein Plakat der Abtreibungsgegner. Foto: AFP/Wojtek Radwanski

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Das polnische Verfassungsgericht hat am frühen Donnerstagabend mit einem bahnbrechenden Urteil fast alle Abtreibungen verboten.

Unter dem Vorsitz von Gerichtspräsidentin Julia Przylebska (PiS) folgten 13 von 15 Verfassungsrichtern der Meinung, dass 98 Prozent der nur in begründeten Ausnahmefällen zugelassenen Abtreibungen illegal seien. Das Lebensrecht eines jeden Menschen einschließlich des Fötus sei höher zu gewichten als der allfällige frühe Tod des Neugeborenen oder dessen schwere Behinderung, hieß es in der Urteilsbegründung sinngemäß.

Das Verfassungsgericht ist nach dem Wahlsieg der rechtsnationalen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) völlig der Regierungspartei untergeordnet worden. Der Opposition nahestehende Vertreter unter den 15 Richtern gibt es keine mehr. 14 Verfassungsrichter wurden von PiS nach 2015 nominiert, einer – der parteilose Leon Kieres – war 2015 noch mit Unterstützung der liberalen, heute oppositionellen Bürgerplattform (PO) bestimmt worden. Am Donnerstag nun stimmte Kieres gegen das praktisch totale Abtreibungsverbot, der zweite Gegner, Justyn Piskorski, wurde 2017 gar mit PiS-Untersützung ins Verfassungsgericht gewählt.

„Das ist ein Sieg für Polens katholische Taliban“, kommentierte die bekannte Philosophin und Frauenrechtlerin Malgorzata Sroda. Sie rate allen Polinnen, ihr Heimatland zu verlassen, sagte die Oppositionspolitikerin Barbara Nowacka. Vor allem in rechts-katholischen Kreisen der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) wurde das Urteil jedoch freudig begrüßt. „Die Verfassungsrichter haben großen Mut bewiesen“, hieß es etwa. Vor dem Gerichtsgebäude unweit des Ministerrates demonstrierten den ganzen Tag über getrennt von Polizeibeamten je ein paar Dutzend Abtreibungsgegner und Befürworter. Wegen der Corona-Pandemie waren größere Aufmärsche verboten worden.

„Eugenische Abtreibungen“

Das Verfassungsgericht war in der umstrittenen Abtreibungsfrage Ende 2019 von 119 Abgeordneten angerufen worden. Die meisten stammen aus dem Regierungslager der PiS, aber auch Vertreter der oppositionellen Bauernpartei PSL sowie der rechtsextremen „Konföderation“ hatten die Anfrage unterschrieben. Etwa ein Drittel von Jaroslaw Kaczynskis Abgeordneten unterschrieben damals die Anfrage nicht, mehrheitlich weil sie – wie der Parteichef selbst – hinter dem Abtreibungskompromiss von 1993 stehen. Dieser ist in dem bisher geltenden, bereits sehr restriktiven polnischen Abtreibungsgesetz abgebildet. Demnach sind Abtreibungen nur nach Vergewaltigung oder Inzest, bei einem Gesundheitsrisiko für die Frau und im Fall von schwerwiegender und lebensbedrohlicher Schädigung des Fötus erlaubt.

Die meisten Abtreibungen wurden bisher in Polen mit „schwerwiegender oder lebensbedrohlicher Schädigung des Fötus“ begründet. 2019 waren dies 1.074 von 1.100 legal gemachten Abtreibungen. Dies sind fast 98 Prozent der ohnehin bereits sehr wenigen Abtreibungen. Diese von ultra-katholischen Kreisen als „eugenische Abtreibungen“ bezeichneten Eingriffe sind nach dem Verfassungsurteil nun verboten.

„Menschenrechte sind kein Privileg der Gesunden“, argumentierte der Pro-Lifer Bartlowmej Worblewski (PiS) während der Gerichtsverhandlung. Dieser Standpunkt setzte sich durch. Dennoch stellt das neue Verfassungsgerichtsurteil auch für die Kaczynski-Partei PiS eine Knacknuss dar. Das Parlament muss nun die bisherigen Abtreibungsparagrafen deutlich verschärfen, obwohl die Regierung in den vergangenen fünf Jahren ähnliche Gesetzesinitiativen immer wieder auf die lange Bank geschoben hatte. Vor allem Parteichef Kaczynski gilt in der eigenen Fraktion als ziemlich liberal in solchen weltanschaulichen Fragen.

HTK
23. Oktober 2020 - 17.06

Wojtila ist tot. Ihr könnt ins 21.Jahrhundert eintreten und den Frauen ihre Gleichberechtigung zusprechen.Ihr seid in der EU,wusstet ihr das schon?