ÖsterreichTürkiser Guru Kurz stößt mit striktem Nein zur Rettung von Afghanen Koalitionspartner vor den Kopf

Österreich / Türkiser Guru Kurz stößt mit striktem Nein zur Rettung von Afghanen Koalitionspartner vor den Kopf
99,4 Prozent Zustimmung für Kurz (M.): Die ÖVP steht hinter ihrem Garanten für Wahlsiege wie eine Sekte hinter ihrem Guru  Foto: dpa/Herbert Pfarrhofer

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Die ÖVP macht bei ihrer restriktiven Migrationspolitik auch für bedrohte Afghanen keine Ausnahme, was das türkis-grüne Koalitionsklima immer mehr belastet.

Da und dort rumort es sogar in der ÖVP, weil Bundeskanzler Sebastian Kurz asylpolitisch vom christlich-sozialen Weg abgekommen ist. Doch eine Chance, den hinter vorgehaltener Hand geäußerten Unmut sichtbar zu machen, wurde vertan. Beim St. Pöltener Bundesparteitag bestätigten am Samstag 533 der 536 Delegierten Kurz als ÖVP-Chef.

Im Vorfeld in der ÖVP gehörte Befürchtungen, Kurz könnte für seine restriktive Asylpolitik, aber auch für die im Zuge der Ibiza-Affäre aufgedeckten Postenschachereien und Chat-Peinlichkeiten einen Denkzettel verpasst bekommen, waren unbegründet. Mit 99,4 Prozent war Kurz’ Ergebnis sogar besser als die 98,7 Prozent bei seiner ersten Kür im Jahr 2017. Die ÖVP steht hinter ihrem Garanten für Wahlsiege wie eine Sekte hinter ihrem Guru. Und Kurz legte in Sachen Ausländer sogar noch ein Schäuferl nach: Die Delegierten segneten den Leitantrag der ÖVP-Spitze ab, der unter anderem ein Verknüpfen von Sozialleistungen mit Integrationsfortschritten sowie ein Scharia-Verbot in Österreich verlangt.

Asylpolitischer Grundkonflikt

Die türkise Geschlossenheit geht jedoch zulasten des Koalitionsfriedens. Massive Differenzen in der Klimaschutz- und Verkehrspolitik werden nun von der Neuauflage des asylpolitischen Grundkonfliktes überlagert.

Zunächst hatte Innenminister Karl Nehammer zum Unmut der Grünen selbst dann noch täglich die Abschiebung von abgelehnten Asylwerbern nach Afghanistan bekräftigt, als dies wegen des Vormarsches der Taliban gar nicht mehr möglich war. Und selbst, wenn ein Abschiebeflug zustande gekommen wäre, hätte dieser den türkis-grünen Afghanistan-Konflikt doppelt befeuert. Denn unweigerlich wäre dann auch die Frage im Raum gestanden, ob dieses Flugzeug von Kabul hätte leer zurückfliegen sollen.

Afghanin abgewiesen

Für die ÖVP ist klar: Kein Afghane, keine Afghanin wird rausgeholt aus Talibanistan. Wie ernst es damit ist, zeigt eine Episode in Budapest. Zwei afghanisch-stämmige Österreicher waren vorigen Donnerstag vom ungarischen Militär aus Kabul ausgeflogen und über Usbekistan nach Budapest gebracht worden. Da die Brüder österreichische Staatsbürger sind, war ihre Weiterreise nach Österreich kein Problem. Auch die vor drei Wochen in Herat geheiratete Ehefrau von einem der beiden durfte mit, obwohl sie keinen Aufenthaltstitel, aber den Trauschein mit einem EU-Bürger hat.

Eine zweite Afghanin, die die Österreicher im Chaos von Kabul irgendwie in den ungarischen Flieger gebracht hatten, blitzte jedoch beim österreichischen Botschafter ab: Er weigerte sich strikt, ihr zur Einreise nach Österreich zu verhelfen und damit einen Präzedenzfall zu schaffen. Im Transitbereich des Budapester Flughafens wartet sie nun auf ein Land, das sich ihrer erbarmt. Österreich wird es sicher nicht sein.

Grünen-Promi verlässt Partei

Der Botschafter tat nur seine vom Wiener Außenamt auferlegte Pflicht, der jedoch kein Konsens der Bundesregierung zugrunde liegt. Denn die Grünen werden nicht müde, den ÖVP-Kurs scharf zu kritisieren. Deren Bundessprecher und Vizekanzler Werner Kogler wirft dem Koalitionspartner unverhohlen „Unmenschlichkeit“ vor. Die grüne Justizministerin Alma Zadic, selbst als Kind aus Bosnien geflüchtet, fordert „Frauen und Mädchen, die jetzt gefährdet sind, da rauszuholen“. Die ÖVP lasse, so Kogler, „nicht nur die notwendige Menschlichkeit vermissen, sondern schadet auch massiv dem internationalen Ansehen Österreichs und unserer Rolle als verlässlicher Partner in Europa“. Vorarlbergs Grünen-Landesrat Johannes Rauch nennt den ÖVP-Kurs „eine Schande“.

Vorige Woche marschierten in Wien bei einer SPÖ-Demonstration gegen Innenminister Nehammer auch grüne Stadtpolitiker mit. Für einen Paukenschlag sorgte die frühere Wiener Grünen-Vorsitzende und Ex-Vizebürgermeisterin Birgit Hebein: Sie verkündete via Facebook ihren Parteiaustritt und begründete diesen so. „Die grüne Politik mit all den Argumenten und Nichthaltungen erreicht nicht mehr mein Herz“, schrieb sie mit Blick auf die zwar kritisierte, aber von den Grünen letztlich tolerierte Hardliner-Asylpolitik der Kanzlerpartei.

Wie lange noch?

Eigentlich hätten die vielen Konflikte längst zum Ende dieser Koalition führen müssen. Doch die Grünen-Spitze weiß um ihre eingeschränkten taktischen Möglichkeiten. Umfragen sehen einerseits klare Mehrheiten für den restriktiven ÖVP-Kurs, andererseits drohen die Grünen nach einem Ausstieg wieder im Abseits zu landen.

Kurz kennt die Not seines Regierungspartners und glaubt daher, keine Rücksicht nehmen zu müssen. Er könnte aber eines Besseren belehrt werden, wenn es die Grünen beim Spagat zwischen ÖVP und eigener Basis zerreißt. Dann stünde der türkise Guru nach drei gescheiterten Koalitionen mit SPÖ, FPÖ und Grünen ohne Alternative da.