Agentenkrimi im Grauen WolfsrudelTürkischer Ex-Geheimdienstler packt spektakuläre Mordgeschichten aus

Agentenkrimi im Grauen Wolfsrudel / Türkischer Ex-Geheimdienstler packt spektakuläre Mordgeschichten aus
Graue Wölfe ohne Scheu: Sie präsentieren sich auf öffentlichen Plätzen wie hier in Linz mit dem verbotenen Gruß und posten Fotos davon in sozialen Medien  Screenshot: Facebook

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Diese Geschichte hat alle Zutaten für einen Agententhriller: Es geht um zwielichtige Geheimdienstler, halbseidene Milieus, Erpressung, Verrat, Mordaufträge – und sie spielt im Geheimdienstmekka Wien.

Begonnen hat es untypisch: Der Bösewicht schreitet nicht zur Tat, sondern mutiert zum Guten. Mitte September meldet sich der italienische Staatsbürger Feyyaz Ö. beim Wiener Landesamt für Verfassungsschutz, um dort ein spektakuläres Geständnis abzulegen. Er sei nach Wien geschickt worden, um im Auftrag des türkischen Geheimdienstes MIT Anschläge auf die kurdisch-stämmige Grünen-Politikerin Berivan Aslan und weitere Zielpersonen zu verüben. Im Visier: Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Der gebürtige Türke, der zu dem Mordkommando erpresst worden sein will, gibt Informationen über weitere MIT-Agenten preis. Der Verfassungsschutz nimmt die Sache ernst. Die Gemeinderätin Aslan befindet sich seither unter Polizeischutz.

Denn auch wenn vom in Untersuchungshaft genommenen Feyyaz Ö. keine Gefahr ausgeht, lassen seine Aussagen keine Entwarnung zu. Laut Ö. sollen nämlich zum Zeitpunkt, als er in einem Wiener Hotel auf den Mordbefehl wartete, mehrere MIT-Agenten in Österreich gewesen sein. Und: Es soll weitere potenzielle Auftragskiller im Land geben.

Wie ernst zu nehmen sind die kolportierten Aussagen? Immerhin so ernst, dass sie dem türkischstämmigen Ilham K. (Name der Redaktion bekannt) 34 Tage U-Haft einbrachten. Feyyaz Ö. soll Tageblatt-Informationen zufolge ausgesagt haben, K. sei einer von denen, die auf Befehl aus der Türkei Kurden und Aleviten töten würden. Welche Erkenntnisse die Einvernahmen von K. brachten, ist unbekannt. Die Staatsanwaltschaft Wien hält sich bedeckt. Verschlusssache! Das heißt: Nicht die geringste Auskunft an Medien. Eine Sprecherin bestätigt dem Tageblatt nur, dass Feyyaz Ö. nach wie vor in U-Haft sitzt.

Wolfsgrüße und „Auftragskiller“

Doch es gibt eine Bestätigung für die belastenden Aussagen gegen K. Und die kommt vom Beschuldigten selbst. Unter falschen Namen machte K. nämlich die gegen ihn erhobenen Vorwürfe auf Facebook publik – für seine 2.900 Freunde, darunter ein hochrangiger Funktionär der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ). Ob diesem die wahre Identität seines FB-Freundes bekannt ist, ließ sich nicht verifizieren. Dass K. eine regionale Größe der Grauen Wölfe in Oberösterreich ist, ist allerdings auf dem mit Symbolen der rechtsextremen Gruppierung gefluteten Facebook-Profil leicht erkennbar.

Der offensichtliche Protagonist der Ülkücü-Bewegung, die unter anderen 1981 Papst-Attentäter Mehmet Ali Agca hervorgebracht hat, bestreitet allerdings die Aussagen von Feyyaz Ö., der sich im Frühjahr während des ersten Lockdowns einige Tage in Oberösterreich aufhielt. Und zwar bei K., der eigenen Angaben zufolge über das Ülkücü-Netzwerk ersucht worden war, dem Landsmann Unterschlupf zu gewähren. Kurden oder Aleviten töten würde er aber niemals, beteuert K. Er habe Ö. nur drei Tage beherbergt, ihm 100 Euro Taschengeld und 87 Euro für ein Ticket nach Wien gegeben.

Das wirft Fragen auf: Zahlt der türkische Geheimdienst seinen Leuten keine Spesen, war die Bedürftigkeit Tarnung oder stimmt Feyyaz Ö.s Mördergeschichte gar nicht? Die türkische Botschaft in Wien jedenfalls bestreitet, dass Ö. etwas mit dem türkischen Geheimdienst zu tun habe.

Gegen Ilham K. dürfte zumindest kein dringender Tatverdacht mehr bestehen, da er sich wieder auf freiem Fuß befindet und auf Facebook weiter eifrig Einschlägiges postet: „Ich werde nur verfolgt, weil ich ein Grauer Wolf bin!“ Doch nicht einmal das scheint zuzutreffen. Von wegen Verfolgungsdruck: Auch nach der U-Haft präsentiert er unzählige Fotos von sich oder im Rudel mit Gesinnungsgenossen bei verbotenem Tun. Auf öffentlichen Plätzen quer durch Österreich zeigen sie stolz ihren Gruß. Darauf stehen seit 2019 bis zu 10.000 Euro oder sechs Wochen Haft, obwohl die Organisation selbst bislang nicht verboten ist. Nachdem der deutsche Bundestag kürzlich die Regierung in Berlin zur Prüfung eines Verbotes aufgefordert hatte, wurden Ende November auch in der ÖVP Rufe nach einem solchen Verbot laut. Ähnlich wie in Deutschland dürfte das aber leichter gesagt als legistisch getan sein.

Aber selbst die vorhandenen Möglichkeiten nützt die Polizei kaum: Allein im Facebook-Verlauf von Ilham K. ist seit Inkrafttreten des Verbotes der Wolfsgruß 330-mal zu sehen. Nach Angaben des Innenministeriums in Wien wurden 2019 in ganz Österreich nur 71 Anzeigen nach dem Symbolegesetz erstattet. Dabei sind alle Verstöße erfasst, auch solche mit NS-Symbolen. Wie viele der 71 Anzeigen auf den Wolfsgruß entfielen, kann das Ministerium nicht sagen. Auf jeden Fall ist es aber nur ein Bruchteil der allein auf Ilham K.s Seite sichtbaren und offensichtlich nicht unterbundenen Verstöße.

Für die Sicherheitsbehörden gäbe es also viel zu tun, selbst wenn dieser Agententhriller doch keine Mordsgeschichte sein sollte.