Seenotretter vor GerichtTausende vor dem Ertrinken bewahrt, doch nun drohen hohe Strafen

Seenotretter vor Gericht / Tausende vor dem Ertrinken bewahrt, doch nun drohen hohe Strafen
Die „Iuventa“ wurde im August 2017 in Italien beschlagnahmt – der Crew wird jetzt der Prozess gemacht Foto: dpa/Elio Desiderio

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Im sizilianischen Trapani hat am Samstag ein Prozess gegen Seenotretter begonnen. Den Angeklagten wird tausendfache Beihilfe zum Menschenhandel und zur illegalen Einwanderung nach Italien vorgeworfen. Im Falle einer Verurteilung drohen hohe Haft- und Geldstrafen.

Im sizilianischen Trapani hat am Samstag ein Prozess gegen Angehörige der Seenotrettungsorganisation „Jugend rettet“ begonnen. Den angeklagten Crewmitgliedern des Schiffes „Iuventa“ wird vorgeworfen, im Jahr 2017 in mehreren Tausend Fällen Beihilfe zum Menschenhandel und zur illegalen Einwanderung nach Italien geleistet zu haben. Im Falle einer Verurteilung drohen hohe Haft- und Geldstrafen.

Seit nunmehr fünf Jahren liegt die beschlagnahmte „Iuventa“ im Hafen der westsizilianischen Stadt Trapani. Das Seenotrettungsschiff hatte sich bis 2017 an vielzähligen Einsätzen im Mittelmeer beteiligt, um schiffbrüchige Flüchtlinge, die von Libyen nach Europa übersetzen wollten, aus der See zu retten.

Die Staatsanwaltschaft von Trapani sieht dies jedoch anders. Sie klagte 21 Mitglieder der Menschenrechtsorganisationen „Jugend rettet“, „Ärzte ohne Grenzen“ und „Save the Children“ der Beihilfe zum Menschenhandel an. Mit dem Seenotrettungsschiff „Iuventa“ sollen die Angeklagten in Abstimmung mit libyschen Schlepperbanden mehrere Tausend Personen zur illegalen Einwanderung nach Italien verholfen haben. Unter den Angeklagten sind auch vier deutsche NGO-Mitglieder von „Jugend rettet“. Im Fall einer Verurteilung haben sie mit Haftstrafen bis zu 20 Jahren und Geldbußen bis zu einer Höhe von 11.000 Euro je ins Land gebrachten Migranten zu rechnen.

Tatsächlich müssten diejenigen vor Gericht stehen, die das Recht darauf, im Meer vor dem sicheren Ertrinken gerettet zu werden, immer wieder ignorieren

Anwalt Canestrini

Der Prozess war mit großem Aufwand vorbereitet worden. Nach fünf Jahren staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit umfasst die Anklageschrift etwa 30.000 Seiten. Darunter befinden sich etliche Abhörprotokolle, die italienische Geheimdienste im Auftrag der Staatsanwaltschaft von Telefonaten, E-Mails und Chats verschiedener Journalisten, Rechtsanwälte, Angehörigen der Hilfsorganisationen und auch Geistlichen angefertigt haben. Die Genehmigung dieser Abhöraktionen waren vom selben Richter angeordnet, der nun auch über die Aufnahme des Gerichtsverfahrens entschieden hat. Abgesehen von den Unsummen der Steuergelder, die für diese Ermittlungen ausgegeben wurden, sehen Kritiker des Verfahrens die Rechtmäßigkeit der Geheimdienstoperationen als sehr fragwürdig an.

Kathrin Schmidt, als Einsatzleiterin von „Jugend rettet“ an Bord der „Iuventa“, erklärte das jetzt beginnende Rechtsverfahren als „absurden Schauprozess“. In der Zeit, da die „Iuventa“ von den italienischen Behörden beschlagnahmt am Kai von Trapani liegt, seien im Mittelmeer mehr als 10.000 Menschen ertrunken. Angesichts eines solchen Leids kann ein Prozess nur als „seltsam unbedeutend“ empfunden werden. Der mitangeklagte Kapitän des Seenotrettungsschiffes, Dariusz Beigui, erklärte seinerseits, dass es sich bei der Anklage lediglich um drei Aktionen aus den Jahren 2016 und 2017 handeln könne. In allen Fällen habe man damals mit den italienischen Behörden zusammengearbeitet und keinerlei illegale Handlungen vollzogen. Insgesamt hatte die „Iuventa“ 14.000 in Seenot geratene Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet.

Retter als Schlepper?

Die Staatsanwaltschaft ihrerseits erklärte, aus den Abhörprotokollen sei ersichtlich, dass das Schiff mit libyschen Schlepperbanden gemeinsam gehandelt hätte. Es seien Positionen zur Übernahme von Flüchtlingen vereinbart worden, Zeugenaussagen zufolge habe die Crew der „Iuventa“ auch Rettungswesten und Boote an die Schlepper zurückgegeben. Zudem hätten die Rettungsorganisationen nicht mit der libyschen Küstenwache zusammengearbeitet, so der Vorwurf der Anklage. Dazu erklärte Kapitän Beigui, die Lage vor der libyschen Küste sei seinerzeit völlig unklar gewesen. Die staatlichen und EU-Rettungsschiffe hätten sich zum damaligen Zeitpunkt aus dem Seegebiet zwischen Libyen und Italien zurückgezogen. Libysche Küstenwachboote, von denen nicht klar war, zu welcher Miliz sie eigentlich gehörten, hätten sogar auf Flüchtlingsboote geschossen und ihren Untergang in Kauf genommen. Andere wiederum seien in libysche Häfen zurückgeschleppt worden, wo die Insassen in Auffanglager geschleppt und Folter und Tod ausgesetzt worden seien.

Der Rechtsanwalt der Angeklagten, Nicola Canestrini, erklärte im Vorfeld des Verfahrens, man wolle beweisen, dass die Operationen der „Iuventa“ „absolut legal waren, da jeder Mensch das Anrecht hat, einen Antrag auf Asyl zu stellen – und auch darauf, im Meer vor dem sicheren Ertrinken gerettet zu werden“. Die Crew stehe vor Gericht, weil sie grundlegende verteidigt hat. Gemeinsam mit weiteren Menschenrechtsorganisationen forderte der Anwalt, Italien müsse solche Verfahren endlich einstellen. „Tatsächlich müssten diejenigen vor Gericht stehen, die diese Rechte immer wieder ignorieren“, so Canestrini.