AfghanistanTaliban rücken in weitere Städte vor

Afghanistan / Taliban rücken in weitere Städte vor
Straßenszene in Kundus, wo die Menschen die Trümmer von Geschäften inspizieren, die bei Kämpfen zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften zerstört wurden Foto: dpa/AP/Abdullah Sahil

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In Afghanistan haben die Taliban die strategisch wichtige Stadt Kundus und zwei weitere Provinzhauptstädte im Norden weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht.

In Kundus eroberte die radikal-islamische Gruppe nach Angaben eines Parlamentariers alle wichtigen Regierungsgebäude. Die Regierungssoldaten kontrollierten noch den Flughafen und ihren eigenen Stützpunkt, sagte Amrudddin Wali, ein Abgeordneter der Provinzversammlung, gestern. Ein Sprecher der Taliban sagte, man habe einen Großteil der Provinz Kundus erobert. Ein Sprecher der staatlichen Sicherheitskräfte kündigte eine Gegenoffensive an.

Die Taliban hatten in den vergangenen Monaten zahlreiche Gebiete des Landes eingenommen. Die schweren Kämpfe um Kundus hätten am Samstag begonnen, sagte der Abgeordnete. In Kundus war bis vor wenigen Wochen die deutsche Bundeswehr im Rahmen eines internationalen Einsatzes stationiert. Sie hatte am 30. Juni ihre letzten Soldaten abgezogen.

Ein Sprecher der afghanischen Sicherheitskräfte teilte mit, in Kundus gebe es heftige Kämpfe. Die Soldaten bemühten sich, die Stadt mit ihren rund 270.000 Menschen zu verteidigen. Laut Verteidigungsministerium sind Spezialkräfte im Einsatz, um von den Taliban erkämpfte Pressebüros zurückzuerobern. Die Stadt gilt als strategisch wichtig, weil sie am Zugang zu den an Rohstoffen reichen Provinzen im Norden des Landes und in Zentralasien liegt.

Auch Sar-i-Pul nahmen die Islamisten gestern ein. Regierungsbeamte und die verbliebenen Streitkräfte hätten sich in eine Kaserne rund drei Kilometer vor der Stadt zurückgezogen, berichtete die Frauenrechtsaktivistin Parwina Asimi der Nachrichtenagentur AFP am Telefon. Laut einem Vertreter des Provinzrats umstellten die Taliban das Gelände. Stunden später eroberten sie dann Talokan. Die staatlichen Sicherheitskräfte hätten sich aus der Stadt zurückgezogen, „nachdem die Regierung keine Hilfe geschickt hat“, sagte ein Militär-Mitglied. Ein Einwohner berichtete, Beamte und Sicherheitskräfte hätten die Stadt in langen Fahrzeugkonvois verlassen.

Wendepunkt

Der Vormarsch der radikalislamischen Miliz im Norden Afghanistans könnte sich als Wendepunkt im Kampf mit den Regierungsstreitkräften erweisen. Der Norden galt lange als Hochburg des Widerstands gegen die Islamisten. Die Region ist Heimat mehrerer Milizen und für die afghanische Armee wichtiges Rekrutierungsgebiet.

Am Freitag hatten die Taliban mit der südwestlichen Stadt Sarandsch die erste Provinzhauptstadt eingenommen, einen Tag später folgte Scheberghan in der nördlichen Provinz Dschausdschan. Auch vom Stadtrand der Provinzhauptstädte Herat nahe der Grenze zum Iran sowie Laschkar Gah und Kandahar im Süden wurden Gefechte gemeldet.

Die Geschwindigkeit, mit der die Islamisten vordringen, hat das afghanische Militär überrumpelt. Unterstützung erhielt die Armee am Samstag durch das US-Militär, das Taliban-Stellungen in Scheberghan bombardierte. Scheberghan ist die Bastion des berüchtigten Kriegsherrn Abdul Raschid Dostum. Er stand in den 1990er Jahren einer der größten Milizen im Norden Afghanistans vor, seine Kämpfer gingen mit extremer Brutalität gegen die Taliban vor. Sollte sich Dostums Miliz aus der Region zurückziehen, wäre dies für die Regierung in Kabul ein herber Schlag. Sie setzt in ihrem Kampf gegen die Taliban auch auf die Unterstützung durch örtliche Kriegsherren.

Die Regierung in Kabul äußerte sich zunächst nur zurückhaltend zum Fall der Provinzhauptstädte. Sie erklärte lediglich, die Armee werde die Städte zurückerobern. (AFP, Reuters)